Das Abendblatt stellt politische Jugendorganisationen vor. Heute: die Jusos – für Svenja Hillebrandt und Stefan Abreu de Sousa ihre politische Heimat

Hamburg. Mitglied in einer Partei werden? Bloß nicht. Allein die Vorstellung, in einer politischen Vereinigung mitzumischen, war für Stefan Abreu de Sousa jahrelang ein Graus. Vermutlich habe er ein falsches Bild von Parteien gehabt, sagt der 21-jährige Hamburger. „Ich hatte einen Haufen abgekapselter Politik-Nerds vor Augen.“ Heute ist der junge Mann mit den portugiesischen Wurzeln Kreisvertreter im Landesvorstand der SPD-Jugendorganisation, Vorsitzender der Juso-Gruppe St. Pauli/Innenstadt und im SPD-Distriktvorstand St. Pauli/Nord.

Dafür, dass ihm das Parteileben früher äußerst suspekt war, hat Stefan Abreu de Sousa heute viele wichtige Ämter inne, die viel Zeit kosten. Sein Arbeitspensum: mindestens vier bis fünf Stunden wöchentlich. Sitzungen organisieren, Einladungen schreiben, Kontakt zu Neumitgliedern pflegen. Das alles natürlich ehrenamtlich. „Aber es lohnt sich“, beteuert er. Weil er mitreden kann. Etwas bewegen kann in dieser Stadt. Sich ernst genommen fühlt von der Mutterpartei.

„Die Abschaffung der Studiengebühren in Hamburg – das ist unsere große Trophäe“, sagt Abreu de Sousa. Er ist stolz auf diesen Erfolg. Ebenso wie die anderen 2350 Juso-Mitglieder in Hamburg. Jahrelang hatten sie sich für mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit eingesetzt und gefordert, dass junge Leute keine allgemeinen Studiengebühren mehr zahlen müssen. Zum Wintersemester 2012/13 hat der SPD-Senat das Vorhaben umgesetzt.

Abreu de Sousa studiert seit zwei Semestern an der Universität Bremen Jura. Doch der 21-Jährige verkörpert nicht gerade den Typen „angehender Staranwalt“ mit rosa Ralph-Lauren-Hemd und akkurater Undercut-Frisur. Stattdessen wirkt er mit seinem Dreitagebart, den abgewetzten Sportschuhen und seinem ansteckenden Lachen eher wie ein Student der Geisteswissenschaften. „Jura macht mir einfach Spaß“, sagt der junge Mann, der bei seinen Eltern auf St. Pauli lebt. Mit 20 seien Mutter und Vater aus Portugal nach Hamburg gekommen. Nicht nur die Stadt, auch das politische System hier war ihnen fremd. „Sie sind auch heute nicht die großen Wähler.“

Anders geht es ihrem Sohn, dem politisches Engagement Freude bereitet. Vor vier Jahren trat Abreu de Sousa bei der SPD ein – und jedes SPD-Mitglied unter 35 ist automatisch auch Juso-Mitglied. Wochenlang überlegt hat er sich die Entscheidung nicht, bevor er sich auf den Weg ins Kurt-Schumacher-Haus gemacht hat, parteiintern nur „KuSchu“ genannt. „Es war eine spontane Idee“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Die Sozialdemokraten fand er am überzeugendsten. „Da wollte ich mitreden und dabei sein.“ Er war nicht nur schnell dabei, sondern auch schnell mittendrin.

In der SPD-Zentrale wurde er auf die Jusos auf St. Pauli aufmerksam gemacht. „Bei denen habe ich schon beim ersten Treffen gemerkt: Das sind ganz normale Leute, mit denen man Spaß haben, Fußball gucken und auch mal ein Bier trinken gehen kann“, erinnert sich Abreu de Sousa. In der Politik gehe es oft um ernste Thema. „Deshalb ist es wichtig, auch einmal ausgelassen zu feiern.“ Am liebsten auf dem Kiez, seiner Heimat.

In Wahlkampfzeiten bleibt jedoch wenig Zeit für ausschweifende Partys und die Uni. Dann entwickelt sich das politische Ehrenamt sogar zu einem Fulltime-Job. „Und je mehr Verantwortung man übernimmt, umso mehr Arbeit kommt auf einen zu.“ Zu stören scheint das den Single-Mann nicht. Im Gegenteil. Klar sei es manchmal hart, auf zig Infoständen Werbung für die SPD-Kandidaten zu machen, Tausende von Flyer zu verteilen und Plakate zu kleben. „Aber es macht vor allem Spaß. Man entwickelt einen enormen Ehrgeiz. Man will den Sieg einfahren“, sagt er. Sein Ansporn ist leicht zu erklären. Stefan Abreu de Sousa ist schlichtweg überzeugt. Er steht hinter den Zielen der Genossen. Mit ihnen will er etwas bewegen.

