Am Freitag beginnt die Schau in der Galerie der Gegenwart, die die großen Vermarktungskünstler unserer Zeit zeigt.

Hamburg. Am Anfang war das Strichmännchen - und am Ende, auf tragische Weise, auch. Denn je näher er seinem Aids-Tod am 16. Februar 1990 kam, desto mehr ähnelte Keith Haring seinen Graffiti-Geschöpfen. Fotos aus jener Zeit zeigten den 31 Jahre alten Mann enthaart, wie ein großes trauriges Baby.

Keith Haring, 1958 in einer Kleinstadt in Pennsylvania geboren, war ein Kind seiner Zeit. In dieser Provinz ist er nicht vor einer gut gefüllten Bücherwand mit Shakespeare, Faulkner und Whitman groß geworden, sondern mit Comic-Heften und TV-Cartoons. Seine Idole hießen nicht Dürer, van Gogh oder Picasso, er bewunderte Walt Disney und George Schultz, den Vater der "Peanuts".

Harings Ausbildung war vom Feinsten: Er besuchte die Kunstschulen von Pittsburgh und New York und hat seine Hausaufgaben dort gründlich gemacht. Von Matisse bis Pollock, von Wittgenstein bis Barthes reichte die Palette seiner Interessen. Doch dann ging der Sprayer mit ihm durch. In den U-Bahn-Schächten New Yorks markierte er sein Revier mit Graffiti-"tags". Er haute im Rekordtempo lustige Männchen, die sich vor Lebensfreude buchstäblich überschlagen, auf Wände und Waggons. Die U-Bahn-Graffiti waren für ihn "bewegliche Kunst", "Bilder, die zu einem kamen anstatt umgekehrt". Es waren aber wohl auch bewusstseinserweiternde Mittel jenseits der Legalität im Spiel. Dort, wo Haring herkam, gab's so etwas nicht.

Ein geschäftstüchtiger Galerist erkannte das Talent hinter den putzigen Zeichnungen, die auf Sex, Drogen und Harings Underground-Vorstellung von Rock 'n' Roll anspielten, und von da an ging's bergauf. 1982 wurde er zur documenta nach Kassel und zur Biennale in Venedig eingeladen.

Theoretiker geheimnisten in Harings Stil Einflüsse archaischer Kunst aus Südamerika und Afrika hinein, staunten über den Einfluss fernöstlicher Kalligrafie. Für die Kids mit den Gettoblastern auf der Schulter war das egal, für sie waren Harings Zeichnungen einfach cool. Mehr muss ja gar nicht.

1986 notierte Haring: "Äußerlich bin ich jetzt 28 Jahre alt, innerlich etwa zwölf. Ich möchte immer zwölf bleiben." Michael Jackson winkt mit dem weißen Handschuh und erinnert daran, dass Pop ewige Jugend verspricht. Das war das Jahr, in dem Haring ein 100 Meter langes Stück der Berliner Mauer bemalte.

Als Keith Haring im selben Jahr seinen ersten "Pop Shop" in der New Yorker Lafayette Street in SoHo eröffnete, war das nicht nur Teil seines künstlerischen Distributionsprozesses, der dafür sorgen sollte, dass größere Mengen seiner Produkte zum Endverbraucher gelangen konnten. Es war auch nicht nur die Idee, eine begehbare Selbstinszenierung für jedermann zu haben, die hip war und anders. Es war schlicht auch ein Akt kommerzieller Notwehr.

Weil seine Graffiti an U-Bahn-Wänden so flott zu fertigen waren, dass Haring es oft schaffte, der Verhaftung durch Abhauen zu entgehen, konnten sie auch schnell kopiert werden. Haring-T-Shirts und Buttons herzustellen, ohne dass Haring an den Erlösen beteiligt war, war keine Kunst, sondern kinderleicht produzierbarer Fake, an jeder New Yorker Straßenecke zu verhökern.

Zwei Jahre nach der Premiere dort folgte ein "Pop Shop" in Tokio. Dort wurden, an die Vorlieben des Kunden angepasst, auch Fächer und Kimonos verkauft, auf denen Harings Markenzeichnungen herumkasperten - und womöglich sogar das japanische Verkaufskunstgenie Takashi Murakami inspirierten.

