Gerlinde Hartmann unterrichtet seit 1988 an der der Staatlichen Handelsschule H12. Kreativität ist der Pädagogin besonders wichtig.

Hamburg. Die Deutschstunde ist eine Feierstunde. An diesem Tag sowieso. Schließlich wird Friedrich Schiller 250 Jahre alt. Die 14 Schülerinnen und Schüler der Klasse 12b der Staatlichen Handelsschule H12 am Ausschläger Weg haben Kuchen gebacken, die Tische im Klassenraum im zweiten Stock zu einer Tafel zusammengeschoben und liebevoll gedeckt. "Jetzt ist Zeit für die Glückwünsche", sagt Lehrerin Gerlinde Hartmann (55) fröhlich. Als Hausaufgabe hatten die Schüler, die zwischen 19 und 25 Jahre alt sind und das Fachabitur anstreben, einen Essay über das Leben des Dichters gelesen.

Schüler Vincenz Will (22) erhebt sich und tritt an das Rednerpult, auf der Leinwand dahinter erscheint ein Porträt Schillers. "Lieber Friedrich", setzt er ohne Manuskript an. "Du bist Sturm, du bist Drang. Du bist der James Dean deiner Zeit. Deine Waffe war stets das geschriebene Wort." Er spricht weiter und schließt ab mit den Worten: "Wir freuen uns, dass du heute unter uns bist. Herzlichen Glückwunsch." Die Mitschüler klatschen, Gerlinde Hartmann, die seit 30 Jahren im Schuldienst ist, strahlt. "Mir ist es ein Anliegen, die Schüler in freier Rede zu schulen. Schließlich macht das meine Schüler fit für das Berufsleben."

Kreativität sei ihr wichtig, sagt die Pädagogin, die in Frankfurt am Main studiert hat und seit 1988 an der H12 Deutsch und Politik unterrichtet. Sie wolle authentisch sein, ein Vorbild, das Werte vermittelt. "Und geschlechtergerechter Unterricht liegt mir am Herzen." Aufbrechen wolle sie mit den Rollenklischees. "Gleich zum Beispiel wird gleich ein junger Mann, der hobbymäßig als Bodybuilder richtig pumpt, ganz gefühlvoll eine Ballade rezitieren." Anfangs habe er dazu keine so große Lust gehabt, bis er und alle Mitschüler gestaunt hätten: "Wow, der Alex, der kann das richtig gut."

Erst einmal muss jetzt aber Geburtstagskind Schiller auf die lobenden Worte reagieren. "Kommen Sie, Tim", motiviert Gerlinde Hartmann, "machen Sie uns den Schiller." Und Tim macht sofort mit. Er steht auf und spricht in die Runde: "Ich bin gerührt, dass ich heute hier sein darf. Vor ein paar Tagen war ich noch in Berlin, bei den Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag des Mauerfalls. Freiheit, das wisst ihr aus meinen Texten, ist das wichtigste Gut." Wieder gibt es Applaus, wieder lobt Lehrerin Hartmann. Und fügt mit einem Lachen hinzu: "Am meisten erstaunt mich, wie ein 250-Jähriger noch so vital sein kann."

Eine offene und humorvolle Art habe Frau Hartmann, sagt Vincenz Will. "Außerdem ist sie glaubwürdig. Sie macht sich für Nachhaltigkeit und Klimaschutz stark - und radelt natürlich bei Wind und Wetter zur Schule." Natürlich pauke sie mit ihnen den Pflichtstoff, übe Grammatik und analysiere Sachtexte. "Aber es gibt auch immer noch die Kür", sagt Malte Werner (24).

Zur Kür zählt vor allem der Poetry-Slam (literarischer Vortragswettbewerb), den Gerlinde Hartmann schon viermal veranstaltet hat. Mit einzelnen Klassen und mit der gesamten Schule - in zwei Wochen ist es wieder so weit. "Es freut mich, die Entwicklung der jungen Menschen zu sehen", sagt die Lehrerin. Anfangs hätten alle Angst, ihre Gedanken aufzuschreiben. "Ich kann das nicht, das habe ich noch nie gemacht - das höre ich in den ersten Stunden oft", sagt sie. Doch dann sei es beeindruckend, was für tolle Stücke entstünden.

"Zum ersten Mal im Leben macht mir der Deutschunterricht richtig Spaß", sagt Christina Zachert (21). "Weil Frau Hartmann immer ein offenes Ohr hat, menschlich super ist." Am Ende der 45-minütigen Stunde, der letzten vor der großen Prüfungswoche, sagt Gerlinde Hartmann noch mal ernst: "Sie sind alle gut vorbereitet, achten Sie aber auf die Rechtschreibung, die haut richtig rein." Und an einen Schüler richtet sie sich dann gesondert: "Steffen, Sie hatten bei der letzten Klausur nur Kaffee dabei. Das reicht nicht! Bei einer fünfstündigen Arbeit brauchen Sie dringend Wasser." "Ach, so ist sie eben, unsere Mutti", tuscheln einige Schülerinnen.

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