Im Mittelpunkt der Trauerfeier für Siegfried Lenz im Hamburger Michel stand eine bewegende Rede von Helmut Schmidt. Altbundeskanzler beeindruckte seine 2000 Zuhörer mit klaren Worten.

Neustadt. Mit Würde und hanseatischem Stil hat Hamburg am Dienstag offiziell Abschied genommen von einem seiner namhaftesten Ehrenbürger: In einer zu Herzen gehenden Trauerfeier in der Hauptkirche St. Michaelis standen Politiker, Freunde und Bürger der Familie zur Seite. Siegfried Lenz, so hieß es nicht nur einmal, sei ein „großer Mensch“ und eine „Persönlichkeit mit Bodenhaftung“ gewesen.

Altbundeskanzler Helmut Schmidt, dem Schriftsteller jahrzehntelang als Freund und Seelenverwandter verbunden, brachte es in einer bewegenden Rede auf den Punkt: „Für Loki und mich war er ein Ombudsmann des menschlichen Anstands.“ Dem 30-minütigen Gottesdienst, der durch Chor und Orchester von St. Michaelis einen besonders feierlichen Rahmen erhielt, folgten fünf Ansprachen.

Sie hoben das literarische Wirken des drei Wochen zuvor im Alter von 88 Jahren Verstorbenen hervor, betonten aber auch die menschliche, zutiefst bescheidene Note des gebürtigen Ostpreußen, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Hamburg eine neue Heimat gefunden hatte. Am Nachmittag wurde Lenz im engsten Familienkreis in Nienstedten beigesetzt. In der ganzen Stadt war halbmast geflaggt.

„Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren“, sangen mehr als 1500 Gäste im Michel zum Beginn des eineinhalbstündigen Festakts. Zahlreiche Prominente aus Politik, Wirtschaft und Kultur hatten vor dem Altarraum Platz genommen. Neben dem mit weißen Rosen, Lilien und Efeu geschmückten Sarg erinnerte ein großes Foto an einen Mann, der ob seiner Werke im Gespräch bleiben wird.

Bürgerschaft und Senat hatten einen Kranz aus roten Rosen und Gerbera geschickt. An einem anderen hing eine Schleife in den deutschen und den Hamburger Farben mit der Aufschrift „Der Bundespräsident“. Neben Angehörigen hatten auch das Land Schleswig-Holstein, die Freimaurer-Loge und die Elbschloss-Residenz in Nienstedten, dem letzten Wohnsitz des Verstorbenen, im Altarraum Blumen deponiert. Es war ein beeindruckendes Bild. Im Anschluss an eine Lesung aus dem Matthäusevangelium stimmte der Chor auf der Empore Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium „Elias“ an: „Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir.“ War es nur ein Zufall, dass der Sonnenschein das Gotteshaus mit Licht durchflutete?

„Unsere Trauer wird erhellt durch fröhliche und schöne Erinnerungen“, sagte Hauptpastor Alexander Röder. Siegfried Lenz habe mit seinen Büchern Generationen beseelt, berührt und zum Schmunzeln gebracht. Er habe Großes bewirkt, das dauerhaften Bestand habe, sei im Zusammenhang mit der eigenen Person jedoch stets äußerst bescheiden gewesen. Pastor Röder hatte bereits 2010 bei der Trauerfeier für Loki Schmidt durch den Festakt in St. Michaelis geführt.

Vor vier Jahren war Siegfried Lenz im Rollstuhl präsent. Damals wie gestern saß Helmut Schmidt in der ersten Reihe – gleichfalls im Rollstuhl. Neben seiner neuen Lebensgefährtin Ruth Loah sprach der 95-Jährige das Vaterunser. „Großer Gott, wir loben dich“, sangen anschließend alle gemeinsam. Im Anschluss an den Segen folgte erneut Felix Mendelssohn Bartholdy: „Verleih uns Frieden gnädiglich.“

Als erster Redner trat Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) an das Rednerpult. Nach einem stillen Moment vor dem Grab sprach Scholz von einem „im besten Sinne hanseatischen Menschen mit einem großartigen literarischen Vermächtnis“. Scholz schloss mit den Worten: „Wir verneigen uns vor Siegfried Lenz.“ Ihm folgten Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) sowie Tomasz Andrukiewicz, Stadtpräsident von Elk/Lyck in Polen, Lenz’ Geburtsort. Hier wie dort war der Schriftsteller Ehrenbürger.

