Die Verfilmung eines angeblich unverfilmbaren Welt-Bestsellers. Regisseur Ang Lee hat erstmals mit 3-D-Technik gearbeitet.

Hamburg. Ein junger Mann findet sich nach einem Schiffsuntergang auf hoher See in einem Rettungsboot wieder, das er mit einem bengalischen Tiger namens Richard Parker teilen muss. Aus dieser lebensgefährlichen Konstellation schuf der Kanadier Yann Martel den Roman "Schiffbruch mit Tiger", der mit seiner Mischung aus Abenteuergeschichte und philosophischer Reflektion zu einem internationalen Besteller avancierte. Natürlich bekam Hollywood angesichts der Verkaufszahlen Lust auf dieses Raubtier, aber der Roman galt als unverfilmbar. Bis der aus Taiwan stammende und in den USA lebende Ang Lee an Bord kam. Er gilt als einer der erfolgreichsten Regisseure der Gegenwart, seine Filme (u. a. "Tiger & Dragon", "Brokeback Mountain") haben fast alle wichtigen Auszeichnungen gewonnen.

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Bei "Life of Pi - Schiffbruch mit Tiger" wagt sich der 58-Jährige erstmals an die 3-D-Technik heran, mit sehenswerten und zum Teil spektakulären visuellen Ergebnissen.

Hamburger Abendblatt: Was hat Sie bewogen, ausgerechnet die Verfilmung dieses schwierigen Romans zu versuchen?

Ang Lee: Das Buch hatte ich schon vor zehn Jahren gelesen, als es auf den Markt kam. Damals kam es mir nicht vor, als würde daraus jemals ein Film werden. Der Roman ist verblüffend, weil er den Wert des Geschichtenerzählens und der bildlichen Vorstellung untersucht. Und ich bin nun mal ein Bildererfinder und Geschichtenerzähler.

Wie sehr kann man an Dinge glauben, für die es keinen Beweis gibt?

Lee: Ich weiß nicht mehr, ob die Herausforderung war, die Notwendigkeit, mich selbst zu hinterfragen, oder ob ich wissen wollte, wie man dem Roman, der sowohl in der ersten als auch in der dritten Person erzählt wird, mit einem Drehbuch beikommt. Dann kam mir die Idee, mit 3-D eine weitere Dimension in den Film hineinzunehmen. Ich kam also in Schwung, und dann klebte ich daran fest.

War 3-D überhaupt schon einsatzbereit, als man Sie gefragt hat?

Lee: Nein. Es kommt mir vor, als würde man mit dieser Technik ein neues Verhältnis zum Publikum eingehen. Technisch hatte ich keine Ahnung, aber ich habe mich gefragt: Was ist das für ein Medium, in dem etwas aus der Leinwand herausragt? Man bekommt eine ganz andere Illusion von Raumtiefe.

Warum brauchen wir noch eine weitere Illusion vom Leben?

Lee: Weil es am Ende rational keinen Sinn macht. Ich bin aber Künstler und eben als Chinese von Yin und Yang beeinflusst. Illusionen sind eine gute Vereinbarung, denn sie erlauben ein Wunschdenken. Man kann eine Struktur, eine Geschichte formen, die nur scheinbar einen Sinn ergibt. Man kann sie aber weiterreichen und darüber reden, damit man nicht einsam ist. Das scheint ein entscheidender Bestandteil unserer Existenz zu sein. Man muss sich ja irgendwie mit den Dingen in der Natur auseinandersetzen, die man nicht erklären kann. Es ist ein Geheimnis, obwohl wir nicht einmal wissen, ob es in uns oder um uns herum ist. Man könnte es Gott nennen, nicht notwendigerweise Religion. Einige entscheiden sich dafür, es zu zähmen wie einen Tiger. Andere lassen es frei und werden eine wilde Person. Viele übertragen die Frage einfach auf eine andere Ebene, weil wir uns gern als zivilisiert und vernunftbetont sehen.

Man sagt, man solle im Film nicht mit Tieren oder im Wasser arbeiten. Was war für Sie die größere Herausforderung?

