Selbstinszenierung war sein Metier, gegen den Kunstbetrieb rebellierte Kippenberger. Die Kunsthalle zeigt auch seine Werke.

Hamburg. Meinten Sie: Fiffen, Kaufen Verkaufen? Nicht schlecht geraten, Google! Möglich, dass ein verdattertes Kunstpublikum genau das vermutete, als es vor mehr als einem Vierteljahrhundert Fiffen, Faufen Ferfaufen las. Aber wohin mit dem albern-anzüglichen Zungenbrecher von Martin Kippenberger? Der F-Dreiklang ist so mysteriös-eindeutig wie jenes balkendurchwirbelte Bild desselben Künstlers mit dem Titel "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken". Wird hier ein böses Spiel mit dem Publikum betrieben? Sehr wohl, meinte das Gros der Kunstkenner und schickte den "Fiffen, Faufen Ferfaufen"-Autor in die Hölle. Erst als er 1997 an den Folgen seines Alkoholkonsums in Wien starb, wendete sich das Blatt.

Martin Kippenberger erklomm posthum den Olymp der Künste. Seinem einst geächteten Witz und Spott wird mittlerweile Genialität bescheinigt. Der als Enfant terrible verschriebene Künstler verwandelte sich zum Aushängeschild für unbeugsame deutsche Kunst. Die unterste Schublade zu ziehen, aber auch den intelligenten Humor zu pflegen war oberstes Gebot für einen, der schon sehr früh wusste, wohin ihn sein Weg führt: nach oben. Gleichwohl schlug Kippenberger dabei in Gedanken bereits die entgegengesetzte Richtung ein, wenn er seinem Publikum Widmungen à la Oscar Wilde in seine Publikationen schrieb: "Für alle, die ich auf dem Weg nach oben treffe, weil ich sie auf dem Weg nach unten wieder treffe." Das war direkt, ehrlich, charmant und ganz ohne Hintersinn - die eine Seite des Künstlers. Die andere bestand in Bissigkeit, Spott, im künstlerischen Hantieren entlang beider Seiten der Gürtellinie.

Kippenberger stand der Sinn nach Totalangriff. Er rebellierte gegen den gesamten Kunstbetrieb, gegen die Legende vom einsamen Künstlergenie bis hin zur Museumshierarchie. Pubertärer Witz war da nur Mittel zum Zweck, Schlägereien unvermeidbares Übel, deren Blessuren am eigenen Leib Kippenberger geschickt zur Imagebildung nutzte.

Man kann Kunst aus Kunst oder Kunst aus dem Alltag machen. Zweifelsohne entschied sich Kippenberger für beides. Im Alltag nämlich liegen offen die Unstimmigkeiten, die Sentimentalitäten, die Ideologien brach, die in Kunst und Kultur durch ihre Aura dezent im Hintergrund verschwinden. Das Ungelenke, Dümmliche, manchmal auch Treudoofe, Gutgläubige und ungewollt Komische tritt im Alltag besser zutage als in der Kunst. Kippenberger war ein Meister darin, in naiven Gesichtsmimiken, in den unfreiwillig komischen Konstellationen des Alltags kulturelle Altlasten zu entblößen. Umgekehrt diente ihm moderne Kunst als ideale Projektionsfläche für zotige Spiele. "Krieg böse", eine der bekanntesten Serien von Kippenberger, zeigte einen Nikolaus die Rute milde drohend vor einer Panzerkanone schwingen. Friedensbewegte und klassenkämpferische Gemüter fühlten sich da leicht auf den Schlips getreten wie auch der Lächerlichkeit von dem Bild einer treuherzig dreinblickenden DDR-Pionierin preisgegeben. Mit anderen Bildern zitierte Kippenberger eine überwiegend abstrakte Moderne, deren viel gelobte metaphysische Transzendenz er schonungslos in die Niederungen platter Witze zog. Im Gemenge abstrakter Striche entdeckte er seinen Zahnstocher, den "Aufstand der Frühaufsteher" oder das bereits oben erwähnte unauffindbare Hakenkreuz - ein Seitenhieb auf die Sittenwächter der Ästhetik, die in allem und jedem die Manifestation ominöser Mächte vermuten

Was Martin Kippenberger für die aktuelle "Pop Life"-Schau interessant macht, ist sein unaufhaltsamer Drang zur Selbstinszenierung. Schon Filmautorin Gisela Selly Augstein erzählt von dem überaus selbstbewussten jungen Künstler, der eine erste Gelegenheit zur Selbstinszenierung in seiner Filmrolle eines Polizisten mit Schäferhund fand. In Kippenbergers Briefen und Postkarten an Selly aus Florenz keimt bereits der Selbstdarsteller und Alltagsverwerter Kippenberger heran. "Pop Life" präsentiert sie als eigenständige Schau in der Schau.

Auch Künstlerkollege Albert Oehlen erinnert sich, wie Kippenberger mit ungekannter Selbstüberzeugung die Feiern zu seinen 25. Geburtstag in Berlin plante: ein Vierteljahrhundert Kippenberger mit Katalog. "Er hat da auf ziemlich extreme Weise Werbung für sich gemacht." In Berlin eröffnete Kippenberger ebenso die legendäre Paris Bar sowie das Büro Kippenberger, beides Orte, die der Künstler als öffentliche Stätten seiner selbst nutzte. In dieser gezielt herausfordernden Selbstbehauptung und Aneignung öffentlich zugänglicher Orte sehen die Kuratoren von "Pop Life" nachhaltig das Erbe der Pop Art, allen voran von Andy Warhol, walten. Ähnlich aneignend verfuhr Kippenberger 1993 mit einer Einladung des Centre Georges Pompidou für eine Retrospektive, deren ersten Raum "Pop Life" rekonstruiert. Das Pariser Museum düpierte Kippenberger, indem er die Einladung allein zur Darstellung und Promotion seines öffentlichen Images nutzte. Mit "Candidature à une Retrospective" gab Kippenberger ebenso seinen Kollegen, unter ihnen Mike Kelley, Franz West, Christopher Wool und Jeff Koons, Raum zur Ausbreitung. Zeit seines künstlerischen Lebens hatte er die Vorstellung vom solitären künstlerischen Individuum abgelehnt. Vielmehr suchte er künstlerische Kollaborationen oder beauftragte andere mit der Ausführung seiner Ideen.

Dennoch: Die Regie in diesem Theater führte allein Kippenberger. Auch dem Autor dieses Textes widerfuhr einmal diese Umwandlung des Fremden ins Eigene, als er seine Ankündigung einer Kippenberger-Ausstellung gerahmt und als käufliches Werk in besagter Ausstellung wiederfand. Selbstinszenierung ist immer auch der Kampf um das letzte Wort.

Sein Gemälde „Fliegender Tanga“ wurde übrigens am 11. Februar bei Christie’s in London für 2,5 Millionen Pfund (2,8 Millionen Euro) versteigert – damit erreichte das Werk zwar einen mehr als doppelt so hohen Preis wie erwartet, kam jedoch nicht an Kippenbergers persönliche Bestmarke heran. Im Mai 2009 war eine seiner Arbeiten in New York für 4,1 Millionen Dollar (damals 3 Millionen Euro) ersteigert worden.