Nach knapp einer Stunde spielte das Michel-Orchester aus „Siegfried – Idyll“ von Richard Wagner. Für die ehemaligen Bürgermeister Christoph Ahlhaus, Hans Ulrich Klose, Ortwin Runde und Henning Voscherau war dieses Intermezzo eine Gelegenheit zur inneren Einkehr, aber auch für Senatoren und Minister, für den Liedermacher Wolf Biermann oder den Nobelpreisträger Günter Grass. Die Worte wirkten nach. Mitglieder der Bundesregierung waren nicht nach Hamburg gereist.

Herrschte im Gotteshaus ohnehin ergriffene Stille, gab es um 13 Uhr eine weitere Steigerung: Wort frei für Helmut Schmidt. Anfangs noch ein wenig stockend, wurde die Stimme des Altkanzlers immer klarer, fester, entschlossener. Eine gut ein halbes Jahrhundert währende Freundschaft sei nunmehr beendet, „die uns immer wieder berührt hat“. Mehrere Hundert Mal habe er sich mit „Sigi“ getroffen – „in Dänemark, in Schleswig, in Holstein und auf Hamburger Boden“. Man habe dann „über Gott und die Welt“ gesprochen.

Schmidt erzählte von gemeinsamen Erlebnissen regelmäßig im Sommer, gemeinsam mit seiner Ehefrau Loki, der 2006 verstorbenen Liselotte „Lilochen“ Lenz und eben deren Ehemann Siegfried. Dabei seien die Frauen mindestens ebenso wichtig wie die Männer gewesen. Von diesem Quartett ist nur noch einer auf Erden präsent: Helmut Schmidt. „Im hohen Alter sterben links und rechts alle Freunde weg“, sagte der frühere Bundeskanzler ins Mikrofon. Er stellte das – typisch – nüchtern und sachlich fest. Nicht wenige in St. Michaelis spürten eine intensive Gänsehaut. „Ich werde ihn sehr vermissen“, sagte Schmidt zum Schluss.

Im Anschluss an die Abschiedsworte des Schriftstellerkollegen und Freundes Karl-Heinz Ott erklang eine Orgelimprovisation. Während sich die Gemeinde erhob, trugen acht Männer den blumengeschmückten Sarg durch das Kirchenschiff zum Ausgang. Die Witwe Ulla Reimer, eine enge Freundin von Siegfried Lenz’ erster Frau Liselotte, führte dahinter die Riege der Trauernden an. Es herrschte Einigkeit: Es war eine passende Zeremonie für eine Persönlichkeit, die Hamburg zur Ehre verhalf. NDR Fernsehen und abendblatt.de sorgten dafür, dass auch jene dabei waren, die nicht vor Ort weilen konnten.

Tief Luft holen und durchatmen auf dem Kirchhof: Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) stand neben ihrem Ehemann Olaf Scholz. Günter Grass setzte seine Pfeife in Gang und hielt Klönschnack mit dem Intendanten Jürgen Flimm. Sodann bat Michel-Hauptpastor Alexander Röder geladene Gäste zu Kaffee, Kuchen und Häppchen in das Gemeindehaus.

Andere stärken sich in der Snackbar vis-à-vis an Fischbrötchen, Frikadellen und Kopenhagenern. Und während sich das Hauptportal von St.Michaelis hinter dem letzten Trauernden und gefüllten Kondolenzbüchern schloss, stand die Tür des Antiquariats Reinhold Pabel gegenüber weit offen. Im Sortiment der alteingesessenen Buchhandlung befinden sich auch vier Werke des Verstorbenen, darunter das Theaterstück „Zeit der Schuldlosen“, gut und gerne ein halbes Jahrhundert alt.

Wer dieses und andere Werke wie „So zärtlich war Suleyken“, „Brot und Spiele“, „Deutschstunde“ oder „Die Auflehnung“ hinterlässt, bleibt unvergessen. Dieses Gefühl schuf Trost an einem Tag, an dem Hamburg Trauer trug.