Russische Politiker trauerten öffentlich. In den Medien wurde diskutiert, ob Kaczynski selbst den Befehl zum Landen gegeben haben könnte.

Moskau. „Merkwürdige Tragödie“, „Mystisch“, „Ein neues Katyn“ – Russland suchte nach der Flugzeugkatastrophe von Smolensk nach Erklärungen für das Unfassbare. Kann der Tod des scharfen Russland-Kritikers Lech Kaczynski in einer russischen Maschine nach russischer Reparatur und dann noch ausgerechnet in Katyn, dem russischen Ort eines Sowjetmassakers an polnischen Offizieren starben, ein Zufall sein?

Weil Präsident Dmitri Medwedew und sein Regierungschef Wladimir Putin wohl genau solche Fragen befürchten, zogen sie schon vor dem Staatstrauertag am Montag alle Register – für die Einigkeit mit Polen im Schmerz. Prominent präsentierten russische Medien am Montag, wie der oft als gefühlskalt beschriebene Putin den polnischen Regierungschef Donald Tusk in die Arme nimmt. Das Bild der beiden Männer in inniger Umarmung brachte die Moskauer Zeitung „Kommersant“ auf der Titelseite - als Symbol und Chance für eine polnisch-russische Versöhnung.

Doch nach dem Unglück in Smolensk nahe Katyn gab es auch in Moskau Ängste vor neuen Gräben zwischen Polen und Russen. „Möglich, dass sich beide Seiten endgültig voneinander abwenden“, meinte die Zeitung „Wedomosti“. Viele Zeitungen erschienen mit schwarzem Rand als Zeichen der Trauer.

Der Friedensnobelpreisträger und Ex-Sowjetpräsident Michail Gorbatschow lobte die russische Führung als vorbildlich, sowohl menschlich als auch bei der organisatorisch-technischen Abwicklung der Unglücksfolgen. In der russischen Hauptstadt trafen viele Angehörige der mehr als 90 Opfer ein, um die Toten zu identifizieren und gemeinsam mit psychologischem Beistand zu trauern. Medwedew veröffentlichte seine TV-Rede an das polnische Volk im Internet auf Polnisch. Das russische Fernsehen wiederholte einen in Russland lange verbotenen Film über Katyn und verzichtete am Montag auf Werbung und Unterhaltung. Russland verneigte sich vor den Polen.

Am Unglücksort rund 400 Kilometer westlich von Moskau kamen immer wieder Anwohner zusammen, um den Toten die letzte Ehre zu erweisen. Schweigend legten sie Blumen nieder. „Es ist eine Tragödie für Polen, es ist eine Tragödie für alle Länder“, sagte eine junge Frau. Ein rot-weißes Absperrband flatterte rauschend im Wind. Von der Straße aus waren noch immer Wrackteile zu sehen. Auf dem Auto eines polnischen TV-Teams lag eine rote Nelke. „Wir sind bei Euch“, schrieb die regierungskritische Zeitung „Nowaja Gaseta“ auf Polnisch.

Doch nichts trieb viele Russen so sehr um, wie die Umstände dieser Tragödie. Auch russische Medien diskutierten, ob Kaczynski trotz Warnungen des Towers Befehl zum Landen gegeben und den Piloten bedrängt haben könnte. Das war schon einmal passiert – doch als er 2008 im damaligen Kriegsgebiet Georgien landen wollte, widersetzte sich der Pilot. Aber selbst wenn dieser andere Pilot nun einen Befehl gehabt haben sollte, fragten sich viele, wie es zu dieser Katastrophe mit 96 Toten kommen konnte.

Gorbatschow warnte vor Verschwörungstheorien, wie sie traditionell bei Russlands Katastrophen Konjunktur haben. „Es ist ein schreckliches Unglück, und Mystifizierung ist hier nicht am Platz“, mahnte Gorbatschow in der „Nowaja Gaseta“. Kaczynski habe es eilig gehabt, in Katyn mit den Wartenden an die auf Stalins Befehl vor 70 Jahren ermordeten Polen zu erinnern. Russen und Polen bräuchten Verständnis und Vertrauen füreinander. „Wir sind Brüder“, betonte Gorbatschow.

Doch Moskaus Medien begannen damit, sich ihren eigenen Reim auf das Unglück zu machen. Die Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ erinnerte daran, dass der vom georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili kontrollierte TV-Sender Imedi in einer gefälschten Kriegsreportage Mitte März zur besten Sendezeit den Tod von Kaczynski habe verkünden lassen. EU, NATO und viele andere verurteilten die gefälschte Nachrichtensendung über einen angeblich neuen Einmarsch russischer Truppen in Georgien. In Georgien gerieten die Menschen wegen des fingierten Kriegsberichts in Panik. Die Reporter hatten gemeldet: Das Flugzeug Kaczynskis, des Freundes Georgiens, sei von den Russen gesprengt worden.