Gefährliche MOX-Brennelemente sollen diese Woche nach Brokdorf geliefert werden, warnen Atomkraftgegner. Pro Jahr gibt es Dutzende Fälle, in denen radioaktive Stoffe im Hafen auf Lkw umgeladen werden.

Hamburg. Erst vergangene Woche kam heraus, dass sich auf dem brennenden Frachter "Atlantic Cartier" auch hochgefährliches Uranhexafluorid befunden hatte. Im Gegensatz zu den Grünen, die die Frage aufwarfen, ob Hamburg "knapp an der Katastrophe vorbeigeschrammt" sei, beteuerten Feuerwehr und Behörden, bei dem Großbrand am 1. Mai alles im Griff gehabt zu haben. Aber vielen Menschen wurde erst durch dieses Ereignis wieder ins Bewusstsein gerufen, dass der Hafen eben auch ein Umschlagplatz für Gefahrgut ist. Und nicht nur der Hafen.

Pro Jahr gibt es Dutzende Fälle, in denen Uranhexafluorid oder andere radioaktive Stoffe im Hafen auf Lkw umgeladen werden und die Stadt dann über die Straße verlassen - wobei es sich gar nicht vermeiden lässt, dass die Transporte auch besiedelte Gebiete passieren. Nach Informationen der Anti-Atom-Organisation "Ausgestrahlt" steht Hamburg in dieser Hinsicht nun ein besonders gravierender Fall bevor: Zwei Lkw mit plutoniumhaltigen MOX-Brennelementen sollen in diesen Tagen durch die Hansestadt rollen. Sie kommen aus dem belgischen Dessel über Holland nach Deutschland und sind für den Einsatz im Kernkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe in Schleswig-Holstein vorgesehen - der direkte Weg dorthin führt durch den Elbtunnel.

Wie Jochen Stay von der Antiatomkraft-Initiative "Ausgestrahlt" sagte, enthielten die insgesamt zwölf Brennelemente mehr als 200 Kilogramm Plutonium - das reiche zum Bau von 25 Atombomben des Typs, den die USA 1945 auf die japanische Stadt Nagasaki geworfen hatten. Damals waren mindestens 36.000 Menschen gestorben, weitere Zigtausende an den Spätfolgen.

Zwar gehe von den gepanzerten Behältern, in denen die Brennelemente transportiert werden, im Normalfall keine Gefahr aus, sagte Stay dem Abendblatt. "Es muss niemand Angst haben, dass er im Vorbeifahren verstrahlt wird." Würde aber ein MOX-Behälter undicht und das Plutonium sich über eine größere Fläche verteilen, zum Beispiel in Folge eines Unfalls, "dann hätte das in der dicht besiedelten Millionenstadt Hamburg fatale Folgen. Denn schon wer wenige Millionstel Gramm dieses Ultragiftes einatmet, ist akuter Krebsgefahr ausgesetzt". Gelangt es gar in den Körper, sei schon eine Dosis im zweistelligen Milligrammbereich tödlich. Stay: "Eine rechtzeitige Evakuierung in einer dicht besiedelten Großstadt wäre kaum möglich." Katastrophenschutzpläne für den Fall eines Unfalls mit MOX-Brennelementen gebe es nach seiner Kenntnis nicht.

Organisation fordert Transport-Absage

Die Organisation "Ausgestrahlt" fordert daher, den Transport abzusagen. Sollte das nicht mehr möglich sein, müsse zumindest die Bevölkerung über die Routen und Zeitpläne informiert werden. Stay: "Dann kann jeder selbst entscheiden, ob er sich zu der Zeit in der Nähe aufhalten möchte oder nicht."

Nach seinen Informationen hat das Bundesamt für Strahlenschutz eine Genehmigung für den Transport ausgestellt, die bis einschließlich Freitag, 24. Mai gilt. Möglicherweise habe einer der Lkw die Fahrt sogar bereits absolviert - das sei aber nicht bestätigt. Die Hamburger Behörden konnten dazu am Pfingstmontag auf Abendblatt-Anfrage nur eine allgemeine Auskunft geben. "Wenn ein Atomtransport über Hamburger Gebiet stattfinden soll, werden wir 48 Stunden vorher vom Bundesamt für Strahlenschutz informiert", sagte Volker Dumann, Sprecher der Umweltbehörde. Ob das in diesem Fall bereits geschehen sei, könne er wegen des Feiertags aber nicht sagen.

Auch die Innenbehörde, die normalerweise eingeschaltet wird, damit Hilfe Polizei und Feuerwehr die Sicherheit des Transports und der Bevölkerung gewährleisten können, hatte keinerlei Informationen. Überraschend kommen die Transporte jedenfalls nicht. Die Bundesregierung hatte erst Anfang 2012 auf eine Anfrage der Grünen bestätigt, dass 36 MOX-Brennelemente (das entspreche rund 1,3 Tonnen Plutonium) in den Jahren 2013 bis 2015 nach Brokdorf geliefert werden sollen. Sie stammen aus Wiederaufarbeitungsanlagen im Ausland.

MOX steht für Mischoxid und bezeichnet Brennstäbe, die außer Urandioxid noch ein weiteres Oxid enthalten - in der Regel Plutoniumdioxid. Plutonium wiederum entsteht als Abfallprodukt in allen Kernkraftwerken. Man kann es abtrennen und neuen Brennstäben hinzufügen - den MOX-Brennelementen. Diese gelten als vielfach gefährlicher als reine Uran-Brennstäbe. Auch im havarierten Kernkraftwerk Fukushima in Japan waren MOX-Elemente im Einsatz.

Im Gegensatz zu "Schnellen Brütern", die nicht ohne MOX-Elemente auskommen, ist dies in Druckwasserreaktoren wie dem in Brokdorf hingegen nur eine Option. "Ausgestrahlt" fordert daher die Betreiber E.on und Vattenfall auf, auf die riskanten Brennelemente zu verzichten. "Das AKW könnte auch ohne MOX betrieben werden", sagt Jochen Stay, "und zwar deutlich sicherer."

Ob der bevorstehende Transport durch Hamburg zu Protesten von Atomkraftgegnern führen wird, ist unklar, aber wahrscheinlich. Beim bislang letzten MOX-Transport im Herbst 2012 zum AKW Grohnde (Niedersachsen) gab es etliche Protest- und Blockadeaktionen.