Nach Beschluss bleiben Sorgen: Nachholeffekt bei rituellen Beschneidungen und gerichtliche Überprüfung des Gesetzes erwartet.

Köln. Die Operation Beschneidungsgesetz ist geschafft – die Debatte wird trotzdem weitergehen. Einige Mediziner erwarten, dass mit der rechtlichen Klarstellung aufgeschobene rituelle Bescheidungen nachgeholt werden. Viele Ärzte bleiben aber ratlos zurück, weil sie das Gesetz für unvereinbar mit ihrer Berufsordnung halten. Solange sich Organisationen wie die Bundesärztekammer oder der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sorgen und Klärungsbedarf sehen, wird keine Ruhe einkehren. So mancher sieht das Gesetz schon beim Bundesverfassungsgericht.

„Es werden jetzt sicher mehr Familien mit ihren Söhnen zur Beschneidung in die Praxis kommen“, erwartet der muslimische Kinderchirurg Hikmet Ulus. „Viele hatten Angst. Einige haben die Sommerpause genutzt, um in ihre Heimat zu fahren und die Beschneidung dort durchführen zu lassen. Aber die Mehrheit hat wohl gewartet.“ Der Kölner Mediziner hat seit dem Sommer nicht mehr rituell beschnitten - aus Sorge, sich strafbar zu machen. Das Kölner Landgericht hatte die Beschneidung eines muslimischen Jungen im Mai als rechtswidrige Körperverletzung bewertet und damit eine Protestlawine ausgelöst. Und letztlich auch das neue Gesetz.

Nach jüdischer Tradition nimmt der Mohel – der jüdische Kultusbeamte – den Eingriff am achten Lebenstag des Jungen vor. Bei den Muslimen – gut vier Millionen leben in Deutschland – werden Jungen meist bis zum Grundschulalter aus religiöser Motivation beschnitten. Die nun vom Bundestag beschlossene Regelung erlaubt den Eingriff, wenn die Regeln der ärztlichen Kunst eingehalten sind, das Kind bei Bedarf eine Narkose bekommt und sein Wohl nicht gefährdet ist.

Die Praxis werde die Lücken des Gesetzes offenlegen, erwartet BVKJ-Präsident Wolfram Hartmann. Bei Neugeborenen müssten Blutanomalien oder Immundefekte mit einer speziellen Blutuntersuchung vor dem Eingriff ausgeschlossen werden. „Das fehlt aber im Gesetz und bedeutet eine konkrete Gefährdung für die Säuglinge.“ In München habe aktuell ein Neugeborenes schwerste Komplikationen erlitten, weil seine Blutanomalie unentdeckt geblieben sei. Einige Ärzte seien aufgerüttelt und wollten gar nicht mehr rituell beschneiden, sagt Hartmann. Es sei ein Umdenken im Gange.

Der Berufsverband der Urologen rechnet damit, dass das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden wird. Sprecher Wolfgang Bühmann sieht Mediziner im Dilemma: „Nach unserer ärztlichen Berufsordnung dürfen wir nur tätig werden, wenn wir Gesundheit verbessern, Leiden lindern oder Schaden abwenden – das trifft auf die rituelle Beschneidung nicht zu.“

Auch nach Prognose der Deutschen Kinderhilfe ist das letzte Wort zum Gesetz nicht gesprochen: „Wenn es bei einem Eingriff zu einer Komplikation kommt und Eltern und Ärzte einen gerichtlichen Haftungsstreit führen, wird der Richter das Gesetz sicherlich dem Bundesverfassungsgericht vorlegen und um Klärung bitten“, sagt Sprecher Rolf Stöckel. Die Bundesärztekammer sieht Probleme, weil auch Nicht-Mediziner den Eingriff vornehmen dürfen.

Für den Berufsverband der Niedergelassenen Kinderchirurgen betont Sprecher Karl Becker: „Es geht darum, die Religionsgemeinschaften in einem behutsamen Dialog dazuzubringen, ihre Riten zu überdenken.“ Ob nicht doch ein rein symbolischer Akt ausreichen würde – oder eine Beschneidung erst später mit Einwilligung des Heranwachsenden.

Der Zentralrat der Muslime spricht von einer zaghaften Erleichterung, die sich unter den Muslimen breitmache, wie der Vorsitzende Aiman Mazyek berichtet. Der Kölner Arzt Ukus meint, die erst sehr aufgebrachte Stimmung unter seinen muslimischen Patienten habe sich gelegt. Rückblickend sei nicht alles schlecht gewesen an dem ganzen Aufruhr: „Der Eingriff muss jetzt unter hygienisch einwandfreien Klinikbedingungen fachgerecht erfolgen. Da sehe ich doch mehr Sicherheit für das Kind.“