Die Dokumentation “Gold. Du kannst mehr als du denkst“ feiert Premiere auf der Berlinale und ist bald auch in Hamburg zu sehen.

Als Michael Hammon einen Anruf der Hamburger Produzenten Andreas F. Schneider und Hendrik Flügge bekam, ob er nicht einen Film über die Paralympics drehen wollte, glaubte er an ein "Zeichen von oben". Gerade erst hatte man ihn im Krankenhaus von der Intensivstation auf eine normale Station verlegt. Der Kameramann und Regisseur war kurz zuvor aus sieben Meter Höhe vom Dach gefallen, hatte sich das Rückgrat geprellt, Rippen und den Ellenbogen gebrochen. Es bestand kurzzeitig sogar der Verdacht auf eine Querschnittslähmung. Er sagte also zu - mit der Einschränkung "aber nicht sofort". Monate später sitzt er in einem Hamburger Studio an der Postproduktion für den Dokumentarfilm "Gold. Du kannst mehr als du denkst", der bei der Berlinale seine Weltpremiere erlebt.

Hammon hat drei behinderte Sportler mehr als ein Jahr lang vor den Paralympics in London begleitet: die Schwimmerin Kirsten Bruhn aus Neumünster, den australischen Rennrollstuhlfahrer Kurt Fearnley und den Marathonläufer Henry Wanyoike aus Kenia. Dessen Schicksal ist so etwas wie der rote Faden in der Geschichte, in der es zwar auch um Sport geht, aber in erster Linie um Menschen, die es geschafft haben, mit Mut, Zuversicht und Ausdauer schwierige Lebenssituationen zu meistern. Das Filmteam hat dafür auf drei Kontinenten gedreht.

Wanyoike wachte eines Morgens im Alter von 20 Jahren auf und war erblindet. Er wurde depressiv, musste sogar zwangsernährt werden. Im Finale der Paralympics 2000 in Sydney über 5000 Meter überrundete er zwar das Feld, erreichte das Ziel aber nur mit Mühe und Not, weil sein malariakranker Begleiter entkräftet zusammenbrach. Kurt Fearnley kam ohne Teile der Lendenwirbelsäule und mit stark verkürzten Beinen zur Welt. Aber er wurde mit viel Entschlossenheit zu einem der weltbesten Rennrollstuhlfahrer. Kirsten Bruhn, die nach einem Motorradunfall querschnittsgelähmt ist, entdeckte zehn Jahre danach ihre Leidenschaft für das Schwimmen wieder und stellte zahlreiche Weltrekorde auf.

"Es war für mich total aufbauend, diese Leute kennenzulernen", sagt Hammon. "Ich habe mich gefragt, warum bin ich überhaupt manchmal deprimiert? Was hab ich bloß für Probleme? Es ist erstaunlich, mit was für einer positiven Einstellung die drei ihr Leben angehen." Die Sportler wollten unbedingt nach London. Ein ehrgeiziges Ziel, bei dem natürlich einiges schiefgehen konnte. Der Regisseur war deshalb auch ein bisschen nervös. "Es ist gut, dass wir drei Protagonisten hatten, denn wir wollten das Gold aus dem Titel schon gern bekommen. Und wer weiß vorher, ob das klappt?"

Die Kamera begleitet die Sportler bei ihren harten Trainingseinheiten. Kirsten Bruhn ist außerdem bei einem Besuch im Krankenhaus Boberg zu sehen, wo Querschnittsgelähmte lernen, mit ihrer Situation zurechtzukommen und wo sie selbst nach ihrem Unfall behandelt wurde. Alle drei Sportler werden von ihren Familien und Freunden aktiv unterstützt. Aber es geht nicht nur um ihren Umgang mit der Behinderung. "Als Henry blind geworden ist, haben ihn viele Freunde verlassen. Da muss man sich als Nichtbehinderter doch auch fragen: Wie würde ich mit so einer Situation umgehen, wie mit meinem Nachbarn?", überlegt Hammon.

Der aus Südafrika stammende Filmemacher arbeitet überwiegend als Kameramann, unter anderem hat er fast alle Filme von Andreas Dresen eingefangen, der in diesem Jahr in der Berlinale-Jury sitzt. Hammon unterrichtet künstlerische Kamera an der HFF Potsdam und versucht den Studierenden den gedankenlosen Umgang mit Bildern abzugewöhnen. "Nicht nur draufhalten und Daten sammeln. Das ist mir zu beliebig, zu wenig vorgedacht."

Das Finale des Films sind die Auftritte der drei Athleten bei den Paralympics. Hammon war von der Stimmung vor Ort überrascht. "Es war wirklich großartig. Ich bin eigentlich keiner, der gern ins Stadion geht, und hasse Massenspektakel. Aber in London war es einzigartig. Da war so ein Wohlwollen." Sein Tonmann sollte beim Rollstuhl-Marathon eigentlich nur am Straßenrand den Ton angeln. Aber als Kurt Fearnley vorbeikam, konnte er sich nicht mehr halten und rief ihm hinterher: "Go, Kurt, go!"

Auch das bei den Behindertensportlern aktuelle Thema Doping hat Hammon angesprochen, differenziert aber: "Viele paralympische Athleten haben Schmerzen, die von ihren Verletzungen stammen. Wo hören die Schmerzmittel auf, wo fängt das Doping an? Als ich vom Dach gefallen bin, habe ich erst gemerkt, was für wahnsinnige Schmerzen man im Rückgrat haben kann. Ich konnte es selbst nur mit starken Medikamenten aushalten."

Nach der Weltpremiere bei der Berlinale wird "Gold. Du kannst mehr als du denkst" am 26. Februar bei der Lufthansa-Technik in Fuhlsbüttel gezeigt - dort können weit mehr Rollstuhlfahrer untergebracht werden als in jedem Kino. Am 28. Februar ist der Bundesstart.

Auf der Berlinale werden sieben Filme an den Start gehen, die von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein unterstützt worden sind. Außer "Gold. Du kannst mehr als du denkst" ist dabei die Bestsellerverfilmung "Nachtzug nach Lissabon" (außer Konkurrenz im Wettbewerb). Sven Halfars Regiedebüt "DeAd" läuft ebenso in der Perspektive Deutsches Kino wie "Reality 2.0" von Victor Orozco Ramirez. Das Panorama ist die Heimat von Stefan Westerwelles "Lose Your Head", Lars Kraumes "Meine Schwestern" und Jochen Hicks "Out in Ost-Berlin - Lesben und Schwule in der DDR".