Ministerpräsident erleidet Wahlschlappe, trotzdem muss er neue Regierung bilden. Politneuling Lapid dürfte wichtige Rolle spielen.

Tel Avi/Jerusalem. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat bei der Parlamentswahl herbe Verluste erlitten, wird aber voraussichtlich wieder Regierungschef werden. Sein rechtes Bündnis Likud-Beitenu kam nur auf 31 der 120 Sitze in der Knesset (Parlament) – das sind 11 weniger als bisher, wie die am Mittwoch veröffentlichten Ergebnisse zeigten. Da der Block dennoch wieder stärkste Kraft wurde, dürfte Präsident Schimon Peres den 63-Jährigen erneut mit der Regierungsbildung beauftragen.

Über die mögliche Zusammensetzung einer solchen Regierung gab es am Tag nach der Wahl jedoch Rätselraten. Kommentatoren gingen davon aus, dass dem früheren Fernsehjournalisten, dem Politneuling Jair Lapid, nach dem Überraschungserfolg seiner liberalen Zukunftspartei (Jesch Atid) dabei eine Schlüsselrolle zukommen wird. Eine Koalition nur aus Parteien des national-religiösen rechten Lagers hätte keine Mehrheit, da dieser Block nur auf 60 Sitze kam.

Netanjahu kündigte noch in der Wahlnacht an, er wolle rasch eine möglichst breite Koalition bilden. Bei seiner Siegesrede in Tel Aviv bezeichnete er die Wahlergebnisse als „eine Gelegenheit, Veränderungen durchzusetzen, die Israels Bürger sich wünschen“. Er habe bereits Kontakt zu Lapid aufgenommen, dessen Zukunftspartei aus dem Stand auf 19 Mandate kam und zweitstärkste Kraft wurde. „Wir haben die Gelegenheit, sehr große Dinge im Interesse des Staates Israel zu tun“, schrieb Netanjahu dem 49-jährigen Lapid.

Die Zeitung „Jediot Achronot“ schloss nicht aus, dass Netanjahu neben Lapid auch den zweiten Politneuling, den ultrarechten Multimillionär Naftali Bennett und dessen 11 Abgeordnete mit ins Boot holen könnte. Die Vorsitzende der mit 15 Mandaten drittstärksten Kraft, Shelly Jachimowich, will in der Opposition bleiben. Infrage käme aber auch noch die Ex-Außenministerin Zipi Livni, die mit ihrer Neugründung Bewegung (Hatnua) auf sechs Mandate kam, und Schaul Mofas und seine auf zwei Mandate geschrumpfte frühere stärkste Kraft Kadima. Zusammen wäre das eine robuste Mehrheit von 69 Mandaten. Inhaltlich passt jedoch vieles nicht zusammen.

So wollen Hardliner in Netanjahus Likud und vor allem Bennett das palästinensische Westjordanland weiter besiedeln, letzterer sogar große Teile annektieren. Livni hingegen hat sich im Wahlkampf als eine der ganz wenigen für eine Verhandlungslösung und die Anerkennung eines Palästinenserstaates stark gemacht. Der Ausgang dieses Streits ist entscheidend für Israels Beziehungen zu seinen engsten Verbündeten wie den USA und Deutschland.

Lapid wiederum setzte sehr geschickt auf die Unzufriedenheit vieler Wähler der Mittelschicht, die im Sommer 2011 zu Hunderttausenden gegen horrende Mieten und hohe Lebenshaltungskosten demonstriert hatten. Zugleich vermied er es, konservative Wähler durch Forderungen nach Verhandlungen mit den Palästinensern zu verschrecken. „Israels Bürger haben gegen eine Politik der Angst und des Hasses gestimmt“, sagte er, ohne sich inhaltlich weiter festzulegen. Netanjahu aber wird angesichts eines ausufernden Haushaltsdefizits kaum finanzielle Zusagen machen können.

Für eine künftige Regierung nannte der Amtsinhaber fünf Hauptziele: Eine iranische Atombombe zu verhindern, die Wirtschaft weiter zu stabilisieren, das Streben nach einer Friedensregelung in Nahost, eine allgemeine Wehrpflicht sowie eine Senkung der hohen Lebenshaltungskosten. „Ich sehe viele Partner für unsere Aufgaben, und in einer breiten Regierung werden wir es gemeinsam schaffen“, sagte der Regierungschef. „Jediot Achronot“ meldete jedoch starke Zweifel an: „Es ist kaum absehbar, wie Netanjahu diese Versprechen umsetzen will. In seinem jetzigen Zustand wird er Partner und die Hilfe des Himmels brauchen, um auch nur politisch zu überleben.“

Die religiöse Partei Vereinigtes Tora-Judentum kam auf sieben Sitze, die linksliberale Merez auf sechs, die drei arabischen Parteien zusammen auf zwölf Mandate. Mehr als 5,6 Millionen Israelis waren stimmberechtigt. Die Wahlbeteiligung betrug 66,6 Prozent und war damit etwas höher als 2009 (65,2 Prozent).