Die Niederländerin Jacqueline Otten ist neue Präsidentin der Hochschule für Angewandte Wissenschaften am Berliner Tor. Das Abendblatt sprach mit ihr

St. Georg. Einst war die Trendforscherin Hamburgs jüngste Professorin. Jetzt kehrte Jacqueline Otten dorthin zurück, wo ihre wissenschaftliche Karriere vor 23 Jahren begann: Die gebürtige Niederländerin ist neue Präsidentin der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). Ihr Büro im 14. Stock am Berliner Tor ist schon eingerichtet. Wenn sie spricht, ist ihr leicht holländischer Akzent unüberhörbar. Am Donnerstag führt Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt die 54-Jährige offiziell in ihr Amt ein. Das Abendblatt sprach mit ihr darüber, wie man als Trendforscherin Hamburgs zweitgrößte Hochschule mit mehr als 16.000 Studierenden führt, wohin sich sie die HAW künftig orientieren soll und wie sie sich als einzige Frau im Kreise ihrer männlichen Amtskollegen fühlt.

Hamburger Abendblatt: Sie haben in den Niederlanden, in Berlin und Weimar, Paris und Zürich gelebt. Mit welchen Gefühlen kommen Sie nach Hamburg zurück – ist dies für Sie Provinz?
Jacqueline Otten: Nein. Die Züricher nennen ihre Stadt die kleinste Metropole der Welt, und da ist etwas dran. Ich habe zehn Jahre lang dort gern gelebt, aber Zürich hat etwas Kleinstädtisches, das Hamburg völlig fehlt. Hier gibt es wirkliche großstädtische Urbanität, und ich fühle mich unglaublich wohl in dieser Stadt, die ich schon aus den 1980er- und 1990er-Jahren gut kenne. Es fühlt sich an, wie nach Hause zu kommen. Ich habe in vielen Ländern gearbeitet und das hat meinem Leben Qualität gegeben, aber umso mehr stellt sich die Frage der Zugehörigkeit. Das sind nicht die Wurzeln qua Geburt, sondern eher die kulturellen Wurzeln, die man kennen muss – und für mich liegen die in Hamburg, das habe ich deutlich gespürt.

Sie haben Ihre Karriere vor 23 Jahren selbst an der HAW gestartet, als jüngste Professorin Hamburgs, manche sagen sogar Deutschlands. Was hat sich seither hier verändert?
Otten: Es ist eine ganz andere Hochschule geworden. Vor 20 Jahren stand die Lehre sehr im Vordergrund, jetzt ist auch Forschung sehr wichtig für uns und das Zusammenspiel von Lehre und Forschung essenziell. Aber die HAW, die 1970 gegründet wurde, ist noch immer eine junge Hochschule, und das bringt eine Frische und Dynamik mit sich, die über die Jahre zum Glück nicht verloren gegangen sind.

Was ist Ihre Vision für die HAW?
Otten: Ich will meine ersten hundert Tagen nutzen, um zu schauen, wie die Hochschule aufgestellt ist, welchen Bedarf es gibt und was ich einbringen kann. Dazu besuche ich viele Fakultäten und versuche die Kultur zu erfassen. Wichtig ist mir der Bezug zum Standort Hamburg. Wir sind ein großer Player, nicht nur im Bildungsbereich, sondern auch als Arbeitgeber und Impulsgeber für Wirtschaft und Gesellschaft. Außerdem müssen wir unser Profil schärfen im Verbund der Hochschulen. Was macht uns aus? Was macht uns speziell? Wir haben eine enorme Breite an Fächern, das kann auch zu Beliebigkeit führen, wenn man nicht aufpasst.

Als Trendforscherin richtet sich Ihr Blick insbesondere in die Zukunft. Wie kann Ihnen dies bei der Führung einer Hochschule nützen?
Otten: Das spielt eine sehr große Rolle. Wir bilden unsere Studierenden aus für einen künftigen Arbeitsmarkt. Zwar reagieren wir auch auf den Bedarf der Wirtschaft. Wichtig ist aber, dass wir künftige Entwicklungen und sich daraus ergebende Bedarfe früh erkennen und uns darauf einstellen, damit rechtzeitig kompetente Fachkräfte zur Verfügung stehen.

Wo sind die größten Baustellen?
Otten: Ich übernehme mit der HAW ein gut bestelltes Haus, das war mir wichtig. Ich kann aufbauen auf die Arbeit, die mein Vorgänger Michael Stawicki in den vergangenen zehn Jahren geleistet hat. Wir müssen weiter an der Internationalität der Hochschule arbeiten. Nicht nur mit Blick auf unsere Studierenden und Wissenschaftler, die ins Ausland gehen, sondern wir sollten unseren Standort auch für ausländische Studierende noch attraktiver machen. Wirtschaft und Gesellschaft erwarten, dass wir sagen, wo es langgeht. Nehmen wir den Bereich Medien. Wie verändert sich der Journalismus? Was ist die Zukunft von Print, was von Online? Wie verdient man damit Geld? Die HAW kann viel dazu beitragen, diese Fragen zu beantworten und Impulse geben.

