Diskussion über ein verkleinertes Berufsparlament und attraktivere Debatten. Arbeitsbelastung steigt rasant

Hamburg. Drei Tage lang haben sich die Abgeordneten der Bürgerschaft in der vergangenen Woche bis spät in die Abende hinein gemüht, mehr als 13 Milliarden Euro gerecht zu verteilen – und dann das! Das Echo auf die Haushaltsberatungen und die traditionelle Generalabrechnung der Opposition mit dem Senat fiel ziemlich mies aus. Von „verpassten Chancen“ und „gescheiterter Abrechnung“ war da zu lesen. Auf dem Onlinekanal der Bürgerschaft schauten zuletzt gerade mal noch ein paar Dutzende Menschen zu. Und unter den professionellen Beobachtern war eine Sehnsucht nach mehr rhetorischen Überraschungen und weniger abgedroschenen Phrasen zu spüren.

Weil auch Studien belegen, dass die Menschen sich immer weniger für ihr Parlament interessieren, macht man sich auch in Hamburg Gedanken, wie der Parlamentarismus attraktiver gestaltet werden könnte. „So kann es nicht weitergehen“, sagt der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete André Trepoll. „Der Parlamentsbetrieb muss nach außen und innen interessanter und attraktiver werden.“

Die CDU plädiere dafür, künftig wöchentlich zu tagen – dafür aber kürzer und auch nicht erst ab 15 Uhr, sondern bereits morgens. Die Redezeiten sollten stärker begrenzt werden, so Trepoll – auch für Senatoren, die es im Parlament bisher fast immer weidlich ausnutzen, dass ihre Redezeiten nicht begrenzt sind.

Zudem solle eine Bürgermeister- und Senatoren-Fragestunde eingeführt werden, bei der Senatsvertreter den Abgeordneten Rede und Antwort stehen müssten. FDP-Fraktionschefin Katja Suding schlägt häufigere Auftritte von Gastrednern vor – oder auch die Verlegung von Debatten an zu den Themen passende Orte. So könne man über Hochschulpolitik im Audimax der Universität debattieren und in der Elbphilharmonie über den Kulturetat, sagt Katja Suding.

Grünen-Fraktionschefs Jens Kerstan plädiert für eine radikale Umgestaltung der Bürgerschaft: Statt des Feierabendparlaments mit einer stattlichen Zahl von 121 Nebenberufs-Abgeordneten mit geringen Diäten von 2500 Euro brutto setzt er auf eine Verkleinerung und Professionalisierung der Bürgerschaft. „Wir sollten diskutieren, welche Vor- und Nachteile das haben würde“, so Kerstan. „Ich persönlich befürworte eine Abschaffung des Teilzeitparlaments und eine Verkleinerung auf rund 80 Abgeordnete. Das Thema wird bei uns Grünen noch strittig diskutiert. Aber ich glaube, fertige Modelle sollten am Ende der Debatte stehen und nicht am Anfang.“ Das Parlament sei das „Herz des politischen Systems und das Gegengewicht gegen die Macht der Exekutive“, so Kerstan. „Aber in der Bürgerschaft sind wir, je komplexer die Themen werden, umso abhängiger vom Senat mit seiner informationellen Überlegenheit.“

Die Abgeordneten müssen über immer komplexere Themen entscheiden

„Tendenziell verwandelt sich damit das Parlament von einer Volksvertretung in einen Ausschuss der Regierung.“ Eine bessere Unterstützung der Arbeit der Abgeordneten sei „unbedingt notwendig“, so der Grünen-Fraktionschef. „Dazu haben wir bereits einen Vorschlag eingebracht: einen Wissenschaftlichen Dienst, wie ihn die meisten Landesparlamente haben. Unser Vorschlag zur Gegenfinanzierung ist die Abschaffung der Deputationen.“

