Ein Ausbruch ließ die Planungen jetzt wieder aufleben. Die Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis soll für 17 Millionen Euro modernisiert werden

Neustadt. Es war ein klassischer Ausbruch: Mit einem Bettlaken seilte sich ein 25 Jahre alter mutmaßlicher Sexualstraftäter am 20. Juli 2013 aus seiner Zelle im dritten Stock des B-Flügels der Untersuchungshaftanstalt (UHA) am Holstenglacis ab. Die Flucht gelang, weil der Mann eine Palette als Sprungbrett zum Überwinden der Mauer nutzen konnte. Die Palette war von Bauarbeitern vergessen worden, die die Außensicherung der Anstalt modernisierten. Weil dazu auch ein Wachturm abgetragen werden sollte, fehlte an diesem Tag an dieser Stelle auch noch der Sicherungsdraht auf der Außenmauer.

Als ob das nicht alles peinlich genug für die politisch verantwortliche Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) war, es kam noch schlimmer. Die Ermittlungen ergaben, dass der Häftling zuvor mit einem Besenstiel, einem Tischbein und seinem Essbesteck das marode Mauerwerk gelockert sowie Steine und den Fensterrahmen herausgelöst hatte. Er nutzte das zehnminütige Feuerwerk des Sommerdoms für seine nicht ganz leisen Bauarbeiten und zwängte sich durch ein Loch unterhalb des Gitters.

Eine derart spektakuläre Flucht unter diesen Umständen erzeugt einen unmittelbaren politischen Handlungsdruck. Denn es war seit Jahren bekannt, dass der B-Flügel der mehr als 130 Jahre alten Anstalt vermutlich der marodeste Gebäudetrakt in einem Hamburger Gefängnis ist. Und es war nicht das erste Mal, dass ein U-Häftling mit Löffel und Messer dem porösen Mauerwerk erfolgreich zu Leibe rückte. Doch der Senat hatte die dringend erforderliche Sanierung und Modernisierung ein ums andere Mal aus Kostengründen verschoben. Schiedek konnte sich glücklich schätzen, dass der Ausbrecher wenige Tage später gefasst wurde, ohne eine neue Tat begangen zu haben.

Ein Jahr nach dem Ausbruch kommt Bewegung in die Sache. Der SPD-Senat hat im Zuge seiner Haushaltsberatungen für 2015/16 beschlossen, den B-Flügel für knapp 17 Millionen Euro zu sanieren und modernisieren. Wenn die Bürgerschaft zustimmt, dann sollen die Bauarbeiten im April 2015 beginnen und im Oktober 2017 abgeschlossen sein. Das hat der Senat jetzt eher beiläufig in seiner Antwort auf Kleine Anfrage der FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Anna von Treuenfels mitgeteilt. Der Umgang mit der maroden Bausubstanz in dem sicherheitsrelevanten Gefängnisbereich ist kein Ruhmesblatt für Senat und Bürgerschaft. Erste Planungen zur Sanierung reichen ins Jahr 2004 zurück, als Ole von Beust (CDU) noch Bürgermeister war. Anfangs wurden die Kosten noch mit 4,4 Millionen Euro beziffert. Doch die Arbeiten wurden zugunsten anderer Investitionen immer wieder verschoben. Und hätte es den spektakulären Ausbruch nicht gegeben, wäre vermutlich immer noch nichts geschehen.

Ungewöhnlich ist, dass der Senat dies auch unumwunden zugibt. „Im Rahmen der Aufarbeitung der Entweichung eines Gefangenen im Juli 2013 wurde beschlossen, die Planung zur Sanierung des B-Flügels vorzuziehen..., um direkt nach Beschluss der Bürgerschaft über den Haushalt 2015/2016 mit den Sanierungsarbeiten beginnen zu können“, heißt es in der Antwort auf die Treuenfels-Anfrage.

Auch in der Schilderung des Bauzustands wird der Senat deutlich. Nicht nur die Sicherheit des B-Flügels ist wegen des maroden Mauerwerks eingeschränkt, Zustand und Ausstattung der Hafträume genügen längst nicht mehr den Anforderungen des modernen Vollzugs der Untersuchungshaft. Der Senat spricht von einer „mangelhaften Baustruktur“. So gebe es „aufgrund einer veralteten Heizungsanlage keine Möglichkeit für die Gefangenen, die Heizung im Haftraum zu regulieren (keine Heizkörper, nur durchlaufende Heizrohre)“. Im B-Flügel gibt es noch „vereinzelt bleihaltige Wasserrohre“ und „keine flächendeckende Ausstattung der Hafträume mit Steckdosen“. Es fehle ein „separater Sanitärbereich (eine hölzerne, selbst stehende ca. 1,50 Meter hohe Schamwand trennt den Sanitärbereich zum übrigen Haftraum ab)“. Schließlich heißt es in der zurückhaltend-vornehmen Diktion von Senatsantworten: „Die Substanz der Abflussrohre und der Geruchsverschlüsse weisen altersbedingt Verschleiß auf und können Gerüche absondern.“

Außerdem sollen die Zwischendecken geschlossen, eine Lüftungsanlage installiert, die durchfeuchteten Außenmauern saniert sowie Fenster und Gitter erneuert werden. Von der Sanierung werden 108 Hafträume und 81 sogenannte Funktionsräume betroffen sein. Dazu zählen die Sicherungs-, Beobachtungs- und Transportstationen sowie Büros und Technikräume. Im vergangenen Jahr war die neue Außensicherung der U-Haftanstalt für 2,5 Millionen Euro fertiggestellt worden.

Unter anderem wurden die sieben Wachtürme abgebaut und durch eine moderne Überwachungsanlage ersetzt. Auch der A-Flügel, der zusammen mit dem B-Flügel zum ältesten Teil der 1881 eröffneten Haftanstalt gehört, ist bereits saniert (Kosten: rund zehn Millionen Euro).

„Wir sorgen für einen sicheren, modernen und humanen Vollzug“, sagt Justizsenatorin Schiedek. Die UHA arbeite nicht nur räumlich eng mit der Strafjustiz zusammen. „Die Sanierung des B-Flügels ist eine wichtige Investition in den Hamburger Vollzug. Wir wollen den Standort mit all seinen Vorteilen dauerhaft sichern.“

Von den insgesamt 493 Haftplätzen (davon 49 für Frauen) sind derzeit 407 belegt (33 Frauen). Zur UHA gehört auch das Zentralkrankenhaus für Gefangene mit 47 Haftplätzen. Im Gefängnis sind rund 400 Mitarbeiter beschäftigt, davon 70 im Krankenhaus. Jährlich werden etwa 4000 Gefangene aufgenommen und 3000 medizinische Zugangsuntersuchungen durchgeführt. Über den unterirdischen Verbindungsgang zum Strafjustizgebäude werden jährlich rund 7000 Gerichtsvorführungen abgewickelt.