In ihren Trauerreden würdigten Wegbegleiter und Michel-Pastor Röder den Schriftsteller, aber auch den warmherzigen Menschen Siegfried Lenz. Und zwischendurch erklang Richard Wagners „Siegfried-Idyll“.

Hamburg. Wenn es Abschied nehmen heißt von einem Menschen, dann scheint es manchmal so, als habe dieser eine Mensch eigentlich aus vielen Menschen bestanden. Das gilt umso mehr, je bedeutender oder berühmter er ist. Als am Dienstag um 12 Uhr mittags in St.Michaelis die Trauerfeier für Siegfried Lenz ausgerichtet wurde, den wohl wirkungsmächtigsten deutschen Schriftsteller seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, erinnerten gleich fünf Trauerredner und Hauptpastor Alexander Röder jeder auf seine Weise an ihn.

Es gab drei Abschiede von Lenz als Ehrenbürger dreier Gemeinwesen, einen von Lenz als nahezu lebenslanger Freund und eine ausführliche literarische Würdigung seines Schaffens. Es war eine Feier für einen ganz Großen, der doch auf denkbar bescheidene Weise identisch war mit sich selbst. Ehrungen gleich welcher Art trugen zum Wachstum seines Egos nicht bei.

Hauptpastor Alexander Röder, der auch die Liturgie hielt, rühmte als Erster die besondere Bescheidenheit des Dichters. Er machte sie als den „Ursprung seiner Größe als Schriftsteller und als Mensch“ aus, und als Beleg für die besondere Güte von Lenz erzählte Röder von einer liebenswürdigen kleinen Angewohnheit, die Lenz als Kind in Masuren kultivierte. Er sei schon damals gern angeln gegangen, und dabei sei ihm stets eine Katze gefolgt. Den ersten gefangenen Fisch habe Siegfried Lenz immer dieser kleinen, hungrigen Begleiterin überlassen.

Röder würdigte auch ausdrücklich die Verdienste von Siegfried Lenz um die Aussöhnung zwischen den Polen und Deutschen. Als Evangeliumstext las er Verse aus Matthäus, Kapitel 25, wo es um einen Knecht geht, der ihm überlassene fünf Zentner Silber durch tüchtiges Wirtschaften verdoppelt und später Kapital wie Gewinn frohen Herzens dem Herrn überlässt, der es ihm anvertraute. Merkantiles hatte Röder dabei offenbar nicht im Sinn, wie sich bei seiner Übersetzung von Zentner in Talente zeigte. Lenz habe „im guten Sinne gewuchert mit seinen Talenten“.

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz sprach wie stets bei kulturellen Anlässen beinahe etwas scheu und frei von Emphase. Dabei enthielt seine Würdigung sehr Nachdenkenswertes; nachdem Scholz die engen Beziehungen zwischen Lenz und Hamburg herausgestellt hatte, die bereits im Jahr 1945 begannen, pries er Lenz’ Haltung des Beobachtens und Benennens anstelle moralischer Anklagen. Lenz habe „die Kunst beherrscht, lehrreich zu erzählen, ohne sich belehrend zu geben“. Er sei ein „Autor der leisen Wahrheiten“, deren Nachhall dafür groß sei, „bisweilen gar anschwellend“. Und Hamburg habe er „liebevoll, zärtlich, ironisch“ beobachtet und beschrieben.

„Wie ein Werbeblock“, lautete der Flüsterkommentar eines Trauergastes, als Torsten Albig, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, seine Trauerrede beendet hatte. Tatsächlich nannte Albig das Land zwischen den Meeren in seiner kurzen Rede 13-mal beim Namen, auch in Deklinationsformen. Lenz habe die Welt im Dorf gespiegelt und das Dorf in der Welt. „Nie zuvor hat ein Dichter uns Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner derart aus Sprache nachgebildet, unsere Landschaft, unsere Mentalität“, sagte Albig.

