Integration ja, Anpassung nein: Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat in Düsseldorf gefordert, dass türkische Kinder zuerst Türkisch, dann Deutsch lernen.

Düsseldorf/Hamburg. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat wieder heftige Reaktionen ausgelöst mit seinem Aufruf, Kinder seiner Landsleute in Deutschland sollten zuerst Türkisch lernen. Während Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dies nicht so kritisch sieht, sind ihre Partei und FDP-Chef Guido Westerwelle empört.

Regierungssprecher Steffen Seibert machte am Montag in Berlin im Namen der Kanzlerin deutlich, dass Deutsch und Türkisch gleichzeitig und gleichwertig erlernt werden sollten. Westerwelle und auch die Union betonten hingegen, Priorität habe die deutsche Sprache.

Seibert sagte, die Bundesregierung sehe in Erdogans Auftritt „durchaus viel Positives“. Er habe betont, dass es ohne Sprachkenntnisse und Bildung in der deutschen Gesellschaft keinen beruflichen Aufstieg geben könne. Erdogan hatte seine Landsleute am Sonntagabend bei einem Auftritt in Düsseldorf auch zur Integration aufgerufen, sich aber erneut gegen eine kulturelle Verschmelzung („Assimilation“) gewandt. „Niemand wird in der Lage sein, uns von unserer Kultur loszureißen“, sagte Erdogan. „Unsere Kinder müssen Deutsch lernen, aber sie müssen erst Türkisch lernen.“

Mit der Warnung vor Assimilation hatte er bereits bei einem Auftritt 2008 in Köln heftige Kritik hervorgerufen. Außenminister Westerwelle sagte jetzt: „Die Kinder, die in Deutschland groß werden, müssen zuallererst Deutsch lernen.“ Ohne die deutsche Sprache kämen sie in der Schule nicht mit und hätten später schlechtere Chancen als andere. „Die deutsche Sprache ist für die, die in Deutschland groß werden, der Schlüssel zur Integration.“

CSU-Chef Horst Seehofer sagte, für in Deutschland lebende türkische Migranten sei Erdogans Aufruf keine tragfähige Position. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte: „Es ist ein beispielloser Vorgang, dass ein ausländischer Regierungschef in regelmäßigen Abständen seine bei uns lebenden Landsleute aufwiegelt.“ Die Integrationsbeauftragte der Regierung, Maria Böhmer (CDU), forderte, damit mehr türkische Migranten Ja zu Deutschland sagen könnten, müsse der türkische Staat sie auch loslassen. „Hier hätte ich von Ministerpräsident Erdogan ein deutliches Zeichen erwartet.

„Ich sage Ja zur Integration. Ihr müsst euch integrieren, aber ich bin gegen Assimilation“, rief Erdogan den rund 10.000 Zuhörern im Düsseldorfer ISS Dome zu. Die Gesellschaft, in der sie lebten, müsse in Ruhe leben können. Das Recht auf Religionsfreiheit dürfe ihnen aber nicht genommen werden. „Niemand darf das Recht der Minderheiten ignorieren“. Und Erdogan kündigte eine Gesetzesänderung in der Türkei an, mit der Türken in Deutschland die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft erleichtert werden soll. Wenn sie ihren türkischen Pass abgeben, sollen sie eine sogenannte Blaue Karte erhalten, die in der Türkei wie ein Personalausweis gelten soll. Erdogan will an diesem Montag zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die CeBIT in Hannover eröffnen. Die Türkei ist diesjähriges Partnerland der Computermesse.

Erdogan sagte in Düsseldorf, er beobachte Ausländerfeindlichkeiten in Deutschland und anderen Ländern mit Argwohn. „Islamphobie ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, genauso wie Antisemitismus.“ Jeder habe das Recht, seinen Glauben auszuleben. Erdogan, der sich im Sommer zur Wiederwahl stellt, pries vor seinen Landsleuten die Entwicklung der Türkei in den vergangenen Jahren an. Das Land habe sich zu einem modernen, international anerkannten Staat entwickelt. „Die Türkei steht auf der ganzen Welt für Gerechtigkeit. Die Türkei schreit auf, wenn es Ungerechtigkeit gibt. Die Türkei erhält heute keine Hilfe mehr, sondern leistet Hilfe.“ Das Land habe eine starke Wirtschaft und sich in der Krise behauptet. Der Staat investiere in die Infrastruktur wie Autobahnen und Eisenbahnstrecken, aber auch in Rüstung wie Kampfhubschrauber und Kriegsschiffe.