Lee: Das Wasser. Es macht einen demütig. Bei Tieren findet man eine Art, wenn schon nicht Kontrolle, so doch einen Weg des Verhandelns. Wasser macht dich in so großen Massen demütig. Aber natürlich muss man beim Tiger und beim Wasser das, was man nicht erreichen konnte, am Ende mit digitaler Nachbearbeitung kompensieren. Mit den Tigerszenen bin ich eigentlich glücklich, weil ich klar erkennen kann, welche real sind und welche nicht. Das dürfte vielen Leuten schwerfallen. Ich bin stolz, dass wir Richard Parker nicht vermenschlicht haben. Das Wasser haben wir auch genutzt, um interne Vorgänge bei Pi zu visualisieren.

Man kann bei den Problemen des Erwachsenwerdens, dem problematischen Verhältnis zum Vater und der Suche nach dem Sinn des Lebens Gemeinsamkeiten mit Ihren vorherigen Filmen erkennen. Verfolgen Sie mit Ihren Filmen eine bestimmte Linie?

Lee: Wenn ich mit einem Film beginne, überlege ich, was mich interessiert, worauf ich neugierig bin. Bei den Dreharbeiten bin ich eher damit beschäftigt, dass die Szenen funktionieren, man hat Angst, die Zuschauer zu verlieren. Erst hinterher erkennt man die Gemeinsamkeiten. Ich lerne viel über meine Filme aus dem, was andere Leute darüber schreiben.

Stimmen Sie dem zu?

Lee: Dem Lob ja, der Kritik nicht so. Ich habe ein Ego, das nach Zustimmung lechzt. Aber ich versuche ständig, etwas Neues zu finden.

Was hat Sie überhaupt motiviert, Filme zu machen?

Lee: Ich habe sehr früh gemerkt, dass Filmemachen etwas ist, was ich gut kann. Aufgewachsen bin ich aber als Tagträumer. Dafür habe ich mich lange Zeit geschämt, denn meine Erziehung war sehr auf Erdverbundenheit, Pragmatik und Nützlichkeit ausgerichtet. Trotzdem hatte ich kaum Kontakt mit der Welt. Mit 18 Jahren bekam ich dann die Gelegenheit, auf einer Bühne zu stehen. Das hat mich umgehauen. Ich wollte etwas machen, das mit dem Theater zu tun hatte. Zunächst dachte ich an Schauspielerei, aber ich wurde darin einfach nicht gut. Dann bin ich zur Filmschule gegangen, und ist es Regie geworden. Ich habe immer Szenen im Kopf formuliert.

Der Western "Brokeback Mountain" mit seinen schwulen Protagonisten war 2005 einer Ihrer größten Erfolge, aber es soll damals eine schwierige Zeit für Sie gewesen sein. Stimmt das?

Lee: Den Film habe ich gemacht, damit ich nicht durchdrehe. Im Nachhinein würde ich ihn als meine Midlife-Crisis bezeichnen. Ich war 45 Jahre alt, wollte weg von der Action und war auf der Suche nach etwas Philosophischem. Aber mein Körper hat rebelliert. Da habe ich mit meinem Vater gesprochen, der nie wollte, dass ich Regisseur werde. "Wirst du denn jetzt etwas Respektableres machen?", war seine Reaktion. Dann hat mein Vater mir geraten, einen neuen Film zu machen. Zum ersten Mal hat er so etwas zu mir gesagt. Als er mir das sagte, war er noch völlig gesund. Zwei Wochen später ist er gestorben. Das war ein Signal. Ich habe nicht getrauert, sondern habe mit "Brokeback Mountain" angefangen, einen Film, von dem ich geglaubt hatte, er würde niemals auf die Leinwand kommen. Es ist ein Film über Liebe und das Vermissen geworden. Ich glaube, die Leute mögen ihn wegen seiner Bescheidenheit. Es war aber mein Erschöpfungszustand, der dafür gesorgt hatte, dass er so aussieht. Das war ganz aufrichtend und brachte mich ins Leben zurück.

"Life of Pi - Schiffbruch mit Tiger" läuft zurzeit im Abaton (OmU), Hansa-Filmstudio, Studio-Kino, Cinemaxx Dammtor/Harburg/Wandsbek, Passage, Streit's (OF), UCI Mundsburg/Othmarschen/Wandsbek, Zeise

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