Dan Browns neuer Roman “Das verlorene Symbol“ wird garantiert ein Millionen-Seller. Der Meister der Mythen ist nun dem Rätsel der Freimaurer auf der Spur.

Hamburg. Große Männer hüten große Geheimnisse. Das klingt nach dem Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts. Aber Dan Brown ist genau mit dieser Leitidee Millionär geworden. Auch in seinem neuen Mystery-Thriller heißt es wieder, "bedeutende Männer" hätten in der Geschichte "große persönliche Opfer gebracht, um die alten Geheimnisse zu bewahren" (übersetzt aus der englischsprachigen Ausgabe). Ein Fanal für Browns Helden Robert Langdon, den weltweit einzigen Professor für "religiöse Symbologie": Ab Mittwoch können Fans endlich auch auf Deutsch nachlesen, wie er über 765 Seiten hinweg das Weltgeheimnis der Freimaurer ergründet.

Und das im Rekordtempo: Nur zwölf Stunden bleiben Langdon und seiner Mitstreiterin Katherine, um von Rätsel zu Rätsel, von Auflösung zu Auflösung zu jagen. Ein ganzkörpertätowierter Bösewicht hat sie quasi als Fährtensucher in seinen finsteren Plan eingebaut, die Wahrheit der Freimaurer zu entschlüsseln. Schauplatz der Parforcejagd ist diesmal nicht Paris oder Rom, sondern die amerikanische Hauptstadt Washington.

Deren Architektur, von Freimaurern wie George Washington oder Charles L'Enfant geplant, ist von den Symbolen der Loge geradezu durchtränkt: Thriller-Held Langdon findet sie unter anderem im Capitol mit seiner weltberühmten Rotunde, im Lincoln Memorial, auf den Deckengemälden der Library of Congress, in der Pyramide auf der Spitze des Washington Monuments. Und natürlich im House of the Temple in der 16th Street.

Das ist noch heute Sitz der Freimaurerloge des "Alten Angenommenen Schottischen Ritus in Nordamerika". Solche Details erfährt man freilich nicht. Ebenso wenig über die Struktur oder die Historie verschiedener Logen. Dan Brown dienen die Freimaurer - ebenso wie die Templer in "Sakrileg" oder die Assassinen in "Illuminati" - einfach nur als hinreichend mysteriöse Geheimtruppe, die die Geschichte glücklicherweise hervorgebracht hat, damit er seinen Helden Langdon auf sie loslassen kann.

Aus "Illuminati" (2001) wissen wir über den smarten Mittvierziger Robert Langdon, dass er "die Anziehungskraft der Weisheit" besitzt: "Graue Strähnen im vollen braunen Haar, durchdringende blaue Augen, eine fesselnde dunkle Stimme und das selbstbewusste, sorgenfreie Lächeln des Collegesportlers". Immer in Harris-Tweedsakkos, Khaki-Hosen und Schuhen aus Korduan-Leder ähnelt Langdon verdächtig seinem Schöpfer: Dan Brown.

Langdon ist so gefragt, dass man ihn schon mal mit einer X33 (Mach 15) in einer Stunde von Boston nach Genf fliegt. Er bekommt morgens um fünf wichtigere Anrufe als der US-Präsident. Während die Forschung heute stetig Mythen entzaubert, sucht Langdon letzte Wahrheiten.

Die Faszination, die Dan Brown damit auf Millionen Leser ausübt, ist nicht leicht zu erklären. Seit den Neunzigern hatten vor allem "Aufklärungs"-Thriller den Markt bestimmt: Bei Robert Ludlum etwa ging es um Waffengeschäfte oder bedrohliche Entwicklungen im Nahen Osten, bei Michael Chrichton ("Jurassic Park") um blinde Technikgläubigkeit oder die Instrumentalisierung der Klimaforschung; John Grisham legte die mafiosen Tricks großer Konzerne offen.

Heute machen Literaturkritiker einen deutlichen Gegentrend zur Re-Mystifizierung aus: Zeitreisen, Archäologie-, Mittelalter- und Renaissance-Thriller überfluten die Buchhandlungen, darunter Bestseller wie "Das verlorene Labyrinth" oder "Die achte Karte" von Kate Morse, Agustín Sánchez Vidals "Kryptum" oder Patrick Dunnes "Die Pestglocke".

Gewandelt hat sich auch das Personal. Früher zählten Anwälte, Ex-Soldaten oder "gute" Geheimdienstler zu den Top-Ermittlern, heute sind es Experten der Wissensgesellschaft - Biologen, Archäologen, Kunsthistorikerinnen, Informatiker, Gerichtsmedizinerinnen oder Journalisten.

