In Hamburg herrscht Wohnungsnot. Oder doch nicht? Beides stimmt auf gewisse Weise, denn der Markt entwickelt sich extrem unerschiedlich.

Hamburg. Im Treppenhaus riecht es nach frischer Farbe, zum Hinterhof steht ein Baugerüst - dort wurden gerade neue Fenster in das alte Harburger Kontorhaus eingesetzt. 1928 eingeweiht, ein Backsteinbau seiner Zeit. Heute sind hier mitten im Zentrum des Stadtteils zwischen Wochenmarkt, S-Bahn-Station und Rathaus große Wohnungen eingebaut. Eine davon will Helmuth Harms zeigen. Sie steht leer, seit vor einigen Tagen eine Studenten-WG dort ausgezogen ist. 105 Quadratmeter, 790 Euro kalt kostet sie. Laminatböden, eine riesige Küche, zwei Balkone, Blick über die Dächer: In Altona würde man für so etwas fast das Doppelte zahlen, sagt Harms, der sich mit seiner Firma Home Center Immobilien auf den Harburger Wohnungsmarkt spezialisiert hat. Wohnungsnot in Hamburg? "Nicht hier", sagt der Harburger Makler. Wer eine Wohnung suche, der bekomme sie in der Regel auch - und das meist zu Preisen um sieben Euro pro Quadratmeter. "Gar kein Problem", sagt Harms und weiß sich im Einklang mit vielen Kollegen. So kann auch das Harburger Immobilienunternehmen Haferkamp prompt etliche freie Wohnungen mit günstigen Mietpreisen nennen. "Den sogenannten Wohnungsmangel im Kern von Ballungszentren gab es schon immer - aber eben nur dort", sagt Haferkamp-Mitarbeiter Siegmund Lorenscheit.

Immer wenn von Mietenwahnsinn in Hamburg die Rede ist, vom Mangel an bezahlbaren Wohnraum, und der Mieterverein vor einer "beängstigenden Mietenentwicklung" warnt - dann kommt von der Immobilienbranche Widerspruch. Tenor: Einen Mangel gebe es nur in der inneren Stadt in bestimmten Stadtteilen, sonst aber nicht. "Das Mietangebot ist derzeit hier bei uns so groß wie nie", sagt etwa Maklerin Claudia Witthöft aus Sasel. Auch die Verbände der Immobilienbranche bestätigen solche Einschätzungen. Es gebe durchaus günstige Angebote in vielen Stadtteilen, sagt der Vorsitzende des Grundeigentümerverbandes, Heinrich Stüven. Er selbst habe kürzlich eine Wohnung in Hamm vermietet - nach vier Monaten Leerstand, weil sich kein Mieter fand

Doch die Zahlen, die der Mieterverein zitiert, klingen auch anders: 11,34 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter bei Neuvermietung betrug demnach 2012 der durchschnittliche Preis, der in den vergangenen Jahren um 20 Prozent angestiegen sei. Vom "entfesselten Markt" spricht der Verein daher.

Offensichtlich gibt es mit Blick auf den Hamburger Wohnungsmarkt derzeit unterschiedliche Wahrnehmungen. Viel spricht aber für die These, dass der Mangel sich vor allem auf wenige Stadtteile im Kern konzentriert. Bei einer Stichproben-Untersuchung des Abendblatts auf dem Internetportal immonet. de fanden sich rund um die Innenstadt jedenfalls etliche Angebote, die deutlich unter den durchschnittlichen Neuvertragsmieten liegen. Jemand, der mit diesen zwei Gesichtern Hamburgs beinahe täglich zu tun hat, ist Detlev Schulz, als Immobilienmakler unter anderem in den Stadtteilen Langenhorn und Barmbek unterwegs "In Barmbek beispielsweise gehen die Wohnungen weg wie warme Semmeln", sagt er. "Zu den Besichtigungsterminen kommen zehn bis 15 Interessenten, und zehn wollen die Wohnungen garantiert haben", sagt Schulz. Da stört es Interessenten oftmals nicht, wenn die Wohnung noch gar nicht saniert wurde.

Ganz andere Erfahrungen hat Schulz ein paar Kilometer weiter westlich, in Langenhorn, gemacht. "In Langenhorn, aber auch in Hamm erlebe ich, dass Wohnungen drei, vier Monate lang leer stehen, weil keiner sie haben will." Schulz ist schon froh, wenn zu Besichtigungsterminen wenigstens zwei oder drei Interessenten kommen. "Oftmals bleiben Interessenten auch weg, ohne vorher abzusagen." Eine Wohnung in unsaniertem Zustand anzubieten, auf diese Idee würde Schulz in Langenhorn oder Hamm nicht kommen.

Aktuell beispielsweise bietet er eine 85 Quadratmeter große Vierzimmerwohnung in Langenhorn für 845 Euro Kaltmiete an. "Wir haben die Wohnung saniert, es gibt eine nagelneue Einbauküche und ein neues Bad", sagt der Makler. Aber auch die zwei Balkone haben bislang noch nicht dazu geführt, dass sich ein Mieter gefunden hat.

Ähnliche Erfahrungen macht der Eimsbüttler Makler Jens Finger immer wieder. In einigen Lagen kämen fast 50 Leute zu Besichtigungen, in anderen "hat man Glück, wenn fünf kommen". Und schon am Rand von Hamburg, in Bullenhausen bei Harburg, direkt an der Elbe, habe er oft Wohnungen im Angebot, bei denen es auch schon einmal drei Monate bis zur Vermietung dauern kann, "obwohl die wunderbar ausgestattet sind und schön liegen".