Als Trauerredner war auch Tomasz Andrukiewicz gekommen, der junge Bürgermeister der Stadt Elk in Masuren, die zu Lenz’ Kinderzeit noch Lyck hieß. Am 18. Oktober 2011 hatte Andrukiewicz Lenz die Ehrenbürgerwürde seiner Stadt verliehen, ein Datum, „das für alle Zeit in die Annalen unserer Stadt eingegangen“ sei. „Ich komme nach Elk zurück“, das sei der Slogan der Stadt, der durchs Lenz’ Visite eine besondere Bedeutung gewonnen habe: „Auch Siegfried Lenz ist nach Elk zurückgekommen, als Bindeglied zwischen der fernen Vergangenheit und der Gegenwart.“

Als Besinnungsmusik zwischen den beiden Redeblöcken erklang Richard Wagners „Siegfried-Idyll“, eine überraschend sanfte Musik für einen Helden, erst recht für Wagner. Sie war gewiss nicht nur wegen des gleichlautenden Vornamens des Verstorbenen ausgesucht worden. Denn außer einem einleitenden Bach-Präludium, zwei Gemeindechorälen und einer innerlichen Orgelimprovisation von Manuel Gera erklangen neben Wagner nur drei Choräle von Felix Mendelssohn Bartholdy. Wagner hat sich über Mendelssohn, den konvertierten Juden, übel antisemitisch ausgelassen; ihrer beider Musik hier so einträchtig nebeneinander zu stellen, mutete wie ein postumer kluger lenzscher Akt der Versöhnung an.

Die sehr persönlichen Worte der Erinnerung von Helmut Schmidt an den Freund waren in ihrer tapferen schmidtschen Nüchternheit überaus ergreifend. Schmidt sprach von der Tugend der Gelassenheit, die ihnen gemeinsam gewesen sei, und wie sie sich bewähre, „nicht zuletzt gegenüber dem Alltag mit all seinen Misslichkeiten“.

Lenz’ besondere Gabe der Menschenfreundlichkeit und des Ausgleichs kam auch in der Wahl des letzten Redners zum Ausdruck. Denn es war keiner der sehr berühmten Schriftstellerkollegen, die Ulla Reimer, die Witwe des Dichters, um eine Rede gebeten hatte, sondern Karl-Heinz Ott, ein Romancier, der erst vor neun Jahren in Siegfried Lenz’ Freundeskreis trat. Mit Wärme, kenntnisreich und mit unverkennbar süddeutschem Zungenschlag sprach Ott über die Fähigkeit des so versöhnlichen Dichters Lenz, in seinen Romanen und Erzählungen die Zwistigkeiten zwischen den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken: „Er war der Meister des Konflikts. Zumindest in literarischer Hinsicht.“

Ott beschwor die großartigen Naturbeschreibungen herauf, die Lenz gelungen seien: „Seine Welt, das sind die Heide-, Meer- und Torflandschaften, mit ihren Winden und Wolken und ihrer Weite, ihren Küsten, Inseln und Deichen, Buhnen, Mooren und Dünen.“ Wie ihm, dem meeresfern südlich von Stuttgart Aufgewachsenen, das Meer und die Küste in den Schilderungen von Siegfried Lenz schon zur Heimat geworden waren, ehe er beides das erste Mal mit eigenen Augen sah, das schien vielen (nicht nur) Lenz-Lesern aus dem Herzen gesprochen. Es zeigt die Kraft der Literatur, die allein durch Sprache eine Welt mitsamt ihren Aromen und Klängen zu erschaffen vermag und in der zu Hause zu sein eine Option ist, auch und gerade für jene, denen ein benennbarer Ort als Zuhause, gar als Heimat verdächtig bleibt. „Man fühlte sich neben dir nicht nur an dem Tisch aufgehoben, an dem man saß, sondern ein bisschen sogar im Leben überhaupt, zumindest solange du in der Nähe warst. Ich hatte sogar das Gefühl, man könnte, würde man nur oft genug mit dir zusammensitzen, selbst ein wenig großzügiger werden.“ Erst da, am Ende, übermannte ein großes Verlustgefühl Otts Stimme.