Im US-Schuldenstreit bleibt nicht mehr viel Zeit für einen Kompromiss. Immer mehr Experten schrauben ihre Erwartungen herunter.

Washington. Die USA steuern unaufhaltsam auf die Fiskalklippe zu. Wenn sich der Kongress nicht rasch zusammenrauft, droht der Absturz – mit möglichen schweren Folgen für die Wirtschaft. Das Abendblatt fasst die wichtigsten Fragen und Antworten in einer Übersicht zusammen.

Was ist die Fiskalklippe?

Das ist die Kurzformel für Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen, die zum 1. Januar automatisch anlaufen, falls der Kongress sie nicht vorher stoppt. Beide Maßnahmen würden zwar zur umfangreichsten Defizitverringerung seit 40 Jahren führen, könnten aber zugleich die ohnehin noch sehr kurzatmige US-Wirtschaft in eine neue Rezession steuern. Insgesamt geht es um mehr als 600 Milliarden Dollar, die nicht mehr in die Wirtschaft gepumpt werden könnten. Die Einsparungen in den meisten Etatbereichen machen nach Berechnungen der „Washington Post“ 100 Milliarden Dollar aus, Steuererhöhungen 400 Milliarden Dollar. Auch Leistungen für viele Arbeitslose würden wegfallen.

In welcher Frage sind sich Demokraten und Republikaner uneins?

Zum Jahresende laufen Steuererleichterungen für alle aus, die während der Amtszeit von George W. Bush beschlossen wurden – es sei denn, der Kongress beschließt rechtzeitig eine Verlängerung. Und hier liegt der Hauptknackpunkt. Präsident Barack Obama und seine Demokraten wollen die Erleichterungen für die Mittelschicht beibehalten, aber die Reicheren stärker zur Kasse bitten. Die meisten Republikaner lehnen aber jegliche Steuererhöhungen ab. Sie würden es als Verstoß gegen ihre Prinzipien ansehen, wenn sie dem Obama-Plan folgten – auch wenn sie sich mit ihm im Grundsatz darin einig sind, dass die Mittelschicht unbedingt die Vergünstigungen behalten sollte.

Wie kann es überhaupt zu einer Einigung kommen?

Experten halten es für immer wahrscheinlicher, dass eine Lösung im neuen Jahr einfacher wäre. Dann würden zwar die Steuern für alle zunächst einmal erhöht, aber das käme automatisch – kein Republikaner müsste aktiv dafür stimmen. Umgekehrt könnten auch die Konservativen danach die Erhöhungen für Mittelschicht wieder rückgängig machen, denn das wäre ja keine Verletzung ihrer Prinzipien.

Was droht bei einer Hängepartie?

Unmittelbar dürfte nicht viel passieren, denn höhere Steuern und Einsparungen im Staatshaushalt wirken sich nur langsam aus. Das heißt, die USA würden eher von der Fiskalkippe gleiten als wirklich abstürzen.

Und wenn sich die Parteien überhaupt nicht zusammenraufen?

Längerfristig, so warnt etwa die Kongress-Haushaltsbehörde CBO, könnten die Folgen dramatisch sein. Da rund 70 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts (BIP) von den Verbraucherausgaben abhängen, würde das ohnehin schwächelnde Wachstum rapide gebremst – denn die Bürger hätten wegen der Steuererhöhungen weniger Geld in der Tasche. Auch die automatischen Budgetkürzungen entziehen der Wirtschaft wichtige Nachfrage. So befürchtet das CBO einen Rückgang der Wirtschaftsleistung.

Wie sind die USA überhaupt in diese Klemme geraten?

Ein heftiger Streit um die Schuldenobergrenze im Sommer vergangenen Jahres hat die USA in die verzwickte Lage gebracht. Als damals das Schuldenlimit erreicht wurde, verknüpften die Republikaner eine Zustimmung zum weiteren Schuldenmachen an massive Einsparungen. Weil es aber keine Einigung über ein Sparprogramm gab, wurde beschlossen, dass im Fall eines weiteren Scheiterns automatische Ausgabenkürzungen ab 2013 in Kraft treten. Und nun stehen die USA kurz vor diesem Punkt. Obama hat klargemacht, dass er die Anhebung der Schuldenobergrenze diesmal strikt aus den laufenden Verhandlungen über den Etatstreit heraushalten will. Aber es ist nicht auszuschließen, dass die Republikaner wieder versuchen werden, hier den Hebel anzusetzen.

Am 3. Januar tritt der neue Kongress zusammen. Sind dadurch Impulse zu erwarten? Welchen Einfluss hat die radikal-konservative Tea Party?

Die Mehrheitsverhältnisse im Kongress sind praktisch unverändert. Die Republikaner kontrollieren das Abgeordnetenhaus, die Demokraten den Senat. Die Tea Party hat bei der Wahl im November einige Sitze verloren, aber, so sagt etwa Politikwissenschaftlerin Brigitte Nacos von der Columbia University: „Sie haben trotzdem eine starke Präsenz.“

Welche Rolle spielt der republikanische Präsident des Abgeordnetenhauses, John Boehner?

Boehner hat eine Schlüsselrolle inne: Um einen Kompromiss zu ermöglichen, muss er erst einmal sein eigenes Lager dafür gewinnen. Bisher spucken ihm die Abgeordneten von der Tea-Party-Bewegung in die Suppe. Boehner muss daher alles daran setzen, dass genügend moderate republikanische Abgeordnete einen Kompromiss mittragen, das heißt, mit den Demokraten stimmen würden.