Die Parlamente müssen lebendiger werden. Das gilt auch für die Bürgerschaft

Das mit dem Parlament ist eine kinderleichte Sache. Da sitzen viele Leute im Halbkreis, und abwechselnd geht einer nach vorne und erzählt eine Geschichte. Mal geht einer von denen, die etwas zu sagen haben, die nennt man Regierung. Und dann jemand von denen, die nichts zu sagen haben, aber gerne etwas zu sagen hätten, die nennt man Opposition. Und obwohl beide vom selben Land und derselben Stadt sprechen, erzählen sie komischerweise ganz unterschiedliche Geschichten. Die von der Regierung sagen, dass alles toll ist und bald noch toller wird, sie rufen: „Aufschwung, Wohlstand, blühende Landschaften.“ Und die von der Opposition sagen, dass alles ganz schlimm ist und bald noch schlimmer wird und schreien: „Krise, Katastrophe, Ungerechtigkeit!“ Und am Ende weiß keiner, was denn nun stimmt. Und deswegen hört bald keiner mehr zu, und es geht auch keiner mehr hin.

Mal unter Erwachsenen: So läuft es, nur wenig überspitzt, ja wirklich in unseren Parlamenten. In den Debatten werden kaum einmal neue Positionen oder Lösungen gesucht, es werden fast nur noch Phrasen ausgetauscht. Und am Ende stimmen alle so ab, wie es schon Tage vorher beschlossen wurde. Der Publizist Roger Willemsen, der sich ein Jahr lang angesehen hat, was der Bundestag zu bieten hat, kam zu dem Schluss, das Parlament sei „eine große Idee in ihrer Krise“. Die Deutschen würden es nur noch verwalten – und zwar in einem „Zustand der Dekadenz“. Die Folgen sind längst sichtbar: Während in den 1980er-Jahren noch zwei Drittel der Menschen gelegentlich Parlamentsdebatten am Radio oder Fernseher verfolgten, tut dies heute gerade noch jeder Vierte, so das Ergebnis einer neuen Studie. Nur jeder Zweite weiß, welche Fraktionen im Bundestag derzeit in der Opposition sitzen.

Die Gründe für die Krise sind vielfältig. Eine zentrale Ursache aber ist und bleibt der Fraktionszwang.

Weil jeder Abgeordnete (gegen den Geist der Verfassung) gezwungen wird, alles zu vertreten und zu verteidigen, was seine Fraktion entschieden hat, wird jede offene Diskussion in den Parlamenten verhindert. Plenardebatten sind deswegen oft nur noch Schaukämpfe, ähnlich denen von amerikanischen Wrestlern. Lange vorher steht fest, wer den Kampf (oder: die Abstimmung) gewinnt. Auch wer wem (hier körperlich, dort verbal) vor den Latz knallt, ist längst geklärt. Ein Unterschied immerhin bleibt: Wrestler sind lustiger angezogen.

Aber im Ernst: Auch in Norddeutschland haben die jüngsten Haushaltsberatungen gezeigt, wie wenig Esprit, Witz und Lebendigkeit derzeit aus unseren Parlamenten kommt. Viele der Debatten bestanden daraus, dass sich Abgeordnete mit seit Jahren wiedergekäuten Metaphern beschimpften. Angesichts dieser Lage ist es gut, dass auch in Hamburg nun eine Diskussion darüber geführt wird, wie man der Bürgerschaft zu neuer Vitalität verhelfen kann. Dabei sollte man zum einen darüber nachdenken, ob es nicht an der Zeit wäre, das mit 121 Abgeordneten für einen Stadtstaat sehr große Parlament zu verkleinern – und es womöglich auch zu professionalisieren, also aus vielen Feierabendpolitikern weniger Berufspolitiker zu machen. Es muss aber auch darum gehen, wie Debatten lebendiger organisiert werden. Dazu gibt es bereits Vorschläge, etwa Bürgermeister-Befragungen. Die Redezeiten könnten stärker begrenzt werden, und die Plenardebatten sich auf wesentliche Themen konzentrieren, zu denen wirklich Erhellendes zu erwarten ist.

Die Diskussion beginnt gerade erst. Weil die nächste Wahlperiode erstmals fünf Jahre dauert, bietet sie den Abgeordneten genügend Zeit, sich kluge Gedanken über eine nötige Reform der Bürgerschaft zu machen – vielleicht sogar unter Beteiligung interessierter Bürger. Eines jedenfalls braucht kein Mensch mehr: ritualisierte Märchenlesungen im Sitzkreis.