Nach Marianne Birthler und Joachim Gauck ist er der dritte Amtschef. Die Behörde für die Stasi-Unterlagen soll mehr Aufklärung leisten.

Berlin. Er ist der Neue – und er könnte der letzte Verantwortliche sein, der die unseligen Stasi-Unterlagen und die Aufarbeitung des in der früheren DDR begangenen Unrechts verwaltet: Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Roland Jahn, 57, wird neuer Beauftragter für die Stasi-Unterlagen. Der Bundestag wählte ihn mit absoluter Mehrheit. Er bekam auch Stimmen aus der Links-Fraktion. Der parteilose Journalist tritt die Nachfolge von Marianne Birthler (63) an. Jahn wird insgesamt dritter Leiter der Bundesbehörde mit rund 1800 Mitarbeitern . Erster Chef war Joachim Gauck. Birthler scheidet nach zehn Jahren an der Spitze der Behörde turnusmäßig aus dem Amt. Der Amtswechsel ist nach dpa-Informationen für den 14. März geplant. Für Jahn stimmten 535 Abgeordnete. 21 Parlamentarier votierten mit Nein, 21 Abgeordnete enthielten sich. Gültig waren 577 Stimmen von 579 abgegebenen.

Jahn war 1983 in seiner Heimatstadt Jena Mitbegründer der oppositionellen „Friedensgemeinschaft Jena“ und wurde noch im selben Jahr nach verschiedenen Protestaktionen gegen das SED-Regime ausgebürgert. Seit 1991 arbeitet er als Redakteur des ARD-Politikmagazins „Kontraste“ und für den RBB. Er verfasste nach seiner Ausbürgerung zahlreiche Fernsehbeiträge über die Opposition in der DDR.

Vor Wahl Jahns hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die zehnjährige Arbeit von Marianne Birthler gewürdigt. Die frühere Bürgerrechtlerin habe sich mit großer Empathie für die Opfer des SED-Regimes eingesetzt und Geschichts- und Lebenslügen konsequent widerlegt, sagte Lammert.

Birthler sei es stets um den prinzipiellen Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur gegangen. Sie habe deutlich gemacht, dass die Stasi-Akten nicht nur als Dokumente der Repression gelesen werden müssten, sondern auch als Zeugnisse von Mut und Zivilcourage, sagte Lammert. Die Amtszeit des Bundesbeauftragten für die Stasi-Akten beträgt fünf Jahre. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. In die Amtszeit von Jahn könnte daher die Abwicklung der Behörde fallen. Der evangelische Theologe Gauck hatte die Stasi-Unterlagen-Behörde von 1990 an geleitet.

Der „Mitteldeutschen Zeitung“ sagte Jahn: „Ich sehe mich als Anwalt der Opfer. Das steht im Vordergrund.“ Birthler sagte, der Bundestag habe eine sehr gute Entscheidung getroffen, da sie fraktionsübergreifend sei und so das Amt des Bundesbeauftragten stärke. Der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, erklärte, vor Jahn liege eine schwierige Aufgabe. Jetzt müssten erhebliche Mängel in der Arbeit der Stasi-Unterlagen-Behörde beseitigt werden. Die nach der Einheit gegründete Behörde verwaltet nicht nur die Hinterlassenschaft der Staatssicherheit. Anliegen ist vielmehr, über die Strukturen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aufzuklären und so zur Aufarbeitung der SED-Diktatur beizutragen.

Die Stasi-Unterlagen-Behörde verwaltet in Berlin und in ihren ostdeutschen Außenstellen in den Archiven etwa 111 laufende Kilometer Papierakten des ehemaligen DDR-Geheimdienstes, darunter 39 Millionen Karteikarten. Hinterlassen hat die Stasi auch 47 Kilometer verfilmte Unterlagen. Hinzu kommen mehr als 1,4 Millionen Fotos, rund 30.000 Tondokumente sowie etwa 3000 Filme. Knapp 43 Kilometer Material wie Berichte von Inoffiziellen Mitarbeitern und Abhörprotokolle lagern allein im Berliner Archiv. Hinzu kommen mehr als 15.500 Säcke mit Schnipseln von zerrissenen Akten.

DDR-Bürgerrechtler hatten nach dem Mauerfall einen Teil der Akten gerettet. Viele Unterlagen wurden aber auch von Stasi-Mitarbeitern vernichtet. Seit Ende 1991 liegt mit dem inzwischen mehrfach novellierten Stasiunterlagen-Gesetz der rechtliche Rahmen für die Arbeit vor. Seit dem Bestehen der Behörde wurden 2,75 Millionen Anträge auf persönliche Akteneinsicht gestellt.