Das private Hamburger Forschungsinstitut F+B (Forschung und Beratung) beobachtet den Immobilien- und Mietmarkt bundesweit und besonders in Hamburg seit vielen Jahren. Das Fazit fällt dabei ziemlich eindeutig aus: "Es gibt keine Wohnungsnot in Hamburg", sagt F+B-Sprecherin Ulrike Stüdemann. Gleichwohl gebe es eben innerstädtische Stadtteile, in denen die Lage sehr angespannt sei. Gerade für Familien werde der Markt dort "sehr eng und teuer". Ursache dafür seien der Wohntrend zurück in die Stadt und das gleichzeitige Bevölkerungswachstum in Hamburg. Nicht nur junge Leute und andere Nachfragergruppen wollten daher lieber im Zentrum wohnen, sondern auch mehr Familien - während noch die Elterngeneration hinaus ins Umland gezogen ist. "Irgendwann", so F+B-Sprecherin Stüdemann, "laufen dann so beliebte Stadtteile regelrecht über." Die Forscher beobachteten dabei regelrechte Wanderungsbewegungen in der Beliebtheitswertung. Von Eimsbüttel habe sich die Entwicklung auf Ottensen verlagert, dann aktuell nach Bahrenfeld und Altona-Altstadt und eben auch in die Sternschanze. Zunehmend kämen auch andere Stadtteile - wenn auch mit noch moderatem Anstieg der Preise - ins Blickfeld: So zum Beispiel werde Hamm bei jüngeren Wohnungssuchenden immer beliebter, aber auch Barmbek-Süd, Barmbek-Nord und Eidelstedt. "Während man zum Beispiel im größten Hamburger Stadtteil Rahlstedt eigentlich noch alle Angebote findet", sagt Stüdeman

Dieser offensichtlich große Unterschied der Hamburger Wohnungsmärkte spiegelt sich auch in Preisuntersuchungen des Immobilieninstituts wider: So beträgt die Spanne bei Neuvermietungen in Hamburg 5,30 bis 20,10 Euro kalt pro Quadratmeter. Kaum eine andere deutsche Stadt weist solche Unterschiede auf. Und tatsächlich lag der Preisanstieg bei den Hamburger Neuvertragsmieten seit 2007 bei rund 20 Prozent (bei Bestandsmieten: 3,7 Prozent). Weniger dramatisch sieht die Entwicklung im Langzeitvergleich aus. Noch um 2000 gab es sogar Rückgänge bei Abschluss neuer Mietverträge. Im Langzeitvergleich liegt laut F+B die Anstiegsrate bei etwa zwei Prozent im Jahr und bewegte sich damit ungefähr auf dem Niveau der allgemeinen Lebenshaltungskosten. Immer als Durchschnittswert betrachtet, wohlgemerkt, Ausreißer nach oben oder auch unten gibt es immer wieder.

Zudem hat sich der Preisanstieg bei den Mieten in Hamburg offensichtlich wieder beruhigt. Das geht jedenfalls aus einer Studie des Maklerverbands IVD (Immobilienverband Deutschland) hervor, in dessen Auftrag ein Berliner Institut die Daten von 30.000 Hamburger Wohnungen untersucht hatte. Danach beträgt bei bestehenden Mietverhältnissen die durchschnittliche Nettokaltmiete 7,90 Euro je Quadratmeter. Bei Neuvertragsmieten müssen im Durchschnitt jetzt 9,90 Euro pro Quadratmeter bezahlt werden. IVD-Landeschef Axel Kloth sieht in der wachsenden Stadt Hamburg zwar weiter einen "attraktiven Wohnungsmarkt". Und in angesagten, citynahen Stadtvierteln übersteige die Nachfrage das Angebot zum Teil auch deutlich. "Es gibt allerdings in Hamburg jede Menge Wohnungen für unter elf Euro pro Quadratmeter, es gibt sie nur nicht in jedem Stadtbezirk", sagt Kloth und fügt hinzu: "Es gibt kein Grundrecht auf Wohnen in der Schanze oder einem anderen Szeneviertel."

Allerdings warnen Stadtforscher auch vor einem Auseinanderdriften in reiche und arme Stadtteile bei solchen geteilten Märkten. Die Stadt versucht daher mit - zum Teil auch umstrittenen - Aktionen gegenzusteuern. Etwa indem die Bezirke zu einem Drittel auch Sozialwohnungen bauen sollen. Und die Stadtentwicklungsbehörde will beispielsweise auch Neubaugebiete im Süden Hamburgs stärker in den Fokus rücken.

Dort versteht Makler Harms nicht, warum gerade Harburg bei so vielen Wohnungssuchenden kaum eine Rolle spielt. Eine Viertelstunde mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof, ein Stadtpark, ein Zentrum mit allen Angeboten - "was will man mehr?", fragt er. Gerade hat er ein neues Angebot zur Vermittlung bekommen: Altbau, alles renoviert, eine neue Küche, "wunderschöne" Jugendstiltüren, 100 Quadratmeter groß, 750 Euro Kaltmiete.

Das ist wieder so ein Fall, der wenige Kilometer weiter nördlich - in Eimsbüttel oder Altona - fast das Doppelte kosten dürfte.

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