Haupt- und Realschulen vor ungewisser Zukunft, Fusionsschulen sollen über Trennung selbst entscheiden. Scheuerl: rechtswidriger Plan.

Hamburg. Das Scheitern der Primarschule durch den Volksentscheid sorgt in einigen Hamburger Grundschulen für große Verwaltungs-, Planungs- und Organisationsprobleme. Viele Grundschulen leiden derzeit unter einem enorm hohen Verwaltungsaufwand, weil sie die in der Primarschulreform vorgesehenen Fusionen mit anderen Schulen zunächst eingegangen sind, um sich jetzt wieder auseinanderzudividieren. Das kritisiert der schulpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Ties Rabe. Betroffen sind etwa 100 Grundschulen, die laut Schulentwicklungsplan mit Beginn des Schuljahres zu 50 Primarschulen fusioniert sind. Diese Fusionen sind nun - nach dem Aus für die Primarschulen - zum Teil überflüssig und "können zurückgenommen werden, wenn die Schulen dies wünschen", sagt Behördensprecherin Brigitte Köhnlein.

Das klingt einfach, ist aber ziemlich kompliziert. Für die Reorganisation braucht es mindestens drei Abstimmungsergebnisse: die der Schulkonferenzen beider Standorte vom vergangenen Schuljahr und die des neu gewählten Gremiums der neuen Fusionsschule . "Die Gremien vom letzten Schuljahr können zudem noch einmal neu über Trennung oder Fusion abstimmen", sagt Brigitte Köhnlein. Die Voten seien in der ersten Woche nach den Herbstferien an die Behörde zu übermitteln. "Der Deputation dienen die Abstimmungsergebnisse als Grundlage für ihre spätere Entscheidungsfindung."

Walter Scheuerl, Sprecher der Initiative "Wir wollen lernen", sieht das komplett anders: "Die Fusionen sind rechtswidrig. Es gibt sie gar nicht." Die Initiative fordert Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) auf, "alle Maßnahmen, die auf eine Umsetzung der Fusionen der Schulstandorte zielen, umgehend rückgängig zu machen und dies ferner umgehend gegenüber den Schulleitungen, Lehrkräften und Eltern der betroffenen Schulen klarzustellen". Die Initiatoren des Volksentscheids fordern gleichzeitig die Eltern auf, keine neuen Elternvertretungen zu wählen, sondern die Gremien der ehemaligen Grundschulen einzuberufen. Die sollten dann schnellstmöglich beschließen, die Fusionen rückgängig zu machen.

Alte und neue Schulkonferenzen sollen einberufen werden

An der Schule Schnuckendrift in Neugraben-Fischbek ist das bereits geschehen. Die Eltern haben gegen die Fusion gestimmt. "Wir wollen selbstständig bleiben", sagt Schulleiter Helmut von Eitzen. Geplant war, dass die kleine Grundschule mit der Schule Falkenberg fusioniert. "Ich weiß inzwischen gar nicht mehr, wie ich unsere Schule nennen soll", sagt deren Schulleiter, Jens Bendixen-Stach. Damit alles hieb- und stichfest ist, sollen jetzt die alten sowie die neuen Schulkonferenzen ihr Votum abgeben. "Entschieden wird dann in der Behörde", sagt Bendixen-Stach.

Die Grundschulen Röthmoorweg und Frohmestraße in Schnelsen zählen zu den wenigen, die schon vor den Sommerferien weitsichtig gehandelt haben. Beide Schulkonferenzen hatten - für den Fall des Scheiterns der Primarschulpläne - ein Votum gegen die Fusion abgegeben. Dort lernen die Erstklässler jetzt - in aller Ruhe - an ihren ursprünglichen Wunschstandorten.

Auch die 23 ehemaligen Grund-, Haupt- und Realschulen (GHR-Schulen), die im Zuge der Schulreform sechsjährige Primarschulen werden wollten, stehen vor einer komplizierten Situation. So blicken die Lehrer, Schüler und Eltern der Schule An der Seebek in Bramfeld in eine nebelige Zukunft: Die ehemalige GHR-Schule mit Grundschule an der Heinrich-Helbing-Straße und Haupt- und Realschule an der Fabriciusstraße sollte im Zuge der Schulreform in eine Primarschule umgewandelt werden. Jetzt ist alles offen: "Wir werden wohl als vierzügige Grundschule weitermachen, würden allerdings am liebsten die GHR-Struktur weiterführen", sagt Birgit Möller.

Die Schulleiterin hat keine Ahnung, ob sie ihre Schule an zwei Standorten weiterführt. Dann müssten die Lehrer pendeln. Davon seien die Kollegen nicht begeistert. Einige hätten zudem signalisiert, dass sie - falls es zur Grundschullösung kommt - die Schule verlassen wollen. Bei der Ungewissheit sei es schwer, den Eltern klare Antworten zu geben. "Wir versuchen mit aller Kraft, Eltern und Schüler zu halten. Bei den künftigen Fünft- und Sechstklässlern sind wir ratlos. Sollen wir sie überreden zu bleiben, oder sollen wir ihnen den Schulwechsel empfehlen?"

Neuer Schulentwicklungsplan soll erst im Dezember vorgelegt werden

Die ehemalige GHR-Schule am Walde in Ohlstedt firmiert derzeit ebenfalls offiziell unter Grundschule mit auslaufendem Haupt- und Realschulteil. Unterrichtet werden dort nur noch die Klassen 1 bis 4, die auslaufenden Haupt- und Realschulklassen 8 und 9 sowie eine zehnte Realschulklasse. Die Siebtklässler mussten die Schule im Rahmen der geplanten Primarschul-Umwandlung verlassen. Sie sind jetzt an der Stadtteilschule Bergstedt, werden aber weiterhin in den Räumen der Schule am Walde unterrichtet. Inzwischen ist eine Debatte über die Zukunft dieser Schule entbrannt. Da sie mit knapp 450 Schülern schon zu den kleinen Standorten gehört, wäre ihr Fortbestand als reine Grundschule gefährdet. "Wir wollen eine Langformschule von der ersten bis zur zehnten Klasse und möglichst auch mit einer gymnasialen Oberstufe werden", sagt die Elternratsvorsitzende Anne Leitz. Bis alle Beteiligten Klarheit haben, wird es dauern: Zum 8. Dezember will die Schulbehörde den neuen Schulentwicklungsplan vorlegen. Über allem Planungschaos schwebt unterdessen die Verfassungsklage eines Heidelberger Rechtsanwaltes im Auftrag dreier Hamburger. Sie wollen den Volksentscheid wegen Formfehlern für ungültig erklären lassen. Dann wäre das Chaos perfekt.