Aber der Wille zum Regieren sei größer gewesen, sagt Birgit Schnieber-Jastram zum Abschied aus der Politik

Hamburg. Sie war für die CDU in der Bürgerschaft und im Bundestag, arbeitete als Zweite Bürgermeisterin und Sozialsenatorin im Rathaus und vertrat Hamburger Interessen in Europa – aber jetzt hört Birgit Schnieber-Jastram auf mit der Politik. Ein Gespräch über vielfältige Erfahrungen und neue Ziele.

Hamburger Abendblatt:

Sie waren jetzt 28 Jahre lang politisch tätig und kandidieren nicht wieder für das Europäische Parlament. Was machen Sie nach der Wahl am 25. Mai? Wie wird Ihr Leben ohne Politik aussehen?

Birgit Schnieber-Jastram:

Ich freue mich auf einen leeren Terminkalender, auf Zeit mit meinem Mann, meiner Familie und den Enkelkindern, auf Reisen, Theater- und Ausstellungsbesuche. Ich werde die Politik weiterhin mit Herzblut verfolgen, aber es gibt einen Zeitpunkt, wann man aufhören muss. Politik lebt vom Wechsel, von neuen Ideen und neuen Gesichtern. Jüngere rücken nach und wollen Verantwortung übernehmen. Und ich hoffe, dass sie ihre politische Tätigkeit genauso mit Leidenschaft ausüben, wie ich das getan habe.

Mit welchem Gefühl haben Sie die letzte Sitzungswoche des Europäischen Parlaments in Straßburg absolviert?

Schnieber-Jastram:

Mit einem Gemisch aus Wehmut und Freude. Ein Lebensabschnitt geht zu Ende, man hält eine Rückschau auf die unglaublich interessante Zeit, die ich an den verschiedenen Stationen erleben durfte. Die Tätigkeit für Europa war noch mal eine besondere Perspektive und hat in den vergangenen fünf Jahren in den Zeiten der Finanzkrise verdeutlicht, wie wichtig Europa und der Zusammenhalt des Kontinents ist. Natürlich fällt der Abschied von Kollegen und Mitarbeitern schwer. Aber ich freue mich auch, künftig meine Tage selbst gestalten zu können.

Warum haben Sie überhaupt noch für das Europäische Parlament kandidiert?

Schnieber-Jastram:

Das war eine spannende Aufgabe und eine große Herausforderung, denn das Europäische Parlament arbeitet viel freier als ein nationales oder kommunales Parlament, auch wenn ich natürlich bei meinen Entscheidungen immer die Heimat, sprich Hamburg und Deutschland, im Kopf hatte. Als ich aus dem Senat ausgeschieden bin, war ich noch zu jung für den Ruhestand. Aber mir war schon klar, dass ich nicht die nächsten 20 Jahre in Brüssel und Straßburg arbeiten würde.

Bürgerschaft, Bundestag, Senat, Europäisches Parlament – welches Mandat war das interessanteste?

Schnieber-Jastram:

Jedes war auf seine Art und zu seiner Zeit unglaublich spannend. Ich habe jede Aufgabe mit Neugier und Elan wahrgenommen, denn nur dann macht man gute Arbeit. Als ich 1986 in die Bürgerschaft kam, spielte das Thema Hafenstraße eine große Rolle. Im Bundestag habe ich den Umzug von Bonn nach Berlin mitgemacht und den Wechsel von der Regierung in die Opposition. Und als ich 2001 von Ole von Beust in den Senat gebeten wurde, konnte ich gar nicht ablehnen. Wir haben so lange daran gearbeitet, den politischen Wechsel zu schaffen, da wollte ich auch mitgestalten.

Wie war es im Senat von Ole von Beust mit vielen Männern und nur wenigen Frauen?

Schnieber-Jastram:

Ich war es schon aus der Bürgerschaft und dem Bundestag gewohnt, in der Minderheit zu sein. Traditionen der klassischen Politik, in der die Männer das Sagen haben, sind eben sehr hartleibig.

War es aus Ihrer heutigen Sicht ein Fehler, dass die CDU eine Koalition mit Ronald Schill eingegangen ist?

Schnieber-Jastram:

Nein, auch wenn das damals einen Beigeschmack und ich persönlich meine Vorbehalte gegenüber Ronald Schill hatte. Aber wir wollten regieren, die Stimmenverhältnisse gaben es her, und es war richtig, die Gelegenheit beim Schopfe zu greifen. Wir wären ohne diesen Einstieg später nie zur absoluten Mehrheit gekommen. Es ging ein Aufbruch durch diese schöne verschlafene Stadt, der dringend nötig war.

Hat es den Ruf Hamburgs beschädigt, dass Schill als Innensenator und Zweiter Bürgermeister höchste Ämter innehatte?

Schnieber-Jastram:

Nein, nicht nachhaltig. Es hat natürlich Situationen gegeben, wie zum Beispiel Schills Rede im August 2002 im Bundestag, wo der Ruf Hamburgs in Gefahr war. Aber Ole von Beust stand als Bürgermeister dafür, dass Hamburg solide regiert wird und eine weltoffene Stadt ist.

