Gegen Denglisch scheint kein Kraut gewachsen. Ist das noch normal? Oder ist der inflationäre Gebrauch eine Missachtung der Muttersprache?

Hamburg. Niemand kann Anglizismen entgehen. Mitten in Hamburg könnte die U4 bald am "Chicago Square" halten. Täglich grüßt im Fernsehen ein "Blockbuster". Beim "Crash" vertrauen wir auf die urschwäbische Erfindung des "Airbags". Man wendet sich an den "Facility Manager", wenn die Glühbirne im Treppenhaus ausgebrannt ist, und freut sich aufs Stöbern bei Schlecker, denn da gibt's: "For You. Vor Ort."

Und niemanden scheint es auch zu stören, dass einige dieser eingedeutschten englischen Wörter eine ursprünglich vollkommen andere Bedeutung besitzen: Mit "Blockbustern" ("Häuserknackern") hatten die Alliierten im Zweiten Weltkrieg deutsche Innenstädte ausradiert. Wer sich zum "Public Viewing" einfindet, nimmt eigentlich an einer öffentlichen Leichenschau teil.

+++ Die Welt zu Gast bei Sprachlosen +++
+++ Wie wir unsere Sprache zerstören +++

Aber "Facility Manager" klingt ja auch viel wertiger als "Hausmeister", "Airbag" internationaler als "Luftsack". Und mal ehrlich: Kennen Sie etwa jemanden, der in einem Matratzen-direkt-ab-Fabrik-Verkaufsgeschäft (Matratzen-Outlet) mit seinem Klapprechner (Laptop) unterm Arm eine bestehende Funkverbindung (Hot Spot) suchen würde, um sich ans Weltnetz (Internet) anzuschließen (einzuloggen) und seine elektronische Post (E-Mail) zu lesen und gegebenenfalls herunterzuladen (downzuloaden)? Apropos Weltnetz: Wieso sagen wir eigentlich "browsen" und nicht "brrrausen"?

"Mit dem Wort 'Anglizismen' kann ich nichts anfangen. Denn es gibt gute und es gibt schlechte", sagt einer der unermüdlichsten Streiter für den korrekten Gebrauch der deutschen Sprache, Wolf Schneider. "Übernommene englische Wörter wie 'Sport' und 'fair', 'Start' und 'Stop' oder 'Flirt' und ,Sex' sind eine Bereicherung. Jeder kennt sie, jeder versteht sie, sie sprechen sich leicht aus, sodass gegen ihre Verwendung auch überhaupt nichts spricht."

"Die Verrücktheit" beginnt für Schneider jedoch dort, "wo man Dinge, für die wir deutsche Namen hätten, trotzdem englisch benennt". Etwa wenn die Belegschaft eines deutschen Unternehmens plötzlich zu "Human Resources" mutiere. Vor allem die Wirtschaft, so Schneider, sei offenbar besessen davon, sich mit törichten und überflüssigen Anglizismen selbst zu beschädigen, indem sie Millionen Euro für Werbekampagnen verschleudere, die schlicht und einfach nicht verstanden würden: "Der Sat.1-Slogan 'Powered by Emotion' wurde von den Zuschauern häufig mit 'Kraft durch Freude' übersetzt, besonders von den Älteren."

Linguisten der Universität Hannover fanden 2004 heraus, dass 30 Prozent der Werbesprüche in englischer Sprache getextet waren, gegenüber drei Prozent in den 1980er-Jahren. Die repräsentative Studie der Kölner Endmark AG wies schon ein Jahr vorher nach, dass der Durchschnittsdeutsche bei den meisten englischen Werbesprüchen lediglich "Railway Station" versteht, nämlich "Bahnhof".

So scheiterten 85 Prozent der Befragten bereits an "Be inspired" (Siemens mobile) und sogar 92 Prozent an "One Group. Multi Utilities" (RWE). Annähernd korrekt übersetzen konnte die Hälfte der Befragten "Every time a good time" (McDonald's) und "There's no better way to fly" (Lufthansa). Verheerend fiel der Test dagegen bei "Come in and find out" (Douglas) aus, was viele der Befragten mit "Komm rein und finde wieder heraus" übersetzten, sowie bei "Drive alive" (Mitsubishi): "Fahre lebend". Dieses Ergebnis bewog die Kreativen letztlich, sich wieder mehr auf die deutsche Sprache zu besinnen.