Auch in der SPD wird über Verbesserungen nachgedacht. Der Idee eines Berufsparlaments ist man zwar nicht vollkommen abgeneigt – weist aber auch auf die Nachteile hin. „Es gibt Argumente für ein kleineres Vollzeitparlament und Gründe dagegen – die Meinungen gehen übrigens quer durch die Fraktionen, was eine Lösung nicht einfacher macht“, sagt SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. „Die feste Verankerung vieler Abgeordneter im beruflichen Leben ginge verloren. Dagegen wiegt gleichwohl schwer, dass die wenigeren Abgeordneten mehr Zeit hätten, sich in Sachverhalte einzuarbeiten.“

Tatsächlich haben die Abgeordneten immer häufiger über hochkomplexe Themen zu entscheiden – vom milliardenschweren Rückkauf der Energienetze über Milliardengarantien für die HSH Nordbank bis zu den Elbphilharmonie-Verträgen.

„Grundsätzlich kann ich mir die Bürgerschaft auch als Berufsparlament vorstellen. Man muss aber auch die Nachteile sehen“, sagt Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD). So hätten sich „die Hamburger per Volksabstimmung für 17 Mehrmandatswahlkreise plus Landeslisten entschieden, da kann man die Zahl der Abgeordneten kaum reduzieren“. Zudem würde ein Profi-Parlament teurer. Denn natürlich müssten die Diäten auf das Niveau anderer Länderparlamente angehoben werden, wenn Abgeordnete ihren Berufen nicht mehr nachgehen können.

Zugleich weist Veit Kritik am Niveau der Redebeiträge zurück. „Nicht jeder gute Fachpolitiker muss auch eine Rampensau sein, sprich: Es kommt nicht allein darauf an, ob jemand ein guter Redner ist“, so die Präsidentin. Zugleich macht Veit auf ein anderes Problem aufmerksam: Das Arbeitsaufkommen hat drastisch zugenommen.

So hat sich die durchschnittliche Zahl der jährlichen Drucksachen binnen eines Jahrzehnts von 1775 auf 3698 je Wahlperiode mehr als verdoppelt. Wurden in den 18. Wahlperiode (2004–2008) noch im Schnitt 1056 schriftliche Kleine Anfragen pro Jahr von Abgeordneten gestellt, so waren es in der laufenden 20. Legislatur bereits 2402. Auch die Zahl der Gremiensitzungen pro Jahr hat sich deutlich erhöht – ebenso wie die durchschnittliche Dauer der Sitzungen.

Das Arbeitsaufkommen hat sich binnen weniger Jahre fast verdoppelt

Eine Abschaffung der Feierabend-Bürgerschaft zugunsten eines Berufsparlaments bleibt dennoch umstritten. „Das würde den Charakter des Parlamentes verändern. Ob es spannender werden würde, ist offen“, gibt Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn zu bedenken. Die CDU lehnt die Umwandlung in ein Parlament von Berufspolitikern ab. „Das Fortbestehen des Teilzeitparlamentes ist für uns die rote Linie“, sagt Verfassungspolitiker Trepoll.

„Wir sind überzeugt von dem Vorteil, dass die Abgeordneten im wirklichen Leben stehen. Aber die Rahmenbedingungen müssen reformiert werden.“ Trepolls Parteifreund Robert Heinemann, der 2015 freiwillig aus der Bürgerschaft ausscheidet. „Das neu gewählte Parlament sollte überlegen, eine Enquetekommission für eine Parlamentsreform einzusetzen“, sagt Heinemann. „Die derzeitigen Abläufe passen nicht mehr zu einer veränderten Welt. Die Bürgerschaft hechelt heute häufig den Debatten hinterher anstatt sie zu starten und zu prägen.“

Wie auch immer eine Reform aussehen könnte – darüber, dass sich an der Arbeit des Hamburger Parlaments etwas ändern muss, ist man sich im Rathaus weitgehend einig. Für die Beratungen bleibt nach der Wahl 2015 genug Zeit: Erstmals dauert die Wahlperiode in Hamburg dann fünf Jahre.