Svenja Hillebrandt ist ebenfalls Überzeugungstäterin. Die hübsche BWL-Studentin mit dem kecken Mundwerk hat sich bereits mit 15 Jahren den Jungsozialisten angeschlossen. „Ich komme aus einer sehr politischen Familie“, sagt die 20-Jährige. „Bei uns ist es normal, dass am Küchentisch über Politik gestritten und debattiert wird.“ Sie ist jedoch das einzige Familienmitglied, das in einer Partei aktiv ist. „Ich finde es wichtig, sich nicht nur zu beschweren, sondern selbst zu gestalten“, begründet sie ihren Schritt. Chancengleichheit vor allem im Bildungsbereich – das ist ein Thema, das Hillebrandt bewegt. Genauso wie die SPD. Deshalb fiel ihre Wahl auf diese große Volkspartei.

Viel Zeit in ihr politisches Engagement zu stecken ist für sie eher ein intensives Hobby als Arbeit. „Schließlich bekommt man auch viel zurück“, sagt sie. „Ich lerne nette Leute kennen, und es bringt mir auch etwas für das spätere Berufsleben.“ Selbstbewusster sei sie geworden, auch weil sie häufig vor vielen Menschen reden muss, und sie habe gelernt, Dinge häufiger zu hinterfragen.

Während Svenja höchstens einmal in der Woche zu ihren Hobbys Squash und E-Gitarrespielen kommt, erfordert ihre ehrenamtliche Tätigkeit bei den Jusos mehr Zeit. Sie ist Jusogruppenvorsitzende in Barmbek/Uhlenhorst/Hohenfelde (BUH), Vizejuso-Kreisvorsitzende in Hamburg-Nord und Mitglied im SPD-Distriktvorstand BUH. Das klingt nicht nur nach viel Arbeit, sondern ist es auch. „Meine Aufgaben reichen von Anträgeschreiben, über Neumitgliedereinführen bis zum Tür-zu-Tür-Wahlkampf“, sagt sie und klingt begeistert. Vielleicht, weil sich Svenja Hillebrandt sicher ist, dass ihre Arbeit etwas bewirkt.

Mit den Jusos kann sie sich Gehör verschaffen. Auch bei der Mutterpartei, zu denen die Jusos ein gutes Verhältnis pflegen. „Wir fühlen uns ernst genommen und werden unterstützt“, sagt Hillebrandt. Bürgerschaftsabgeordnete nähmen sich durchaus die Zeit, sich mit ihren Anliegen und Fragen auseinanderzusetzen. „Andererseits ist die Mutterpartei auch auf uns angewiesen“, räumt die junge Frau ein. „Wir machen ihren Wahlkampf, und wir sind der Nachwuchs.“ Sie macht eine kurze Pause und lächelt charmant, bevor sie sagt: „Die SPD braucht uns.“ Dass es trotzdem nicht immer rundläuft zwischen den JusoGruppen und der Mutterpartei, das sei ganz normal. „Eine Partei ist wie eine Familie: Man streitet sich schon mal, aber am Ende hält man doch zusammen.“

Junge Leute überhaupt für diese Politikfamilie zu begeistern sei jedoch definitiv schwieriger geworden, sagt Hillebrandt. „Die Jugend ist nicht unpolitischer geworden, jeder hat eine Meinung.“ Aber viele junge Menschen hätten das Vertrauen in die Politiker verloren. Der hohe Leistungsdruck in der Schule trage ebenfalls dazu bei, dass die Zeit für politisches Engagement fehle. Zudem gebe es heutzutage nicht mehr die großen Kämpfe. „Einem Großteil von uns geht es ja gut – die Jugendlichen wissen oft nicht, wofür sie kämpfen sollen.“

In Hamburg sieht die Lage anders aus. Hier haben die Jusos durchaus einen großen Zulauf, vor allem die Hochschulgruppen. „Weil die Neumitglieder häufig ein spezielles Anliegen haben“, sagt die BWL-Studentin und nennt ein Beispiel. „Es gibt zu wenig bezahlbaren Wohnraum, etwa für Studenten. Das wollen sie ändern. Mit den Jusos.“ Um auch den Nachwuchs zu gewinnen, der kein konkretes Anliegen hat, wollen die Jusos neue Wege gehen. Vor allem im bevorstehenden Wahlkampf zur Bürgerschaftswahl im kommenden Jahr. „Wir müssen neu denken, ein neues Format finden, mit dem wir die Jugendlichen mitreißen“, sagt Svenja Hillebrandt. Flyer und Plakate überzeugen die Jugend offenbar nicht. Wie der innovative Wahlkampf aussehen soll, das wissen die Jusos noch nicht – aber ein bisschen Zeit haben sie ja auch noch.

Bei der Ideenfindung hilft vielleicht auch der „Input von außen“, wie Svenja Hillebrandt es nennt. Der Kontakt zur Familie und zu Freunden außerhalb der Partei ist der jungen Frau enorm wichtig. Um andere Blickwinkel einzunehmen und nicht nur die Meinung der SPD zu übernehmen. Ihr Freund ist auch nicht Mitglied der Sozialdemokraten. „Aber wer weiß“, sagt Svenja Hillebrandt, „vielleicht tritt er irgendwann doch einer Partei bei.“