"Es stimmt, der Trend, sich mit englischen Claims bei der Jugend anzubiedern, geht zurück", sagt Dörte Spengler-Ahrens, Kreativ-Direktorin bei der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt. Eine Erklärung sei, dass die deutsche Sprache in der Popmusik einen mindestens ebenso hohen Stellenwert besitzt wie die englische. "Natürlich kann man heutzutage in der Werbung nicht gänzlich aufs oftmals geschmeidigere Englische verzichten, denn viele deutsche Wörter klingen einfach zu hölzern und gestelzt." Dennoch würden Anglizismen in der Werbung zunehmend "scherzhaft" eingesetzt.

Wie so eine Ironie klingt, zeigt zurzeit etwa Axel Springer, wo man mit sinnfreien Wortkaskaden versucht, junge Talente für seine Ausbildungsprogramme zu gewinnen: "Praktikantin mit Style-O-Rama Qualities für Corporate People Brainflow Management" wird da unter anderem plakatiert, dabei geht es bloß um "Personalentwicklung".

Tatsächlich sind die Deutschen - anders als Franzosen - sehr empfänglich dafür, englische Wörter in ihre Muttersprache zu integrieren. Linguisten der Universität Bamberg stellten anhand von Material aus der Zeitung "Die Welt" eine Zunahme von Anglizismen in der deutschen Sprache fest: Von 1994 bis 2004 hatte sich dort die Verwendung von englischen Substantiven verdoppelt. Auch die Anzahl der Verben und Adjektive hatte zugenommen. Insgesamt, heißt es in der Studie, habe "der Anglizismengebrauch in zehn Jahren um den Faktor 1,7 zugenommen".

Auch heute sieht der Bamberger Professor Helmut Glück einen Grund darin, dass die deutsche Sprache der englischen ähnlich sei und überdies auch sehr flexibel. "Zum anderen hat der Gebrauch von Anglizismen einen historischen Hintergrund", sagt Glück, "denn nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg war sozusagen alles, was aus Amerika stammte, erst einmal vorbildlich - so auch viele Begriffe, mit deren Verwendung man sich ganz bewusst vom Nazi-Jargon abgrenzen konnte."

Tatsächlich hatten sich die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und damit auch sprachlich maßgeblichen Kreise in Deutschland sofort nach dem Zusammenbruch an der neuen Führungsmacht orientiert. Für die deutsche Sprache bedeutete dies, dass die amtierenden Führungsschichten damals begannen, die fremde angloamerikanische Sprache höher einzuschätzen als die eigene.

+++ Ramsauers Klapprechner +++

"Es gibt die These, wir hätten nach dem Krieg ein schlechtes Gewissen gegenüber der deutschen Sprache gehabt", sagt Wolf Schneider. Aber das stimme nicht so ganz, denn die ersten wichtigen Begriffe seien noch übersetzt worden: "Wir haben die Luftbrücke nicht 'airlift' genannt, wir haben aus dem 'self-service' die Selbstbedienung gemacht und aus dem 'pocket book' das Taschenbuch." Aber dann seien in den 1950er- und 1960er-Jahren Elvis Presley, die Beatles und die Rolling Stones verstärkt ins Radio gekommen. "Bevor der deutsche Schüler in die Schule ging, hatte er beim Frühstück schon mehr Englisch als Deutsch gehört", sagt Schneider.

Heute wird durch viele Anglizismen häufig eine "Bedeutungsverschlechterung" erreicht, meint wiederum Professor Glück. "Nehmen Sie das Beispiel des 'Facility Managers'. Das klingt zunächst natürlich unverdächtiger und schicker, doch in Wahrheit wertet diese Bezeichnung diesen ehrbaren Beruf ab." Allerdings, so Glück, würden ihn die Anglizismen selbst gar nicht mal so sehr stören, wohl aber ihre Massierung. "Ihr Gebrauch ist immer eine Frage des Stils und der Ästhetik. Und es sind ja nicht unbedingt die gebildeten Menschen, die dieses Kantinen-Englisch sprechen."

Glücks Universitätskollege Professor Thomas Becker sieht die Situation dramatischer. Er spricht bereits von einem "schweren Einbruch", wenn er den gegenwärtigen Stellenwert des Deutschen in der internationalen Wissenschaftsszene betrachtet. "In vielen naturwissenschaftlichen Fachbereichen wie zum Beispiel der Medizin, der Chemie oder der Biologie sind wir inzwischen nur noch drittklassig", sagt er, "und wenn deutsche Wissenschaftler nicht in der Lage sind, ihre Forschungsergebnisse in Englisch zu kommunizieren, finden sie auf dem internationalen Parkett nicht mehr statt."