"Ich bin jetzt Teil der weltweiten Popkultur", freute sich Haring über den doppelt gelungenen PR-Coup, "ich wollte den Laden zu einem Ort machen, zu dem nicht nur Sammler kommen konnten, sondern auch Kids aus der Bronx." Beide ließen nicht lang auf sich warten, denn dort gab es alles, was das Herz begehrte: T-Shirts, aufblasbare Babys, Skateboards, Baseballkappen, Swatch-Kühlschrankmagnete und Armbanduhren. Alles à la Haring.

Haring bot seinen Bewunderern im "Pop Shop" Originale an, keine Unikate. Jeder wusste das, niemanden scherte es. "Es ist ein Kunstexperiment, das funktioniert", meinte Haring. Die "Street Credibility", die Glaubwürdigkeit in der Szene, blieb unbeschädigt, nicht zuletzt weil Haring immer mit einem Bein im Underground verwurzelt blieb. Er konnte es sich leisten, ein Plakat für die "My Adidas"-Tour der HipHopper-Crew Run DMC zu entwerfen und andererseits eines, das Kinder zum Lesen animieren sollte.

Doch bevor Haring sich auf den Massenmarkt einließ, hatte er sich noch den Segen von dem großen Kollegen und Vorbild Andy Warhol geholt. Wenn einer wusste, wie man sich fürstlich entlohnen lässt und die Spielregeln des Business zu den eigenen Gunsten auslegt, dann Warhol. Als Dankeschön gab es im "Pop Shop" auch T-Shirts mit Warhol-Motiven und Porträts von ihm, die Haring angefertigt hatte.

Hemmungen oder Berührungsängste mit Kommerz und Promi-Glamour kannte Haring ebenso wenig wie sein Idol. Wer bestellte und bezahlte, wurde beliefert, egal, ob es um eine Hochpreisgalerie ging oder um Fürstin Gloria "TNT" von Thurn und Taxis, für die er Geschirr und Geburtstagseinladungen entwarf. Ein Plakat für Absolut Vodka, eine Idee für Lucky Strike? Kein Problem. Beides hatte Warhol seinem Schützling vorgeschlagen. Haring war nie wählerisch, dafür machte ihm das Spiel der Eitelkeiten im Rampenlicht viel zu viel Spaß.

Eine seiner Freundinnen aus jener Zeit erinnerte sich später: "Weil wir beide sehr kommerziell wurden und anfingen, viel Geld zu verdienen, sprachen uns die Leute den Künstlerstatus ab. Sie sagten: Okay, wenn ihr eine Ware für den Massenkonsum sein wollt und viele eure Werke kaufen oder sich in das einkaufen, was ihr seid, dann taugt ihr nichts. Keith und ich sind also gewissermaßen zwei Seiten derselben Medaille." Das Zitat stammt von Madonna.

Zeitgleich mit dem großen Geld kamen auch die Katastrophen. 1986 schrammt der Reaktor in Tschernobyl an einer weltweiten Katastrophe vorbei, 1987 erfuhr Haring, dass er HIV-positiv sei. Seine Bilder verloren mehr und mehr ihre Unschuld. Haring schuf Panoramen, die eher an Hieronymus Boschs Albträume erinnerten, kaum noch an die unbeschwerte Genusssucht der früheren Jahre.

2005, 15 Jahre nach Harings Tod, machte sein New Yorker "Pop Shop" dicht, statt günstigen Kunst-Produkten gibt es dort nun billige Punk-Klamotten zu kaufen, berichtet Annelise E. Ream der Keith Haring Foundation, die nach Hamburg gekommen ist, um in der Kunsthalle die ordnungsgemäße Wiedergeburt des Kultladens zu überwachen. Dort wird es jede Menge maschinell gefertigten Haring zu kaufen geben. Danach zieht die gesamte Ausstellung nach Ottawa weiter.

Ein Weltuntergang für Haring-Fans sollte das nicht sein. Es wäre allerdings eine schöne Schlusspointe. Denn seine Strichmännchen-Ästhetik, "Barking Doggie", "Radiant Baby" und all die anderen leben in den Online-Auslagen des Internets ewig weiter. Ein paar Klicks nur, und die Anschaffung ist vollzogen. Die Pariser Kult-Boutique Colette etwa jubiliert gerade in ihrem Newsletter, dass Tommy Hilfiger eine Sonderedition von Gummistiefeln und Turnschuhen mit Haring-Motiven anbietet. Ab September, in ausgewählten Läden weltweit. Der große Ausverkauf, er währet ewig.