Als erste Schweizerin erhielt die Einwandererin aus Serbien den Deutschen Buchpreis. Prämiert wurde ihr Roman “Tauben fliegen auf“.

Frankfurt. Die Schweizer Autorin Melinda Nadj Abonji erhielt gestern Abend für ihren Roman "Tauben fliegen auf" den Deutschen Buchpreis . Am Vorabend der Frankfurter Buchmesse wurde die 1968 geborene Autorin, deren Familie der ungarischen Minderheit in Nordserbien angehörte, für ihre, so die Jury, "bewegende Geschichte einer Emigration aus dem ehemaligen Jugoslawien" ausgezeichnet.

Abonjis Wahl war eine Überraschung. Im Vorfeld waren der 42-Jährigen eher Außenseiterchancen eingeräumt worden. Und das, obwohl zumindest feststand, dass die Schweizerin ein Buch zur Zeit geschrieben hat, wenn man an die gesellschaftlich aufgeheizte Debatte um gelingende und misslingende Einwanderung denkt. Abonjis dem eigenen Erleben abgeschaute Geschichte, sie erzählt sie in schönen, klingenden Sätzen, berichtet von den Erfahrungen der Familie Koscis, die aus Serbien nach Zürich auswandert.

Erzählt wird aus der Perspektive der Tochter Ildiko, sie schildert die Existenzbemühungen ihrer Familie, die ihr Auskommen in der Gastronomie hat. Abonji zog selbst im Alter von fünf Jahren in die Schweiz, das Deutsche wurde viel mehr ihre Sprache als die der Eltern. Sie musste stets für sie übersetzen, und so ist die doppelte Wirklichkeit der Erzählerin in "Tauben fliegen auf" auch die der Autorin selbst gewesen. Sie erzähle "mit einer eigenen und äußerst lebendigen Stimme", würdigte die Jury die Kunst Melinda Nadj Abonjis. Und sie hat recht: Es ist in "Tauben fliegen auf" zunächst der Blick des Kindes, der das Ankommen in der neuen Welt beschreibt, unbefangen und unverstellt, dann der einer ehrgeizigen jungen Frau, für die die perfekte Beherrschung der Sprache existenziell ist.

+++Finalisten für Deutschen Buchpreis stehen fest+++

"Tauben fliegen auf" ist ein mit 314 Seiten nicht sonderlich dicker Roman, aber er trägt in sich die Schicksale derer, die das Jugoslawien des Umbruchs vor anderthalb, zwei Jahrzehnten erfuhren - und die Schicksale all derer, die eine alte Heimat und ein neues Zuhause gefunden haben.

Sie sei überrascht, sagte die Autorin bei der Preisverleihung im Frankfurter Römer. Bekommen wird sie nun, so ist zu hoffen, eine große Leserschaft - und außerdem ein Preisgeld in Höhe von 25 000 Euro. Die fünf Finalisten dürfen sich mit 2500 Euro trösten: Jan Faktor ("Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag"), Thomas Lehr ("September. Fata Morgana"), Doron Rabinovici ("Andernorts"), Peter Wawerzinek ("Rabenliebe") und Judith Zander ("Dinge, die wir heute sagten").

Der Deutsche Buchpreis orientiert sich am britischen Man Booker Prize und dem französischen Prix Goncourt. Ziel der Auszeichnung ist es, über Deutschland hinaus Aufmerksamkeit für die zeitgenössische deutschsprachige Literatur zu schaffen. Organisiert wird der Deutsche Buchpreis vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, er wurde zum sechsten Mal vergeben. Für die Auszeichnung hatten die deutschsprachigen Verlage 148 Neuerscheinungen eingereicht. Der Sieger-Roman hat es in den vergangenen Jahren regelmäßig auf die Bestsellerliste geschafft. 2009 ging der Preis an Kathrin Schmidt ("Du stirbst nicht"), 2008 an Uwe Tellkamp ("Der Turm"). Nun gilt es für Abonjis Verlag (Jung und Jung in Salzburg), die Druckmaschinen in Gang zu setzen: In Buchhandlungen ist "Tauben fliegen auf" derzeit zumeist nicht vorrätig, und auch bei Amazon war er gestern nicht erhältlich. Das wird sich schnell ändern.