Die Studentenzahlen sollen in den 2020er-Jahren aus demografischen Gründen zurückgehen. Trifft das auch die HAW?
Otten: Damit rechnen wir nicht. Auf einen Studienplatz haben wir im Schnitt etwa sieben Bewerber. Selbst wenn dieses Verhältnis auf eins zu drei oder vier zurückgeht, weil es etwas weniger Bewerber gibt, werden wir uns immer noch die Besten und Interessantesten aussuchen können. Wir werden keine Studienplätze abbauen müssen.

Sie sind die einzige Frau an der Spitze einer Hamburger Hochschule. Was bedeutet Ihnen das?
Otten: Natürlich wird schnell darauf geschaut, dass jetzt eine Frau an der Spitze der HAW steht und die Frage gestellt, was sich dadurch ändert. Das ist mir manchmal zu plakativ. Den Führungsstil von Männern und Frauen darf man nicht als Antipoden sehen. Natürlich habe ich eine Vorbildfunktion, und die nehme ich auch an. Es ist nicht immer angenehm, beim Treffen der Hochschulpräsidenten als einzige Frau in der Runde zu sitzen – das bedaure ich manchmal.

Das Bachelor/Mastersystem ist in der Kritik, was halten Sie davon?
Otten: Das Prinzip von Bachelor und Master ist richtig. Den Bolognaprozess muss man als Bildungspaket sehen, bestehend aus Bachelorstudiengang, darauf aufbauend den Master und als dritter Zyklus, der jetzt im Gespräch ist, die Promotion. Dieser dritte Zyklus muss integriert werden. Ein eigenständiges Promotionsrecht ist für Fachhochschulen wichtig. Aber man muss auch sehen, dass der administrative Aufwand stark gestiegen ist; Bolognastrukturen sind teurer, weil das Studium stark modularisiert ist. Und schließlich sollten die Studierenden genug Freiräume bekommen, um ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Das Studium ist eine wichtige Lebensphase, zu der mehr gehört als nur das Belegen von Vorlesungen.

Stichwort Finanzen. Ihr Vorgänger Michael Stawicki hat mit dem SPD-Senat sehr um auskömmliche Mittel gerungen. Das Ergebnis war eine Vereinbarung, die den Etat gedeckelt, aber immerhin Planungssicherheit bis 2020 geschaffen hat. Ist das Thema damit erledigt, die Hochschule ausreichend finanziert?
Otten: Die Finanzsituation der Hochschule ist – bezogen auf das zugewiesene Grundbudget der Freien und Hansestadt Hamburg – sehr angespannt. Die HAW Hamburg lässt sich alleine aus den veranschlagten Zuweisungen zukünftig nicht mehr finanzieren. Nach der Unterzeichnung der Hochschulvereinbarung im Jahr 2012 haben wir uns deshalb zu Konsolidierungsmaßnahmen entschlossen, um nachhaltig ab dem Jahr 2015 jährlich Geld einzusparen. Ob dies ausreicht, werden wir intensiv beobachten. Dass die HAW Hamburg zurzeit weitere finanzielle Mittel zur Verfügung hat und damit die Liquidität derzeit gesichert ist, ist nur eine Folge der zusätzlichen Aufnahme von Studierenden und den damit verbundenen Mittelzuweisungen aus dem Hochschulpakt 2020. Diese Finanzmittel können die fehlende Finanzierung für die Zukunft aber nicht ausgleichen. Aus diesem Grund wird die Finanzierung immer ein Thema bleiben. Wenn ich in meiner Planung immer nur mit zeitlich begrenzten Finanzzusagen rechnen kann, kann ich zwar etwas Neues aufbauen, weiß aber nicht, wie lange ich es finanzieren kann.

Sie brauchen also mehr Geld?
Otten: Ich wünsche mir schon, dass die Grundfinanzierung komfortabler wäre. Nur diese ist wirklich gesichert, und das Geld reicht nicht aus. Wir schieben immer noch ein Defizit vor uns her, weil wir strukturell unterfinanziert sind.

Der Campus am Berliner Tor ist neu, ist die HAW mit ihren Bauplänen damit am Ende?
Otten: Nein, überhaupt nicht. Wir brauchen hier am Berliner Tor einen Neubau als Ersatz für das E-Hochhaus, dessen Sanierung sich nicht lohnt. Zurzeit wird gerade die Flächenbedarfsermittlung für den Campus Berliner Tor durchgeführt. Des Weiteren stehen erhebliche Sanierungs- und Bauunterhaltungsmaßnahmen an, deren Finanzierung jedoch zunächst sichergestellt werden muss. Auch der Aspekt der Barrierefreiheit der Gebäude für unsere Studierenden und die Umsetzung der diversen Brandschutzvorschriften für unsere Gebäude werden uns erheblichen Finanzaufwand abverlangen. Wenn man in Forschung und Lehre tonangebend sein will, bedeutet dies, dass man permanent investieren muss.