38 ist er jetzt und neuerdings Familienvater: Superstar Robbie Williams veröffentlicht heute sein neues Album „Take The Crown”.

Hamburg. Die transatlantische Perspektive ist im Falle des Popstars Robbie Williams der entscheidende Hinderungsgrund, ihn, Stand heute, einen der größten Entertainer aller Zeiten zu nennen. Er ist ja in Amerika, seiner Wahlheimat, so wenig bekannt wie jeder x-beliebige Teutonenrocker, nur mal als Beispiel, der es noch nicht einmal darauf anlegt, die Welt zu erobern. Und dabei singt Williams doch naturgemäß auf Englisch, er performt schöne Songs und populäre, er kann sogar tanzen und charmant lächeln. Ganz zu schweigen von seinen Bühnenqualitäten. Aber Amerika wollte nie hören.

Und das ist natürlich ein starkes Stück, oder? Als würden wir im alten Europa alle unter Geschmacksverirrung leiden. Ignorantes Amerika! Es ist halt nicht jedem vergönnt, selbst nicht, wenn er aus dem Mutterland des Pop kommt, die Neue Welt zu erobern. Genug, genug, hier geht es um den Womanizer, den Sänger, die Rampensau und den bekanntesten Künstler des europäischen Kontinents - Robbie Williams. Den Mann also, der derzeit vom gemeinen Amerikaner unerkannt in einem ganz gut ausgestatteten Anwesen in Los Angeles lebt und heute sein neuntes (!) Solo-Album "Take The Crown" veröffentlicht. Der ewig bübische Williams ist jetzt auch schon 37 und außerdem seit einigen Wochen Vater einer Tochter. Die Dämonen der Vergangenheit hat er zuletzt durch die äußerst lukrative Wiedervereinigung mit Take That besiegt. Das war großes Pop-Kino mit Abend für Abend routiniert inszeniertem Ringelpiez mit Anfassen: Fünf erwachsen gewordene ehemalige Teenie-Stars, die jedes Stadion mit ihrem gewaltigem Schwiegersohn-Sex-Appeal in die Knie zwangen.

Das schien für den Hit-Giganten aus Stoke-on-Trent die richtige Medikation zu sein nach einer Karriere, in der er es auf allen Kanälen richtig krachen ließ. Ein Swing-Album im good old style, ein Duett mit Kylie Minogue, Charts-Erfolge ohne Unterlass - in den sogenannten Nullerjahren wurde Robbie zur Nummer eins. Auf die Stadionbühnen stürzte er sich grundsätzlich kopfüber, und das war ja eine schöne Metapher für seine Karriere, die mit seinem abrupten Ende als Boybandboy erst richtig an Fahrt aufnahm. An persönlichen Krisen mangelte es dieser Karriere nicht, wovon das Publikum stets in Kenntnis gesetzt wurde von diesem gnadenlosen Egomanen.

Auf seiner bislang letzten Solo-Tournee 2006 wurde der Seelenexhibitionist vor jedem Auftritt von Panikattacken geschüttelt, und das merkte man dem Dompteur der Massen noch nicht einmal an. Alkohol und Tabletten hat er jetzt schon länger abgeschworen; bis vor Kurzem hat er auch noch drei Packungen Zigaretten am Tag geraucht. Jetzt raucht er gar nicht mehr.

Die Karriere des Robbie Williams ist nach zwei Alben ("Rudebox", "Reality Killed The Video Star"), die kommerziell deutlich hinter den Erwartungen zurückblieben, zuletzt - Take That und Begleitgedöns zählt irgendwie nicht richtig - eher ein ruhiges Unterfangen gewesen. Man vernahm erfreut, dass Everybody's Darling endlich mal häuslich wurde. Mit der Schauspielerin Ayda Field, die Williams 2010 heiratete, kann man es ja auch aushalten. Ohne Ehrgeiz aber nicht auf lange Sicht, und deswegen heißt das neue Werk "Take The Crown". Als Frühvollendeter wollte Williams dann doch nicht gehen. Der König zumindest des europäischen Pop, so soll man den Titel des neuen Albums verstehen, will die Krone zurück, die ihm wer noch gleich entrissen hat?

Adele vielleicht? Viel zu langweilig. Wahrscheinlich war der Thron zuletzt einfach vakant. Deswegen ist es gut, dass Williams nun zurückkehrt in eine hierzulande vollkommen von allen guten Geistern verlassene Charts-Welt, in der Künstler wie Frei.Wild und Unheilig ihr kümmerliches Dasein höchst ertragreich fristen. Die neue Robbie-Platte ist, das sei zunächst gesagt, eine knallbunte Pop-Party, zu der grundsätzlich erst einmal jeder eingeladen ist, der Robbie eh immer schon gut fand. Die neuen Songs sind gefällig und natürlich fürs Stadion geschrieben. Jeder soll eine Hymne sein.

Das erste Stück "Be A Boy" erinnert in seiner Synthie-Seligkeit zunächst an die Take-That-Platte von Ende 2010. Die Nummer ist ein mit allen Chartswassern gewaschener Instant-Hit, der bei eingehendem Hören eher an frühere Take-That-Phasen erinnert - die ohne Robbie Williams. Was kein Wunder ist, denn Take-That-Chef Gary Barlow war an der Entstehung des Albums beteiligt, das in der Hauptsache von Jackknife Lee produziert wurde.

Die erste Single-Auskoppelung "Candy" stammt aus der Feder Barlows und ist wie die allermeisten der neuen Songs so wahnsinnig gut gelaunt, dass man sich fragt, ob denn all die Geschichten tatsächlich stimmen, die vom neuen Robbie erzählt werden: Er scheint tatsächlich verdächtig glücklich zu sein derzeit. "Hey ho here she goes/Either a little too high or a little too low/Got no self-esteem and vertigo/Cause she thinks she's made of candy" - noch Fragen? Im Video reitet Williams in Rittermontur durchs sommerliche London; das Mottobild für das Stück, das hier gegeben wird: Filous Rückkehr. Wie auch im schmissigen Song "Shit On The Radio", der doch ehrlicherweise jedem Dudelfunk prächtig zu Gesicht stünde. In einem kürzlich geführten Interview klagt Robbie Williams darüber, dass er vor 20 Jahren auf einen Schlag fast alle seine Freunde aus den kleinen Verhältnissen verloren habe. Heute sind diese wahrscheinlich alle aufrechte Mitglieder der stolzen englischen working class - und eher Noel-Gallagher-Jünger als welche von Williams. Denn der liefert auf "Take The Crown" an manchen Stellen ("All That I Want") süßlich-seichten Bubblegum-Pop ab.

Um noch mal auf die Probleme von Robbie Williams mit der Eroberung von Übersee zurückzukommen: Manchmal ist er in seiner neuen, beinah ohne melancholische Momente auskommenden Juchheidiphase zu bieder, um neue Fans hinter dem Ofen hervorzulocken. Im Backgroundchor wird auf dieser Platte grundsätzlich heftig jubiliert. Ein Song (der bissigste, immerhin) heißt "Hey Wow Yeah Yeah".

Ein Presley oder Sinatra wird dieser grandiose Entertainer nicht mehr werden. Die Amis werden ihn auch diesmal links liegen lassen.

Robbie Williams: "Take the Crown" (Universal)