Sollte die deutsche Sprache daher nicht langsam mal geschützt werden - vielleicht sogar nach französischem Vorbild per Gesetz?

Das Gesetz zum Erhalt der französischen Sprache ("Loi Toubon") von 1994, benannt nach dem damaligen Kultusminister Jacques Toubon, verbietet die Verwendung englischer Wörter und droht bei Zuwiderhandlung mit saftigen Strafen - zum Beispiel beim Gebrauch englischer Werbesprüche ohne gleichzeitige französische Übersetzung. Vom Jahr 2000 an wurden Frankreichs Medien durch ein weiteres Sprachgesetz verstärkt an die Kandare genommen: Demnach sind alle Unterhaltungsmusikprogramme verpflichtet, mindestens 40 Prozent französischsprachige Lieder zu senden. Mindestens die Hälfte dieser Lieder muss dann wiederum "von neuen Talenten oder neuen Produktionen" stammen.

Die klugen Deutschen schüttelten die Köpfe und beschimpften ihre französischen Nachbarn als "Sprachchauvinisten". Doch "dass die Eliten der Welt sich zunehmend ausschließlich in Amerika aus- und weiterbilden, ist durchaus ein ernsthaftes politisches Problem auch für unser Land, auf das uns die französische Sprachpolitik aufmerksam macht", schrieb der Berliner Professor für romanische Philologie, Jürgen Trabant, bereits im Jahr 2001.

Die Kritiker der französischen Gesetze wandten ein, dass sich zahlreiche staatlich verordnete Wortschöpfungen im Alltagsgebrauch nie durchsetzen würden. Kein Franzose - wahrscheinlich nicht einmal die ehrwürdigen Gralshüter der Académie française - würde etwa das Wochenende als "Vacancelle" bezeichnen. Stattdessen heißt es in den französischen Büros nach wie vor "Week-End" - und für den Gebrauch dieses Wortes wurde auch noch nie jemand bestraft. Dagegen findet man heute im Informatik- und Elektronikbereich jede Menge Beispiele für die erfolgreiche Einführung neuer Begrifflichkeiten durch die amtliche Neologismenkommission: "PC" heißt "ordinateur", "Software" firmiert unter "logiciel" und Hardware unter "matériel".

Auch in den deutschen Dependancen der großen Computerfirmen gibt es konkrete Pläne, englische Begriffe einzudeutschen. Damit will man vor allem die Älteren erreichen, die einzige Käufergruppe, die "computermäßig" noch nicht gesättigt ist - und in der Regel weniger Englisch versteht.

Nicht wenige Sprachexperten meinen, dass der inflationäre Gebrauch von Anglizismen als "Mangel an Sprachtreue und an Sprachloyalität gegenüber der Muttersprache angesehen werden kann", so ein Kommunique des Vereins Deutscher Sprache (VDS), der sich seit 1997 "gegen überflüssige Anglizismen wehrt". Der Duden, so die Sprachhüter, enthalte ungefähr 500 000 Einträge. Daran gemessen seien Anglizismen eine Minderheit. Goethe verwendete in seinem Gesamtwerk ca. 90 000 Wörter, zur allgemein gebräuchlichen Standardsprache gehörten rund 75 000 Wörter. Der Wortschatz, den der Durchschnittsdeutsche aktiv verwendet, belaufe sich jedoch gerade mal auf 5000 bis 10 000 Wörter. Da sehe es dann mit dem Gebrauch von Anglizismen schon anders aus. Nach Umfragen sorgen sich die Deutschen sowieso um ihre Muttersprache, so der VDS.

Dem widersprechen die beiden Bamberger Professoren: Dafür sei die deutsche Sprache einfach zu stark. Auch Wolf Schneider hält es für übertrieben, den "Untergang der deutschen Sprache herbeizureden. Sie ist schließlich immer noch die vierthäufigste gelehrte Sprache auf Erden. Aber es sind die mutwilligen oder fahrlässigen Selbstbeschädigungen, über die man schon mal seufzen darf".

Zurzeit veranstaltet der 86 Jahre alte Journalist und Autor ("Speak German!", Rowohlt, 8,95 Euro) Grammatik-Seminare für Führungskräfte und Berliner Ministerien. "Ich bin wahrscheinlich die Speerspitze der Gegenbewegung zum Burn-out-Syndrom", sagt er. Ganz ohne Anglizismen geht es eben doch nicht.