Wie hat Schill darauf reagiert, dass Sie sich lange standhaft geweigert haben, ein geschlossenes Heim für Jugendliche in der von ihm gewünschten Größenordnung einzurichten?

Schnieber-Jastram:

Der Druck war schon erheblich. Für Ronald Schill war das eine Kernfrage, und jedes Mal hat er in der Senatsvorbesprechung gegrummelt. Außerdem war die Sache Teil des Koalitionsvertrags. Aber die Frage war ja, wie bekommt man das hin als staatliche Aufgabe, weil sich kein sozialer Träger für so eine Einrichtung bereitfand. Herr Schill hat immer von 90 Kindern gesprochen. Aber es hätte eines richterlichen Beschlusses bedurft, jemanden in ein geschlossenes Heim einzuweisen. Und da wären nie 90 Kinder zusammengekommen. Deshalb haben wir klein angefangen mit der Option, das Heim bei Bedarf zu vergrößern. Damit war Herr Schill ruhiggestellt, und wir waren in der Realität angekommen.

War es ein politischer Fehler, das Heim an der Feuerbergstraße überhaupt zu eröffnen? Schließlich wurde es nach einer Reihe von Pannen und Affären wieder geschlossen.

Schnieber-Jastram:

Es war kein Fehler, sondern damals eine politische Notwendigkeit um des Koalitionsfriedens willen. Es gab keine Alternative dazu. Es geht um die grundlegende Frage, wie man mit solchen Kindern umgeht. Jeder Senator, der vor oder nach mir in diesem Bereich tätig werden musste, hatte und hat Probleme, diese Frage zu beantworten. Ich kann diese Jugendlichen wegschicken, aber sie kommen wieder. Ich muss versuchen, sie in ihrem Umfeld zu resozialisieren. Hundertprozentige Kontrolle und Sicherheit kann es aber nicht geben.

War die Feuerbergstraße für Sie ein politischer Misserfolg?

Schnieber-Jastram:

Wir konnten es sicher nicht als Erfolg verkaufen. Es war ein schwieriges Thema.

Was sehen Sie als größten Erfolg Ihrer Amtszeit als Senatorin an?

Schnieber-Jastram:

Den Kita-Ausbau, die Schaffung von Mutter-und-Kind-Zentren auf bezirklicher Ebene, die Förderung von Mehrgenerationenhäusern sowie die Zusammenarbeit und Vernetzung all jener, die sich um Kinder kümmern und mit Kindern zu tun haben.

Nach einem knappen Jahrzehnt als Bürgermeister-Partei steht die Hamburger CDU heute wieder da, wo sie in den 90erJahren war: weit abgeschlagen hinter der SPD. Wie konnte es dazu kommen?

Schnieber-Jastram:

Der Übergang war nicht von langer Hand und sorgfältig geplant, da haben wir uns zu wenig Gedanken gemacht. Die Partei war sehr auf Ole von Beust fixiert, den Bürgermeister, den alle geliebt haben. Er war ein Bürgermeister der Mitte. Als er zurückgetreten ist, fühlte sich die Partei im Stich gelassen. Und der auserkorene Nachfolger, der damalige Parteivorsitzende und Finanzsenator Michael Freitag, hatte sich schon vorher zurückgezogen. Von Beusts Nachfolger Christoph Ahlhaus hat sich alle Mühe gegeben, aber er war für Hamburg vielleicht nicht die glücklichste Besetzung. Und mit Olaf Scholz gab es auch einen guten Gegenkandidaten, das muss man fairerweise sagen.

Wann ist die Hamburger CDU reif für eine Bürgermeisterkandidatin?

Schnieber-Jastram:

Das ist eine schwierige Frage. Mit Mühe und Not ist es gelungen, dass mit Herlind Gundelach eine Frau für Hamburg im Bundestag sitzt.

Wann sollte die CDU spätestens eine Frau an der Spitze präsentieren?

Schnieber-Jastram:

Ich hätte mir das schon längst gewünscht, aber das wäre in der Partei wahrscheinlich nicht mehrheitsfähig.

Was wünschen Sie Europa?

Schnieber-Jastram:

Ich hoffe, dass die Staaten beieinander bleiben und das Parlament mehr Vollmachten bekommt, damit es seine Kontrollfunktion stärker ausüben kann.

Was wünschen Sie Ihrer Partei?

Schnieber-Jastram:

Erfolg in Hamburg, im Bund und auch in Europa. Die CDU ist mit der Idee der Eigenverantwortlichkeit und dem starken Europagedanken eine wichtige politische Kraft. Ich wünsche mir aber auch, dass sie weltoffen, liberal und tolerant ist, weil das immer meine Inhalte in der Politik gewesen sind.

Und was wünschen Sie Hamburg?

Schnieber-Jastram:

Hamburg wünsche ich, dass es die schönste aller Städte ist und bleibt und sich nicht zurücklehnt in dem Gefühl, dass wir schon schön und attraktiv sind. Hamburg muss in Bewegung bleiben.