Eugen Ruge erhält den Deutschen Buchpreis für Debütroman “In Zeiten des abnehmenden Lichts“, der die Geschichte einer Familie erzählt.

Frankfurt/Hamburg. Der Deutsche Buchpreis 2011 geht an Eugen Ruge. Der 1954 im russischen Soswa Geborene erhält die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung für seinen Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts". Es ist der Debütroman des studierten Mathematikers und Theaterautors, dem die Jury attestiert, "die Erfahrungen von vier Generationen über fünfzig Jahre hinweg in einer dramaturgisch raffinierten Komposition zu bändigen".

Die Familiensaga erzählt über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten die Geschichte der DDR, wie sie sich in den Figuren einer zwar keinesfalls exemplarischen, aber doch typischen Familie spiegelt: Insofern diese den langsamen Verfall des sozialistischen Staates beobachten muss, wie er unweigerlich vonstatten geht. Der Roman "erzählt von der Utopie des Sozialismus, dem Preis, den sie dem Einzelnen abverlangt, und ihrem allmählichen Verlöschen", heißt es in der Begründung der siebenköpfigen Jury. "Zugleich zeichnet sich sein Roman durch große Unterhaltsamkeit und einen starken Sinn für Komik aus." Ruge setzte sich im Finale gegen fünf Konkurrenten durch: gegen Jan Brandt ("Gegen die Welt"), Michael Buselmeier ("Wunsiedel"), Angelika Klüssendorf ("Das Mädchen"), Marlene Streeruwitz ("Die Schmerzmacherin") und Sibylle Lewitscharoff ("Blumenberg").

Mit Ruge entschied sich die aus Autoren und Literaturkritikern bestehende Jury am Ende auch für den Roman, der auf dem Markt die besten Chancen haben dürfte. Ruges Buch bildet ein Stück der jüngeren deutschen Zeitgeschichte ab, in mancherlei Hinsicht ist die Wende 1989/90 ja selbst eine große Erzählung geworden: über das Sterben einer Utopie und auch die sanfte Revolution, die die Mauer öffnete.

Aber gerade davon erzählt der Roman nichts - oder doch zumindest kaum etwas. Wie schon der 2008 mit dem Buchpreis prämierte Roman "Der Turm" von Uwe Tellkamp spielt "In Zeiten des abnehmenden Lichts" in der Zeit, in der das Ende der DDR noch nicht anzusehen ist. Im Gegenteil: Ruges Romanfamilie, die Züge seiner realen Familie trägt (Eugen Ruge ist der Sohn des marxistischen Historikers Wolfgang Ruge), steht fest auf dem Boden des Sozialismus.

Das Zentrum des Romans ist Alexander ("Sascha"): Er ist derjenige, der kurz vor dem Mauerfall in den Westen geht. Alle anderen - Ruge findet einprägsame, sorgsam ausformulierte Figuren - glauben an die Sache, die sich letztlich als ideologischer Loser herausstellen sollte. Charlotte und Wilhelm, die 1952 aus Mexiko in die DDR kommen, um das bessere Deutschland aufzubauen. Kurt, Charlottes Sohn, der nach dem Krieg im sibirischen Lager schuftet und trotzdem ein linientreuer Historiker wird. Kurt ist ein Prinzipienmensch. In einer Schlüsselszene des Romans marschieren Kurt und Sohn Alexander, der eine leer stehende Wohnung in Prenzlauer Berg bezogen hat, bei Minustemperaturen durch Berlin. Auf der Suche nach einem Restaurant (die, wenn es sie denn gibt, völlig überfüllt sind oder geschlossene Gesellschaften) kommt es zum großen Krach.

Alexander will nicht weiter studieren. Er, der privilegierte Wissenschaftlersohn, der wie die Made im Speck lebt, das wirft ihm der Vater vor (der übrigens Alexanders russische Mutter am laufenden Band betrügt); um dem Filius dann wütend entgegenzuschleudern: "Anderswo hungern die Leute."

***Die bisherigen Buchpreisträger***

***Deutscher Buchpreis: Das sind die Nominierten***

Ironischerweise tut er das in diesem Augenblick selbst: Der Magen knurrt. Was ist das, der Glaube an die DDR, auch wenn alles den Bach runtergeht? Ein Stursein? Eine Lebenslüge? Der Glaube an den Sozialismus? Oder entspringt es einzig dem Wissen um die eigene prominente Position? Wahrscheinlich alles zusammen.

Sein Roman sei "ein Wenderoman ohne Wende", sagt der Autor selbst über "In Zeiten des abnehmenden Lichts". Damit meint er, dass das Buch beinah vollständig zu DDR-Zeiten spielt: bevor die Mauer fällt. Aber vielleicht auch, dass sich die innere Einstellung der Sippe nicht ändert. Der schlimme Zustand der DDR wird totgeschwiegen, bis am 90. Geburtstag des Patriarchen Wilhelm, ausgerechnet, der Enkel Alexander rübermacht. Der sagt Folgendes: "Ich habe immer, mein Leben lang, das Gefühl, nicht dazuzugehören." Er sagt es viele Jahre nach seiner Flucht, da ist er schon lange im Westen.

Nicht alle Träume haben sich erfüllt. Bei Eugen Ruge dürfte das anders sein: Sein manchmal liebevolles, manchmal spöttisches und oft heiteres Buch wird jetzt viele Leser finden. Das hat er verdient: "In Zeiten des abnehmenden Lichts" ist ein Roman, der zeigt, was Literatur kann - Geschichte verständlich zu machen. Selbst dann, wenn sie ihre lebenswirkliche Entsprechung in einer Familie hat, die unserer Realität, wenn wir aus dem Westen kommen, so fern ist wie nur irgendeine. Die Ironie, mit der Ruge der gelebten Geschichte begegnet, ist immer ein probates Mittel: Sie taucht alles in das richtige Licht, und sei es ein abnehmendes.

Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Rowohlt. 426 S., 19,95 Euro