Wieder einmal großartig: Udo Jürgens gab sein 155. Konzert in Hamburg. Das erste Mal war der Österreicher im Jahre 1967 zu Gast.

Hamburg. Die Frau auf dem Nachbarsitz wirft beim ersten Lied ihre Arme hoch und klappert mit ihrem Goldschmuck. "Schenk mir einen Traum", singt Udo Jürgens, der soeben gut gelaunt auf die Bühne gestürmt ist und sich ans Klavier gesetzt hat. Das junge Pärchen in der Reihe davor umarmt sich so fest, dass die Popcorntüte zwischen ihnen Knallgeräusche abgibt. Und der ältere Herr daneben zückt seine Handykamera. Das Pepe-Lienhard-Orchester macht ordentlich Druck auf der Bühne. Die Stimmung klettert von null auf hundert.

Schon 155-mal hat Udo Jürgens seit 1967 in Hamburg gespielt, sagte er am Dienstag in der O2-Arena, bei einem wieder einmal großartigen Konzert. Es ist wohl jedes Mal wie ein Versprechen. Ein Versprechen zum Zuhören, Mitempfinden, Feiern, ein Versprechen auf große Gefühle, bewegende Musik und tolles Entertainment. Das Verbundensein für eine kurze Ewigkeit zählt dazu - und das Gefühl, dass man gepackt wird, von der Wucht der Melodik und der Harmonien, die so viel Traurigkeit erzeugen können, dass man gegen ein Würgegefühl im Hals und Tränen ankämpfen muss.

Dann gibt es Songs, die sich in immer höhere Tonfolgen hinaufschwingen, die begeistern, Mut machen. "Ich weiß, was ich will", singt Jürgens am Schluss seines zweistündigen Konzerts. Es ist eines seiner wunderbarsten Lieder, "Ich will, dass endlich etwas Neues beginnt, dass wir wie ein Gedanke, ein Körper sind", heißt es in einer Strophe. Da sind seine Zuhörer längst verschmolzen mit ihm und seinen Liedern.

Konzerte lang gedienter Musiker sind für die Fans wie Familientreffen. Man schaut den Künstler an, bemerkt, dass man gemeinsam ein bisschen älter geworden ist, hofft, dass alles noch so gut ist wie beim letzten Mal, und gibt sich den Erinnerungen hin. Die Liebe, die Trennung, der Schmerz, das Verlangen, die Einsamkeit - wer hat sie nicht erfahren, nicht erlebt?

Doch kaum jemand kann sie in Worte, geschweige denn in Melodien fassen, ohne dass sie kitschig klingen. Udo Jürgens ist der Ausnahmemusiker, der als Stellvertreter so vieler im Publikum die großen Gefühle des Lebens, die verborgenen Sehnsüchte zu Liedern gemacht hat. Und weil man ihm über die Jahrzehnte auch musikalisch und in der Klatschpresse begegnet ist, scheinen sie glaubwürdig.

Wie schön, wenn ein Mann Liebes- und Trennungsschmerz in Worte wie "Warum nur, warum?", "Sag ihr, ich lass sie grüßen" oder "Merci, Cherie" fassen kann, denken die Frauen im Publikum vielleicht, aber all diese Klassiker spielt Udo Jürgens nicht. Und die Männer denken wahrscheinlich ähnlich, sie würden sich nur niemals trauen, es so zu formulieren.

Udo Jürgens spielt sich stattdessen im ersten Teil seines Konzerts durch anderes aus seinem schier unerschöpflichen Repertoire. "Dafür brauch ich dich", dann "Die Frau, die ich nie traf", das die Goldschmuckdame auf dem Nachbarsitz zum Zuruf animiert: "Welche soll das sein? Du hattest doch so viele." Es folgen "Du bist durchschaut", "Glut und Eis", gemeinsam mit dem Jazzchor "The Voices" eine "Come Fly With Me"-Variation, "Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient", ein Solo der russischen Violinistin Asya Sorshneva und Ausschnitte aus dem Film seiner Familie, "Der Mann mit dem Fagott", die er mit der Musik zum Film begleitet. Als 45 Minuten um sind, reichen die ersten Damen ihm Blumen auf die Bühne.

Nach der Pause, als dann viele, viele Fans nach vorne rennen und die Arme nach ihrem Idol recken, bringt er seine Evergreens, teils als Medley. Der Refrain von "Ich war noch niemals in New York" wird mitgegrölt, ebenso "Aber bitte mit Sahne" und "Griechischer Wein". Bei "Was ich dir sagen will" werden alle still, und bei "Dieses ehrenwerte Haus" wird wieder mitgesungen.

Was ist das Geheimnis von Udo Jürgens, der in 50 Jahren nie unmodern war? Er war immer authentisch. Man glaubt ihm jedes Wort, und er ist ein wirklich fabelhafter Musiker. Er vereint Pop-, Jazz- und Chansonklänge zu Melodien, die E- und U-Musik verwischen, die Kopf und Bauch vermischen und in die immer so viel Lebenserfahrung hereinweht, dass jeder Hörer sich erkannt und verstanden fühlt. Mehr als 1000 Songs hat Udo Jürgens geschrieben, seit 60 Jahren tritt er auf, mehr als 100 Millionen Tonträger hat er verkauft und so viele Tausend Konzerte gegeben, dass er zusammengerechnet mehr als elf Jahre seines Lebens am Stück unterwegs war. Es gibt keinen erfolgreicheren Künstler deutscher Sprache.

Udo Jürgens ist jetzt 78 Jahre alt, hat volles Haar, ist schlank, kann auf der Bühne tanzen. Auch wenn er in letzter Zeit in Interviews öfter gesagt hat, er befinde sich nun "leider auf der Zielgeraden des Lebens", so mag man kaum glauben, was er alles erfunden hat und wie gut er sich gehalten hat.

Natürlich folgen am Ende die Zugaben im Bademantel. Bevor der Bademantel nicht angezogen ist, ist es noch nicht zu Ende. "Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden" singt er allein am Klavier. Ein fröhliches Lied, das sehr traurig macht. Ein echter Tränentreiber, denn das Leben ist nicht so. Die Zuschauer lässt er den Refrain singen, "Düdü düdü dü dü". Der Klang in der Halle schwebt lange nach.