Stephan Weil ist Niedersachsens Regierungschef. Seine Bewährungsprobe kommt noch

Die Stunde der Wahl hat Stephan Weil bestens überstanden. Ohne Glanz, ohne Gloria, aber wieder genau auf den Punkt. "Ein gutes Hannoveraner Pferd springt immer nur so hoch, wie es gerade muss", hat Niedersachsens neuer Ministerpräsident den knappen rot-grünen Sieg bei der Landtagswahl im Januar kommentiert. Er hat sich an diese Weisheit gehalten. 69 zu 68 Stimmen. Alle Koalitionsabgeordneten für ihn, alle Oppositionellen gegen ihn. Keine Enthaltung. Klare Kante, kein Gedibber, erst recht kein "Heide-Mord".

Machtwechsel in Niedersachsen. Es geht also wieder ziemlich solide zu zwischen Harz und Heide, bodenständig, ordentlich, ein bisschen bieder, ein bisschen langweilig. Wie das Land, so die Politik. Kein schlechter Start also für einen "einfachen Bier-trinkenden Juristen", wie sich Stephan Weil gern mal selbst charakterisiert.

Die Stunde der Wahrheit allerdings kommt erst noch für den neuen Hausherrn in Niedersachsens Staatskanzlei, für seine feuereifrige rot-grüne Koalition. Nach der Bundestagswahl im Herbst. Dann werden SPD und Grüne tatsächlich die Karten auf den Tisch legen müssen. Und zwar ganz unabhängig davon, wer in den folgenden Jahren in Berlin regiert.

Wären es die eigenen Leute, schaffte Rot-Grün also auch im Bund den Wechsel, müssten sich Niedersachsens Regierungspartner zum Beispiel tatsächlich noch entscheiden, ob sie Bau und Ausbau von Autobahnen für eine zentrale Komponente wachstumsorientierter Wirtschaftspolitik halten. Oder ob man auf "Wahnsinnsbetonpisten" (Grünen-Jargon) wie die A 20 nicht genauso gut verzichten kann. Derzeit erklärt man in Hannover wie in Kiel kurzerhand beides für richtig und kehrt diese Sollbruchstelle rot-grüner Regierungsbündnisse mit freundlichem Verweis auf den knauserigen Herrn Ramsauer von der bösen CSU kurzerhand unter den Teppich.

Wo wir gerade beim Thema sind: Hier wie dort wird ja insbesondere von SPD-Ministerpräsidenten gern beklagt, dass der Norden bei großen Infrastrukturprojekten vernachlässigt wird gegenüber dem Süden. Angesichts der Signale, die von den Koalitionsverträgen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen ausgehen, sollte man sich derlei Krokodilstränen vorläufig sparen.

Andererseits: Bliebe Rot-Grün im Bund über den Herbst hinaus Opposition, liefe Stephan Weils Koalition mit ihren anspruchsvollen Plänen zum Ausbau des Bildungssystems ruck, zuck auf Grund. Alle bildungspolitischen Investitionen, von der Einrichtung von Ganztagsschulen über die Schaffung neuer Kita-Plätze, Integration im Bildungsbereich bis zur Abschaffung des "Sitzenbleibens" sind personal-, also extrem kostenintensive Projekte. Das ist Geld, das Niedersachsen schlichtweg nicht hat; und von Angela Merkel absehbar auch nicht bekommen wird. Eine Bundesratsmehrheit reicht dafür nicht.

Also werden ohne Rot-Grün im Bund alle neuen niedersächsischen Flausen am Ende Makulatur. Von der Inklusion, also der Abschaffung des getrennten Unterrichts von Menschen mit und ohne Handicap, mal ganz zu schweigen. Das wird ohnehin die größte schulpolitische Herausforderung der kommenden Jahre. Jede Menge Zündstoff, jede Menge Gelegenheiten, Geld zu verbrennen, im besten Fall wenigstens effizient zu investieren.

Stephan Weil wird seine kommunalpolitische Erfahrung also gut gebrauchen können, um die Herausforderungen zu meistern, die vor ihm liegen. Dass er auf sie in seiner Regierungserklärung konkret nicht eingegangen ist, stattdessen etwas wolkig von "dicken Brettern" und "langem Atem" fabulierte, ist dennoch eine lässliche Sünde.

Zum einen ist Weils Bildungsplan unter den genannten Bedingungen zumindest in sich konsistent und nachvollziehbar. Zum anderen war dieser 19. Februar für Rot-Grün nach zehn Jahren in der Opposition nun mal ein Festtag. Und Feste, auch diese Binse gehört zu Niedersachsen, muss man dann auch mal feiern. Gemäkelt wird ab heute.