"Symbologe" Robert Langdon ist ein Zwitter. Einerseits erschließt er all die Mystik-Reste, die in der Moderne herumschwirren und von denen wir Nicht-Symbologen höchstens ein gesundes Viertelwissen haben. Andererseits fehlt ihm die nüchterne Skepsis eines Fräulein Smilla: Statt in Schneespuren zu lesen, würde er dahinter eine Eskimo-Bruderschaft wittern. Langdon könnte der Guido Knopp der Verschwörungstheorien sein - aber er ist nicht ihr Dokumentarist, sondern ihr glühendster Anhänger. Allein in "Sakrileg" befasst er sich mit "verborgenen" Bedeutungen hinter Pentagrammen und olympischen Ringen, der mathematischen Fibonacci-Folge, der Zahl Pi, den Templer-Symbolen, da Vincis Gemälden, den Qumran-Rollen, den Pyramiden und dem Heiligen Gral.

Fakten und Fiktion geraten munter durcheinander, monieren Kritiker. Die Sion-Bruderschaft in "Sakrileg" etwa ging keineswegs auf die Kreuzzüge zurück, wie Brown auf seiner Webseite behauptete, sondern wurde 1956 von einem französischen Monarchisten erfunden.

Aber die Vielfalt von Legenden und Symbolen hat Brown schon im Kindesalter fasziniert. Als Junge soll er sich stundenlang mit Kreuzworträtseln und Anagrammen beschäftigt haben. Sein Vater, Mathematikprofessor an einer kleinen Uni in New Hampshire, ersann für seine drei Kinder regelmäßig Schnitzeljagden und Schatzsuchen, bei denen Aufgaben gelöst und "Codes" geknackt werden mussten.

Nach dem Studium schwebte Brown allerdings zunächst eine Pop-Karriere vor. Erst 1998, nach zwei wenig erfolgreichen CDs, veröffentlichte er seinen ersten Thriller "Diabolus" über einen geheimen Supercomputer - noch ohne Langdon.

Die Gegenspieler seiner Roman-Weltretter rekrutiert Brown aus dem Milieu der üblichen Mystery-Verdächtigen: aus dem Vatikan zum Beispiel, der mit degenerierten Opus-Dei-Mitgliedern, falschen Priestern und machtversessenen Kardinälen ein schier unerschöpfliches Reservoir an Bösen bereithält. Oder aus der CIA, der NSA und der Nasa. In "Das verlorene Symbol" ist nun eine verkniffene CIA-Chefin namens Sato am Werk, ein 1,47 Meter großes Flintenweib mit Kehlkopfkrebs, so gefühlvoll wie ein Laserschwert. Und so klischeehaft wie die Teilchenphysiker in "Illuminati", die stets weiße Kittel tragen und Gustav Mahlers Vierte hören - aber nie Green Day oder wenigstens Tom Jones.

Ärgerlicher allerdings ist Browns unhistorische Haltung zu den Mythen, Legenden und Glaubenssätzen, die er vor seinen Lesern ausbreitet. Wie ausgerechnet in der altjüdischen Mystik schon die moderne String-Theorie enthalten gewesen sein soll, bleibt sein Geheimnis. Mühelos verbindet er Heisenbergs Unschärferelation mit kritischer Bibelforschung oder der Noetik, jener Pseudowissenschaft, nach der das menschliche Bewusstsein sogar Materie verformen kann - weil ja alles Weltwissen zusammenhängt. Haben also Newton, Freud, Gandhi, Rudolf Steiner und Uri Geller alle irgendwie das Gleiche geglaubt? Die Konturen echter Profile und schriftstellerischer Freiheit verschwimmen.

Aber all das stört Millionen Dan-Brown-Fans nicht, die sehnsüchtig auf das neue Buch warten. Vielleicht hatten sie einfach genug von den Grabenkriegen herkömmlicher Verschwörungstheoretiker über Kornkreise oder die Mondlandung oder Kennedys Ermordung. Vielleicht haben sie mehr Lust auf eine Schnitzeljagd, auf eine rasant zusammengestrickte Alchemisten-Agentenstory. Robert Langdon jedenfalls traut man zu, dass er einmal Konfuzius als heimlichen Kabbalisten enttarnt. Oder dass er auf Borneo einen Menschen findet, der den Urknall gehört hat.

Dem britischen "Independent" vertraute Dan Brown jedenfalls schon an, er habe Ideen für mindestens sechs weitere Langdon-Romane.