Hat Thilo Sarrazin sein Amt als Vorstand bei der Bundesbank aus Rücksicht auf den Bundespräsidenten abgegeben? Christian Wulff dementiert.

Berlin/Frankfurt. Wollte Deutschlands derzeit wohl umstrittenster Politiker Thilo Sarrazin (SPD) den Bundespräsidenten Christian Wulff nicht in eine ausweglose Lage treiben? Es darf weiter gerätselt werden über den Rückzug des Erfolgsautors ("Deutschland schafft sich ab") aus dem Vorstand der Bundesbank. Fragt man Sarrazin selbst, habe er aus Rücksicht vor Wulff eingelenkt und sein Amt niedergelegt. Das berichtet die "Bild". Andere Informationen hat die „Frankfurter Allgemeine Zeitung". Demnach war Wulffs Amt stärker als eingestanden in die Vereinbarung für Sarrazins Ausscheiden aus dem Banken-Vorstand eingeschaltet. Eine Bundesbank-Sprecherin stellte in Frankfurt klar: „Die Deutsche Bundesbank hat mit Herrn Dr. Thilo Sarrazin eine einvernehmliche Lösung gefunden und der Vorstand hat diese einstimmig gebilligt. Die Deutsche Bundesbank dankt dem Bundespräsidialamt für seine Vermittlung im Vorfeld dieser Regelung.“ Auch das Bundespräsidialamt dementiert den Bericht der "FAZ" energisch. Die Bundesbank selbst brach ihr auferlegtes Schweigen und wies die Darstellung zurück, sie habe sich die Bedingungen für Sarrazins Rückzug vom Bundespräsidialamt diktieren lassen. Der Chef des Bundespräsidialamtes, Lothar Hagebölling, erklärte, die zwischen der Bundesbank und Sarrazin erzielte Einigung „spiegelt den Willen beider Verhandlungspartner wider“. Das Präsidialamt habe eine Rolle als Mediator wahrgenommen. „Dazu gehörte, dass beide Seiten angehört wurden und Zeit und Gelegenheit hatten, Lösungsansätze zu beraten“, erklärte Hagebölling. Beide Parteien hätten Vertraulichkeit vereinbart.

Wulffs Sprecher Olaf Glaeseker hatte am Wochenende erklärt: „Alle inhaltlichen Vereinbarungen wurden ausschließlich von den Vertragspartnern getroffen.“ Das Bundespräsidialamt habe lediglich „die Rolle der Mediation im Rahmen rechtlichen Gehörs der Beteiligten übernommen“. Sarrazin sagte zu seinem Rückzug: „Wäre ich stur geblieben, hätte das den Bundespräsidenten - weil er sich so weit vorgewagt hatte - und das Staatsamt beschädigt. Das wollte ich nicht.“ Er sei Staatsbürger und jahrzehntelang Staatsdiener gewesen und habe niemanden in eine ausweglose Situation treiben wollen. Eine Abberufung durch Bundespräsident Wulff wäre angreifbar gewesen, sagte der frühere Berliner Finanzsenator, gegen den auch ein Ausschlussverfahren der SPD läuft: „Wenn ich sage, die überwiegende Rechtsmeinung hätte eine Abberufung als rechtswidrig eingestuft, dann ist das eher eine Untertreibung.“ Sein Telefon habe vor lauter Verfassungsrechtlern nicht stillgestanden.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass das Bundespräsidialamt im Fall Sarrazin nur im Rahmen seiner Mediatorentätigkeit aktiv geworden ist. Sie wollte die Angelegenheit ebenfalls nicht näher kommentieren. Die Regierung bewerte nicht, was das Präsidialamt in seiner Mediatorenarbeit getan habe, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die Regierung sei an den Gesprächen nicht beteiligt gewesen.

Nach der Vermittlungsaktion des Präsidialamts kündigte Sarrazin seinen Rückzug an. Im Gegenzug verzichtete die Bundesbank auf inhaltliche Vorwürfe gegen ihr Vorstandsmitglied, er habe dem Image der Bundesbank mit seinen diskriminierenden Äußerungen gegenüber Migranten geschadet. Besonders Bundesbank-Präsident Axel Weber, der als Nachfolger von Europas oberstem Währungshüter Jean-Claude Trichet gehandelt wird, dürfte Interesse an einem baldigen Ende der Debatte haben: Die Notenbank hebt immer wieder ihre vollkommene Unabhängigkeit von der Politik hervor.

Nach dem „FAZ“-Bericht soll das Amt von Wulff mehr Einfluss auf die Bundesbank genommen haben als eingeräumt. Die Zeitung berichtet, Vertreter Wulffs hätten zunächst allein mit Sarrazins Anwalt Stefan Eiden über den Rückzug seines Mandanten aus der Notenbank verhandelt und dessen Bedingungen akzeptiert. Nach dieser Darstellung „aus dem Umfeld der Bundesbank“ soll selbst der Pressetext, den die Bank am nächsten Tag veröffentlichte, in dieser Sitzung in wesentlichen Teilen diktiert worden sein. Bei einem zweiten Treffen habe dann auch ein Vertreter der Bundesbank teilgenommen. Dabei sei der Pressetext in einem Punkt geändert worden, nicht aber die anderen Vereinbarungen - etwa zur Höhe der Pension.

Gabriel warnt vor Missbrauch der Meinungsfreiheit

Unterdessen verteidigt SPD-Chef Sigmar Gabriel das Vorgehen seiner Partei gegen Mitglied Sarrazin. Meinungsfreiheit dürfe “kein Deckmäntelchen“ für verantwortungsloses Gerede von Politikern sein, “egal ob sie im Bundestag sitzen oder in der Bundesbank“, sagte Gabriel am Mittwoch in der Generaldebatte des Bundestages in Berlin. Ein “harter politischer Streit“ sei sicherlich bei der Integration notwendig, doch dürfe dies nicht dazu führen, Vorurteile zu schüren.

Gabriel räumte ein, dass jahrelang in der Integrationsdebatte die Augen davor verschlossen worden sei, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland sei. Richtig sei auch, dass SPD und Grüne von Multikulti geträumt hätten. Dies dürfe aber nicht darin münden, “mit Ressentiments Politik zu machen“. Jeder Bürger dürfe alles sagen und denken “aber die zur Führung zählen dürfen das eben nicht“, sagte Gabriel. Mit Blick auf die Auseinandersetzung um Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach (CDU) fügte er hinzu, das gelte auch für historische Ressentiments.