Gerade fünf Songs sang “die Göttliche“ in der Laeiszhalle - und die Fans feierten sie wie bei einem Teenie-Konzert.

Hamburg. Die Begeisterung ist grenzenlos. Als Shirley Bassey die Bühne betritt, wird sie mit Geschrei und einem Klatsch-Stakkato begrüßt, wie man das sonst nur bei Teenie-Konzerten erlebt. Die Umjubelte spielt indes in einer anderen Altersliga und ist selbst schon mehrfache Großmutter. Es ist schwer auszumachen, woher diese Idolisierung rührt, denn die Sängerin aus Wales hatte ihre große Zeit in den 60er- und 70er-Jahren. Vielleicht, weil Las Vegas für viele der 2000 Zuschauer in der ausverkauften Laeiszhalle zu weit war, als Bassey dort ihre großen Galashows hinlegte? Oder weil niemand mehr damit gerechnet hat, die von Queen Elisabeth II. zur Dame geadelte Sängerin noch einmal auf der Bühne zu erleben? Oder ist der Jubel nichts weiter als Nostalgie?

An der Quantität ihres Gesangsvortrags kann dieser kollektive Freudentaumel nicht liegen, denn sie steht nur 23 Minuten auf der Bühne, 15 davon singt sie. Doch Enttäuschung oder Unmut ist nicht zu spüren. Im Gegenteil. Nach dem vierten von fünf Songs strömen Verehrer vor die Bühne, reichen große Blumenbouquets oder einzelne Rosen, rot natürlich, und andere verpackte Geschenke auf die Bühne. Wobei nicht auszumachen ist, was sich hinter dem bunten Geschenkpapier verbirgt. Pralinen vielleicht? Oder ein Bildband von Hamburg? Stuart Barr, eigens für diese fünf Nummern eingeflogener englischer Dirigent, hat alle Hände voll zu tun, um seiner Chefin die Präsente abzunehmen und hinter seinem Regiepult zu stapeln. Auch diese Verehrung kennt man eigentlich eher von Teenie-Konzerten, bei denen die Fans Kuscheltiere en masse auf die Bühne werfen.

"Göttinnen unserer Zeit" heißt der Titel dieses Sonderkonzertes der Hamburger Symphoniker mit Shirley Bassey als "special guest". Es geht um Filmdiven und um Filmmusik, und für ein solches Programm ist die britische Lady natürlich prädestiniert. Sie war zwar nie ein Bond-Girl, aber sie hat dreimal den Bond-Song gesungen. Mit "Goldfinger", ihrer vielleicht berühmtesten Nummer, eröffnet sie den kurzen Song-Reigen. Der bisherige Dirigent Julian Bigg, zwei Stunden lang verantwortlich für ein Instrumentalprogramm mit Medleys aus Monroe-, Streisand- und Garland-Filmen, hat den Taktstock hinter der Bühne an Stuart Barr, Basseys musikalischen Direktor übergeben, und los geht es mit der "Einzigartigen", der "Göttlichen", wie sie von Conferencier Hans-Jürgen Schatz angekündigt worden ist. In einem weißen Kleid mit weiten Ärmeln flattert sie auf die Bühne und verblüfft mit der Kraft ihrer Stimme, auch wenn sie im Refrain den einen oder anderen Ton nicht ganz halten kann.

Ihren Fans ist das egal. Sie sind geblendet von der strahlenden Aura und geben sich Dame Bassey hin, als wäre sie das Bond-Mädchen Pussy Galore.

Mit "Something" von den Beatles geht es weiter. Bassey ist eine Meisterin großer Gesten, wenn sie die Arme mit den Flügelärmeln ausstreckt sieht sie aus wie ein großer weißer Vogel kurz vor dem Abheben. "I love you", ruft jemand vom Rang, "I love you too", antwortet sie und winkt ihm mit einer Fingerbewegung, die an den Komiker Oliver Hardy erinnert. "Diamonds Are Forever" aus dem James-Bond-Film "Diamantenfieber" folgt als nächste Nummer. Und wieder nicht enden wollender Applaus. "Ich breche gleich in Tränen aus", sagt Dame Bassey sichtlich gerührt. "Ich komme wieder" verspricht sie, was den Lautstärkepegel im Saal noch einmal um ein paar Dezibel hebt. Bei "The Lady Is A Tramp", 1937 von Lorenz Hart und Richard Rogers für das Musical "Babes In Arms" komponiert, steht der Saal und feiert die Glamour-Seniorin. "Yes, I'm a tramp" singt die aus armen Verhältnissen stammende Entertainerin. Vielleicht erinnert sie sich in diesem Moment an die Zeit, in der sie als junges Mädchen als Packerin in einer Fabrik in Cardiff malochte.

Mit "I Am What I Am" aus "Ein Käfig voller Narren" endet die Show und Shirley Bassey schwebt unter vielen Verbeugungen in die Garderobe zurück. Ihre Fans klatschen und klatschen und klatschen, das Orchester verharrt etwas ratlos auf der Bühne. Nach und nach knipsen die Musiker die Lämpchen an ihren Notenständern aus, nach zehn Minuten herrscht auf der Bühne Dunkelheit. Das Konzert ist offenbar vorbei.

Vor der Garderobe erklärt später ein älterer Mann seiner Frau, warum es keine weitere Zugabe gibt: "Die kann nicht mehr."