Auf ihrem Landesparteitag arbeiteten die Liberalen ihre historische Niederlage bei der Bundestagswahl auf. Müller-Sönksen nennt Absetzung Westerwelles und „missratene Zweitstimmenkampagne“ als Gründe.

Wandsbek. Es wirkte ein wenig ungelenk, wie sich Burkhardt Müller-Sönksen am Rednerpult das Jackett abstreifte und hinter sich auf die Bühne des Wandsbeker Bürgersaals warf. „Ich stehe hier im Büßerhemd. Ich übernehme die Verantwortung für diese verlorene Wahl“, sagte der ehemalige Bundestagsabgeordnete vor rund 100 Delegierten auf dem ersten Landesparteitag nach dem Wahldebakel vom 22. September. Gut fünf Stunden haben die Hamburger Liberalen am Sonnabend über die Abwahl aus dem Bundestag diskutiert.

Wie genau der Anteil seiner Verantwortung zu sehen ist, ließ Müller-Sönksen offen. Dafür redete er Klartext über die Gründe der Niederlage, die immer noch wehtue. „Wir haben alle daran mitgearbeitet, nicht bloß einer.“ Es sei zu viel versprochen und nicht geliefert worden, sagte der Rechtsanwalt mit Blick auf die Steuerversprechen im Wahlkampf. Die Art und Weise, wie der damalige Parteichef Guido Westerwelle abgesetzt worden sei, zähle ebenso dazu wie die „missratene Zweitstimmenkampagne“.

Hamburgs FDP-Chefin Sylvia Canel, wie Müller-Sönksen nicht mehr im Bundestag vertreten, sagte: „Ein ‚Weiter so‘ kann und darf es nicht geben.“ Die Verengung auf die Marktwirtschaft etwa bei Bildung, Sozialem, Kultur und Wissenschaft könne nicht sinnvoll sein, „wenn man mehr Inhalte will, als man sie bei ProSieben und Sat.1 heutzutage sehen kann“.

Die Partei sei „opportunistisch Merkels Energiewende hinterhergerannt“. Gegen die Kanzlerin habe sich die FDP-Bundestagsfraktion nicht positionieren wollen. Die Partei sei vom Wähler in die außerparlamentarische Opposition geschickt worden, weil „wir unser Versprechen von einem einfacheren, niedrigeren und gerechteren Steuersystem nicht gehalten haben“. Nun müsse ein Neustart her.

In der anschließenden Aussprache entwickelte sich eine kontroverse Debatte über eine inhaltliche und programmatische Positionsbestimmung. Es gab diejenigen, die klar sagten, dass sie die FDP nicht als Partei für jedermann, sondern für den Mittelstand begreifen. Eine Auffassung, die nicht von allen Delegierten geteilt wurde. Das Spektrum müsse erweitert werden, etwa um Bildung, Integration oder soziale Absicherung. Müller-Sönksen forderte, regelmäßig in soziale Brennpunkte zu gehen. Kritik mussten Canel und er sich aber auch anhören, wenngleich sie vergleichsweise gedämpft daherkam. Der Bürgerschaftsabgeordnete Finn Ole Ritter widersprach Müller-Sönksen, dass es ein Fortschritt sei, dass Hamburg im bundesweiten Ranking der FDP-Stimmen nach oben gerutscht sei. „Wenn man aus dem Bundestag fliegt, ist das nicht genug.“ Und Ex-FDP-Vize Gerhold Hinrichs-Henkensiefken sagte, dass er Respekt davor habe, dass Müller-Sönksen Verantwortung übernehme. „Aber dann muss man das Ergebnis auch anders einordnen. Wir haben die Wahl auch in Hamburg verloren.“ Es sei falsch zu sagen, die Kanzlerin habe die FDP umgebracht. „Das haben wir selbst gemacht.“

Er sprach außerdem von Fehlplanungen in Hamburg. „Es gab keine zentrale Veranstaltung, wo man erklären konnte, warum man die FDP wählen soll“, sagte er in Richtung von Parteichefin Sylvia Canel.

Fraktionschefin Katja Suding, Vertraute von Hinrichs-Henkensiefken, schlug etwas mildere Töne an. „Die FDP ist nicht ausgelöscht.“ Die Partei sei in den Ländern gut aufgestellt. Auch ihre Fraktion habe dafür einen Beitrag geleistet. „Wir machen gute Arbeit.“ Suding bekräftigte erneut, dass sie im Präsidium der Bundespartei mitwirken wolle. „Ich hoffe auf Ihre Unterstützung“, rief sie den Delegierten zu. Auf einem Sonderparteitag in Berlin am 7./8. Dezember soll der ehemalige Generalsekretär Christian Lindner auf Philipp Rösler als Parteichef folgen. Dann stehen auch die Stellvertreterposten zur Wahl. Für einen davon ist Suding im Gespräch. Welche Aufgabe sie anstrebt, sei noch nicht klar, sagte Suding auf Nachfrage „Ich bin derzeit in Gesprächen, wo ich am sinnvollsten mitarbeiten kann.“

Bereits Freitagabend hatte eine Landesvertreterversammlung FDP-Vize Najib Karim zum Hamburger Spitzenkandidaten für die Europawahl gemacht. Der 1973 in Afghanistan geborene und seit 1979 in Hamburg lebende Biochemiker arbeitet unter anderem in der medizinischen Forschung. Auf Platz zwei setzten die Liberalen den Bürgerschaftsabgeordneten Robert Bläsing. Der 30-jährige Verwaltungswirt ist europapolitischer Sprecher der Fraktion.

Auch Bernd Buchholz, ehemaliger Chef von Gruner + Jahr sowie FDP-Bundestagskandidat in Schleswig-Holstein, hat seine Sicht auf die Liberalen formuliert. Am Wochenende schrieb er auf Facebook: „Die schwere Niederlage der FDP bei der Bundestagswahl 2013 erfordert neben einer sorgfältigen Analyse der Ursachen auch eine innerparteiliche Positionsbestimmung und eine organisatorische Neuaufstellung.“ Es gehe nicht um die Suche nach Schuldigen, die Belebung innerparteilicher Lagerkämpfe oder die Diskreditierung zurückliegender Entscheidungen. „Es geht um ein Verständnis für die Ausrichtung und die Konsequenzen, die nicht nur in personellen Veränderungen münden, sondern die Basis eines Neuanfangs sein sollen, der im Jahr 2017 den Wiedereinzug der FDP in den Deutschen Bundestag sichert.“