Asylbewerber gelten wegen Fachkräftemangels als Chance für deutschen Arbeitsmarkt. Modellprojekt auch in Hamburg

Hamburg. Seinen bislang letzten Patienten hat er vor neun Monaten behandelt. Damals lebte der Zahnarzt und Kieferorthopäde Abdelfattah Bostani mit seiner Frau und seinen Kindern noch in der saudi-arabischen Hafenstadt Dschidda. Er hatte vor, in seine syrische Heimatstadt Aleppo zurückzukehren. Doch seine Familie warnte ihn, es sei in der Bürgerkriegsstadt zu gefährlich. Ärzte wie er würden vom Militär verschleppt. Über Schweden kam er schließlich nach Deutschland und lebt nun seit Anfang des Jahres in Hamburg. Hier wartet er darauf, endlich wieder in seinem Job arbeiten zu dürfen.

Der Fachkräftemangel in Deutschland hat Flüchtlinge wie den 42-jährigen Syrer zu gefragten Job-Anwärtern gemacht. Derzeit fehlen der Wirtschaft in Hamburg rund 37.000 Fachkräfte. Mitarbeiter werden sowohl im Hotel- und Gaststättengewerbe gesucht als auch in unterschiedlichen technischen oder medizinischen sowie in Pflegeberufen. Mit einem Modellprojekt sollen Flüchtlinge nun fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden. Die Agentur für Arbeit lädt seit Jahresbeginn Asylbewerber zu Vermittlungs- und Beratungsgesprächen, um herauszufinden, ob und für welche Jobs sie geeignet wären. Damit soll die Wartezeit bis zur endgültigen Klärung ihres Aufenthaltsstatus sinnvoll überbrückt werden.

Die Teilnahme an dem Sonderprogramm (genannt Xenos) ist freiwillig. Es wird nicht nur in Hamburg angeboten. Das Projekt gibt es auch in Augsburg, Köln, Freiburg, Dresden und Bremen. Neben der Freiwilligkeit ist die Herkunft der Bewerber das wichtigste Kriterium für eine Teilnahme. Nur diejenigen, bei denen die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass sie ein Bleiberecht erhalten, können mitmachen. Damit will das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration sicherstellen, dass die Investitionen für Sprachkurse nicht umsonst vorgenommen werden. Am Ende soll der Arbeitsmarkt von dem Projekt profitieren und nicht in erster Linie der Flüchtling.

„Auch wenn es zunächst so scheint, handelt es sich ausdrücklich nicht um ein humanitäres Projekt“, sagt Sönke Fock, Chef der Hamburger Agentur für Arbeit. Das bedeutet also: Wer aus Ghana oder Senegal kommt, Länder die das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration als sichere Herkunftsländer ansieht, bekommt aller Voraussicht nach kein dauerhaftes Bleiberecht – und hat damit keine Chancen auf Xenos. Ein Bleiberecht bekommen nur jene Flüchtlinge, die aus Staaten kommen, in denen unter anderem politische Verfolgung stattfindet. Dazu zählen etwa Syrien, von wo 45 Prozent der Teilnehmer in Hamburg stammen, Afghanistan (19 Prozent der Teilnehmer), der Iran (elf Prozent), Irak, Somalia, Eritrea, Pakistan oder Sri Lanka. Rund 100 Beratungsgespräche hat es bereits gegeben.

Die Gespräche führt Doris Mir Ghaffari. Viele Flüchtlinge könnten aber weder lesen noch schreiben, berichtet die Arbeitsvermittlerin. Die besten Chancen hätten jene, die zumindest Englisch sprächen. Doch selbst ein abgeschlossenes Studium erhöht nicht die Chancen auf einen Job. „Rechtsanwälte aus dem Iran können wir auf dem Arbeitsmarkt nicht vermitteln“, sagt Mir Ghaffari. Das deutsche und iranische Rechtssystem haben nichts gemein. Buchhalter hätten dagegen große Chancen. „Zahlen haben auf der ganzen Welt dieselbe Bedeutung.“

Oder eben die Medizin. Der Kieferorthopäde Bostani ist so etwas wie ein Ideal-Flüchtling. Nicht nur seine Fertigkeiten sind gefragt. Er spricht auch Deutsch, weil er schon zu Anfang der 2000er-Jahre vorübergehend in Deutschland gelebt hat. Doch auch das beschleunigt das Verfahren nicht. Derzeit liegen seine Zeugnisse und Abschlüsse beim Landesprüfungsamt, damit seine Qualifikation festgestellt werden kann. Aber auch danach kann er noch nicht loslegen. Er müsse ja noch nicht einmal eine eigene Praxis aufmachen, sagte er. Ihm würde es schon genügen, wenn er angestellt werden würde, sagt der Familienvater, der mit seiner Frau und seinen Kindern in einem Container einer Poppenbütteler Flüchtlingsunterkunft wohnt.

Doch eine Arbeitserlaubnis bekommt er noch nicht. Zwar sind er und seine Familie als Flüchtlinge anerkannt. Doch was ihnen fehlt, ist eine elektronische Karte, die den Aufenthaltstitel offiziell macht. Bürokratie pur. Wegen der gestiegenen Zahl von Flüchtlingen kommt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit dem Drucken der Karten nicht hinterher.

Wie stark der Anstieg ist, zeigen Zahlen aus den Jahren 2009 und 2013. Damals hat Hamburg noch 770 Menschen neu aufgenommen, die Asyl suchten. Im vergangenen Jahr waren es schon 3600. Immerhin – und das ist der große Unterschied zu früheren Jahren – wird in den steigenden Flüchtlingszahlen auch eine Chance für den deutschen Arbeitsmarkt gesehen. Man befindet sich in einer Testphase. Und so sagt Agentur-Chef Sönke Fock: „Es geht nicht ausschließlich um Erfolge, sondern darum, Erfahrungen zu machen.“

Erfahrungen hat Bostani ausreichend gesammelt. Seit 1996 arbeitet er als Zahnarzt und Kieferorthopäde und hat sich immer weitergebildet. Er versteht nicht, warum die Verfahren so lange dauern. Von einer Beschleunigung hätten doch alle etwas: „Je schneller ich einen Job bekomme, desto schneller kann ich Steuern bezahlen. Und damit helfe ich der Gesellschaft.“