Die Stimmung war angespannt, als die knapp 20 Sozialdemokraten am Mittwochnachmittag zur Sitzung des Fraktionsvorstandes im Raum B des Rathauses zusammenkamen. Fast zwei Stunden lang informierte Innensenator Michael Neumann (SPD) die Abgeordneten über die aktuellen, durchaus dramatischen Entwicklungen des Themas, das die Stadt seit Wochen beherrscht: den Umgang des Senats mit den rund 80 afrikanischen Flüchtlingen, die einst auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa strandeten und nun seit Monaten in der St.-Pauli-Kirche Unterschlupf gefunden haben.

Die beispiellose Eskalation der vergangenen Woche in der Auseinandersetzung um die bislang vergebliche Anwendung des Ausländer- und Asylrechts auf die Gruppe hatte die Abgeordneten wie den Senat völlig überrascht. Fast spontan wurden Demonstrationen organisiert, an denen sich die linksextremen Aktivisten der Roten Flora im Schanzenviertel maßgeblich beteiligten. Das war Gewalt mit Ansage: Aus den Demos heraus wurden Steine geworfen und Polizeibeamte verletzt. Die Polizei erhöhte den Schutz für Neumann und Bürgermeister Olaf Scholz. Der Ton der Auseinandersetzung wurde immer schriller. Längst sind Lage und Schicksal der Flüchtlinge in den Hintergrund getreten.

In der allein regierenden SPD gibt es durchaus besorgte Stimmen, die sich fragen, ob und wie lange der Senat seinen konsequent rechtsstaatlichen Kurs durchhalten kann, dass die Flüchtlinge ihre Identität preisgeben und ihre Verfolgungsgeschichte erzählen müssen, bevor über ihren Aufenthalt entschieden werden kann. Fast alle Männer weigern sich bislang, dies zu tun, und verlangen, unterstützt von der Evangelischen Kirche und Rechtsanwälten, mehr oder weniger eine unbefristete Bleiberechts-Garantie. Neumann ließ seinen Parteifreunden gegenüber keinen Zweifel aufkommen, dass die einmal eingeschlagene Linie des Senats ohne Abstriche weiter gelten wird.

Für den Innensenator ist nach zweieinhalb Jahren im Amt, die nach den Kategorien der inneren Sicherheit relativ beschaulich verliefen, schlagartig der Ernstfall eingetreten. Jetzt ist Neumann als Krisenmanager gefragt. Dabei weiß sich der frühere Berufssoldat einig mit Olaf Scholz, der in einer zugespitzten Lage auch einmal Innensenator war. Drei zentrale Gründe lassen den Sozialdemokraten keine andere Wahl, als die harte Linie fortzusetzen: Zunächst würde der Verzicht auf die Forderung nach Preisgabe der Identität der Flüchtlinge einen Präzedenzfall für neue Zuwanderer und Ungerechtigkeit gegenüber hier lebenden anderen Flüchtlingen schaffen.

Zweitens leidet die Hamburger SPD nach wie vor unter dem Trauma, dass sich ein lascher Kurs in der inneren Sicherheit nicht auszahlt und sogar zum Machtverlust führen kann. Scholz hatte 2001 als Kurzzeit-Law-and-Order-Innensenator versucht, sich der drohenden Niederlage der SPD bei der Bürgerschaftswahl entgegenzustemmen. Bekanntlich ohne Erfolg.

Das dritte Argument führt auch zum Bürgermeister: Scholz’ Verständnis vom ordentlichen Regieren schließt ein, einmal gefasste Entscheidungen auch konsequent zu verfolgen. Man mag das als starrsinnig bezeichnen. Scholz ist sich aber sicher, dass die meisten Wähler Wankelmut als Schwäche sehen und nicht honorieren.

„Es war eine sehr sachliche und besonnene Debatte. Am Ende stand großes Einvernehmen“, fasste SPD-Fraktionschef Andreas Dressel die Vorstandssitzung zusammen. Bei einigen Abgeordneten war die Empörung über Pastor Sieghard Wilm, in dessen Kirche die Afrikaner leben, sehr groß. Wilm hatte im Zusammenhang mit einer möglichen Abschiebung der Flüchtlinge nach Italien von „Deportation“ gesprochen. „Zur Deportation haben die Nazis Juden auf der Moorweide zusammen getrieben“, sagt der frühere SPD-Chef Mathias Petersen. „Dass ein Pastor, der meine Kirche vertritt, einen solchen Vergleich zieht, geht überhaupt nicht.“

Auch Dressel fordert die verbale Abrüstung in dem immer emotionaler geführten Streit. Dennoch stellt sich die Frage, wie es angesichts der verhärteten Fronten weitergehen soll, denn auch dem Senat muss es um Deeskalation der Lage gehen. „Das geht nicht ohne die Kirche“, sagt ein Insider. Schließlich habe sich die Kirche mit dem Asyl für die Afrikaner das Problem eingebrockt.

Ein gesichtswahrender Kompromiss könnte darin bestehen, dass die Afrikaner eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen beantragen. Vorbild ist die schleswig-holsteinische Gemeinde Glinde, wo elf Männer der Lampedusa-Gruppe bereits seit Monaten leben. Für die Dauer ihres Verfahrens haben sie eine Duldung, werden betreut und medizinisch versorgt. Voraussetzung ist allerdings die Preisgabe der Identität. Unter der Hand weisen Sozialdemokraten schon darauf hin, dass der Rechtsstaat weitere Möglichkeiten vorsieht, die die Afrikaner vor einer schnellen Abschiebung bewahren können: Der Gang zum Verwaltungsgericht zählt ebenso dazu, wie die Anrufung des Petitionsausschusses.

Möglicherweise kommt Bischöfin Kirsten Fehrs eine zentrale Rolle zu, damit beide Seiten zueinander finden. Eins ist jedenfalls klar: Zwischen Neumann und Pastor Wilm ist das Tischtuch zerschnitten, seit der Gottesmann im Fernsehen aus einem vertraulichen Gespräch mit dem Senator plauderte.