An der Saarlandstraße leben die Menschen seit zehn Jahren ohne Autos, dafür mit viel Gemeinschaftssinn - gut für die Lebensqualität.

Barmbek. "Wir leben hier in einem Dorf in der Stadt", sagt Jörg-Michael Sohn und betrachtet mit Wohlgefallen die Rosen und Ringelblumen, zwischen denen er gerade steht, und den Lauch und den Lavendel. Dass alle diese Pflanzen dort blühen, ist nicht selbstverständlich. "Denn eigentlich hätten an dieser Stelle Parkplätze geschaffen werden müssen", erklärt Jörg-Michael Sohn, der Mitglied des Verwaltungsrats des Wohnprojektes "Autofreies Wohnen an der Saarlandstraße" ist. Genau dieses Projekt hat jetzt sein zehnjähriges Bestehen gefeiert - und zwar unter anderem im "Grabeland".

So nämlich heißt die kleine Gartenlandschaft direkt im Eingangsbereich des Autofrei-Quartiers, eben jener Bereich, der normalerweise zum Abstellen motorisierter Vierräder genutzt würde. Aber so ganz "normal" ist das Leben in der Siedlung, die sich auf die Straßen Saarlandstraße und Am Eisenwerk aufteilt, nun einmal nicht - denn Autos gibt es hier keine. "Die hiesigen Anwohner verzichten bewusst darauf", sagt Jörg-Michael Sohn und betont, seine Nachbarn und er seien mit dieser umweltfreundlichen Lebensart im April 2000 deutschlandweit die Vorreiter gewesen. "Wir sind hier gut zu Fuß, fahren viel Fahrrad und nutzen häufig den öffentlichen Nahverkehr." Zudem, so ergänzt Sohns Nachbarin Inga Kypke, begriffen die Menschen, die hier lebten, das Fehlen von Kraftfahrzeugen nicht als ein Verbot mit defizitären Folgen für den Alltag, sondern vielmehr als Gebot, das ein Gewinn in Sachen Lebensqualität sei. "Unsere Kinder können ungefährdet auf weiter Fläche spielen.

Wir haben keinen Lärm und keine Abgase. Und wir geben weniger Geld aus: So haben wir etwa beim Bauen pro eingespartem Tiefgaragenstellplatz 20 000 Euro weniger bezahlt." Solche Ersparnisse seien dann wiederum in "ökologischen Luxus" wie ein Blockheizkraftwerk und Regenwasserzisternen investiert worden. Und falls kurzzeitig doch einmal ein Auto für einen Quartiersbewohner vonnöten würde, etwa aus Krankheitsgründen? "Dann", antwortet Inga Kypke, "geben wir von der basisdemokratischen Selbstverwaltung dazu natürlich auch schnell und unbürokratisch unser Okay."

Rund 450 Menschen in gut 170 Haushalten wohnen heute im Autofrei-Quartier zwischen Osterbek- und Barmbeker Stichkanal. Sie leben zum Großteil in von verschiedenen Genossenschaften verwalteten und zu einem kleinen Teil in Eigentumswohnungen; die allermeisten, die in den vergangenen Jahren hier eingezogen sind, sind bis heute geblieben. "Die Fluktuation ist sehr gering", sagt Jörg-Michael Sohn. Die meisten Bewohner sind laut Sohn Familien mit Kindern. "Für diese 'Zielgruppe' von Mietern", sagt Sohn, "ist unser Viertel natürlich sehr attraktiv." Zum Beweis zeigt er auf die vielen Lütten, die auf dem Gelände Rollschuh laufen, skaten und umherrennen.

Dass jeder der Anwohner, der gerade mal vorbeispaziert, sich über die tollenden Kinder und Jugendlichen freut, das steht für das große Gemeinschaftsgefühl, das das Projekt "Autofreies Wohnen an der Saarlandstraße" seit einem Jahrzehnt so erfolgreich macht. "Wie gesagt", meint Jörg-Michael Sohn, "wir leben hier in einem Dorf in der Stadt. Nicht nur wegen des ganzen Grüns, sondern auch deshalb, weil hier jeder jeden kennt und jeder für jeden da ist." Das habe einen überaus festen Nachbarschaftszusammenhalt zur Folge, von dem auch die 42 im Quartier in ambulanter Pflege lebenden behinderten Menschen profitierten.

Ein weiterer Pluspunkt, mit dem die autofreie Siedlung in Barmbek in ihrem aktuellen Jubiläumsprospekt für sich selbst wirbt, lautet übrigens: "Verstärkte Kaufkraft im näheren Wohnumfeld." Also Einkaufen gleich um die Ecke. Der einzige Betrieb, der davon weniger profitieren dürfte, ist die Fahrschule direkt gegenüber.