Jana Schiedek kündigt nach Protesten an, Staatsanwaltschaft in den kommenden beiden Jahren von weiteren Sparrunden auszunehmen

Hamburg. Immer aufwendigere Ermittlungsverfahren, immer mehr Akten, weniger Mitarbeiter und nicht selten Arbeitszeiten, die sich auf bis zu 50 oder sogar noch mehr Stunden pro Woche summieren: Hamburgs Staatsanwälte arbeiten seit Langem am Limit.

Jetzt hat Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) gegenüber dem Abendblatt angekündigt, dass die Strafverfolgungsbehörde für die Jahre 2015 und 2016 „von weiteren Konsolidierungen ausgenommen“ werde. Ursprünglich war vorgesehen, dass in den kommenden zwei Jahren von aktuell 502 Stellen weitere vier eingespart werden müssten. Mit dem Aussetzen der Sparauflagen reagiert Schiedek auf einen Bericht über die Arbeitssituation bei der Staatsanwaltschaft, in dem es heißt, die Arbeitsbelastung führe schon jetzt dazu, dass die Staatsanwaltschaft „nicht mehr in allen Bereichen in der Lage ist, ihrer Aufgabe nachzukommen, eine effiziente und effektive Strafverfolgung sicherzustellen und dadurch die Gesellschaft vor Kriminalität zu schützen“.

Viele Staatsanwälte gaben ihre Wochenstundenzeit mit 50 an

Stelleneinsparungen seien angesichts der Belastungssituation „nicht gerechtfertigt“. Zudem seien sie „widersprüchlich“, da die Polizei im Haushalt von Einsparungen ausgenommen ist. Strafverfolgung sei schließlich „eine einheitliche staatliche Aufgabe. Alle Bereiche müssten „gleichermaßen funktionsfähig gehalten und mit Personal ausgestattet werden“. Nach Alarmsignalen aus der Staatsanwaltschaft über eine hohe Arbeitsbelastung hatte Schiedek eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Effektivität der Arbeitsweise der Staatsanwaltschaft untersuchen sollte. In dem nunmehr vorliegenden, 84 Seiten langen Bericht „Reorganisation und Modernisierung der Staatsanwaltschaften“ wurde die Arbeitsbelastung herausgearbeitet. Viele Staatsanwälte gaben ihre Wochenstundenzeit mit 40 bis 50 an. „Wir laufen in vielen Bereichen über“, sagt ein Vertreter der Anklagebehörde zum Abendblatt.

Manche Kollegen würden sogar bis zu 60 Stunden pro Woche arbeiten und sonntags ins Büro kommen, um die Arbeit zu erledigen. Ein Hinweis auf die hohe Belastung in der Staatsanwaltschaft ergibt sich dem Bericht zufolge unter anderem aus der Tatsache, dass es eine starke Zunahme an Verfahren gebe, die nicht innerhalb von neun Monaten abgeschossen werden können, den so genannten „Resteverfahren“. Diese stiegen seit 2005 von 1725 auf nunmehr 2134 im vergangenen Jahr an.

In dem Bericht der Projektgruppe, der neben dem Leiter der Gruppe, dem ehemaligen Amtsgerichtspräsidenten Heiko Raabe, drei Staatsanwälte angehören, werden auch zahlreiche Vorschläge für eine effizientere Arbeit gemacht. Dort heißt es unter anderem, Referendare sollten vermehrt für Hauptverhandlungen eingeteilt werden, zudem sei es wichtig, die IT-Infrastruktur zu verbessern. Eine Empfehlung lautet auch, die Fluktuation insbesondere bei den jüngeren Staatsanwälten einzuschränken, um ihnen eine kontinuierliche Arbeit in einem Dezernat zu ermöglichen. Bisher müssen sie teilweise sogar jährlich das Dezernat oder auch zum Gericht wechseln. Auch wird neben etlichen anderen Vorschlägen von einem Teil der Projektgruppe empfohlen, die Anzahl der Behörden-internen Instanzen bei bestimmten Arbeitsgängen vom bisher geltenden „Sechs-Augen-Prinzip“ auf das „Vier-Augen-Prinzip“ zu reduzieren und in der Regel nur noch einem Abteilungsleiter und nicht noch einer weiteren Instanz, den Hauptabteilungsleitern, vorzulegen. So würden Ressourcen frei, und Verfahrensabläufe könnten beschleunigt werden.

Senatorin Schiedek sagte, dass es bei der Staatsanwaltschaft ein „hohes Arbeitsaufkommen“ gebe, „bestimmte Bereiche sind besonders belastet“, sagte die SPD-Politikerin. Dem Bericht sei aber auch zu entnehmen, „dass es ordentliches Potenzial zur Verbesserung der Verteilung der Ressourcen gibt. Wir nehmen den Bericht sehr ernst“, zumal 2014 auch ein leichter Anstieg der neu eingegangenen Verfahren festzustellen sei. Nun solle gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft über die Vorschläge diskutiert werden. „Wir wollen sehen, wie die Mitarbeiter das bewerten. Idealerweise kommen wir zu einem gemeinsamen Ergebnis.“ Sie setze auch bei der Staatsanwaltschaft „eine Bereitschaft zur Veränderung voraus“, sagte Schiedek. „Wir sind sicher, dass auch die Leitung der Behörde offen für den Änderungsprozess ist.“ Für eine Umsetzung von Maßnahmen werde es zum Teil „ein gutes Stück Zeit brauchen“, denn auch die Gerichte seien in den Prozess einzubeziehen.

2013 hatte es gleich zwei außergewöhnliche Aktionen gegeben, in denen aus der Staatsanwaltschaft unter anderem gegen angekündigte weitere Sparmaßnahmen für die Behörde protestiert wurde. Im August hatten Generalstaatsanwalt Lutz von Selle und der Leitende Oberstaatsanwalt Ewald Brandt in einem Brief an Senatorin Schiedek ihrem Ärger Luft gemacht und geschrieben, die zu leistende Arbeit sei „schon jetzt nicht mehr in einer rechtsstaatlichen Erfordernissen genügenden Gründlichkeit und Schnelligkeit zu erbringen“. Weitere Sparmaßnahmen würden dazu führen, dass die Staatsanwaltschaft ihre Aufgaben „noch weniger wird erfüllen können“. Schon zwei Monate zuvor hatten bei einer Personalversammlung im Juni 2013 mehrere Staatsanwälte den Arbeitsdruck beklagt, der zu hohem Krankenstand führe. Die anderen Kollegen müssten vier Mal in der Woche die Behörde in Prozessen vertreten und kämen kaum noch dazu, ihr Dezernat zu bearbeiten.