Anwohner klagen: Stadtteile, in denen mit stärkerem Widerstand zu rechnen sei, würden so gut wie nie für eine Wohnunterkunft gewählt.

Hamburg. Der Anstieg der Flüchtlingszahlen zieht einen wachsenden Protest gegen neue Unterkünfte für Asylsuchende in den Hamburger Bezirken nach sich. In Moorfleet hat sich bereits eine Anwohnerinitiative gegen die Unterbringung von 100 Flüchtlingen in der Schule am Sandwisch formiert. In Farmsen-Berne regt sich Protest gegen eine Großunterkunft für mehr als 300 Menschen, die - in unmittelbarer Nachbarschaft eines Pflegeheims und einer Kita - auf einem für den Wohnungsbau vorgesehenen Grundstück entstehen soll. Und in Billstedt sperren sich Bürger und Politiker gegen 69 neue Plätze für Zuwanderer in der alten Schule am Oststeinbeker Weg. Von Ungerechtigkeit ist die Rede: Stadtteile, in denen mit stärkerem Widerstand zu rechnen sei, würden so gut wie nie für eine Wohnunterkunft gewählt.

In Billstedt gibt es laut Auskunft der Sozialbehörde bereits 1231 Plätze für Flüchtlinge und Wohnungslose - mehr als die Bezirke Eimsbüttel und Harburg zusammen zur Verfügung stellen. Daniel Erkalp, Vorsitzender der CDU Billstedt: "Es ist den Billstedter Bürgern nicht mehr zuzumuten, weitere Plätze zur Verfügung zu stellen." Die Ungleichbehandlung der Stadtteile gefährde das Gleichgewicht in der Stadt. Zumal versäumt werde, die in Billstedt untergebrachten Flüchtlinge zu integrieren. Am Billstieg etwa, wo 628 Menschen relativ isoliert auf engstem Raum leben, seien die Zustände katastrophal.

Hintergrund der Kritik: Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) sucht seit Ende 2012 in allen Bezirken nach zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten. Die rund 8400 städtischen Plätze für Flüchtlinge und Wohnungslose reichen nicht mehr, bis März solle in zehn Stadtteilen die Kapazität um 1500 Plätze erweitert werden - unter anderem auf dem Gelände der alten Billstedter Schule.

Die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte hatte sich zunächst gegen die Unterkunft ausgesprochen und war damit einem Antrag der SPD gefolgt. Die Gründe: Billstedt stoße an die Grenzen seiner Aufnahmekapazität, zudem existiere der Plan, auf dem Grundstück Wohnungen zu bauen. Weil die Sozialbehörde die Einwände nicht gelten ließ und weiterhin an dem Standort festhält, schwenkt die SPD jetzt um. In einem neuen Antrag fordert sie, die Unterbringung "sozialverträglich auszugestalten". Darauf reagieren Grüne, CDU und Billstedter Bürger mit Empörung - trotz des Zusatzes, das laufende Bebauungsplanverfahren dürfe durch die Unterbringung nicht verzögert werden. "Wir erwarten von den Bezirkspolitikern, dass sie die Interessen der Bürger notfalls auch mal gegen ihre eigene Partei vertreten", sagt Anwohner Michael Fröhlich, der seit 1989 in Billstedt wohnt. Sein Garten grenzt an das seit 2006 brachliegende Schulgelände. Mit Nachbarn will er jetzt eine Bürgerinitiative gründen: Der geplante Wohnungsbau sei wichtig für eine Aufwertung des in Verruf geratenen Stadtteils.

Von der Pflicht der gesamten Stadt, die Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) bei der Suche nach Unterkünften einforderte, merken die Billstedter jedenfalls nichts. "Nur wenn sich die gesamte Stadt solidarisch zeigt, werden wir mehr Plätze für Flüchtlinge und Wohnungslose schaffen", sagte Scheele im Dezember. Diesen Willen beteuern auch alle Bezirksämter. Doch wie begrenzt diese Solidarität vor der Haustür ist, zeigten Anwohner in Harburg, zeigen nun die Proteste in Moorfleet.

Wobei sich ein Großteil des Grolls auf die Informationspolitik der Behörde und das Übergehen der Anwohner bezieht. So mehren sich auch am Offakamp in Lokstedt, wo 180 Asylsuchende Unterschlupf finden sollen, die Bedenken. Möglicherweise sei der Boden unter dem ehemaligen Recyclinghof kontaminiert. Die Umweltbehörde wurde eingeschaltet. Dabei sei sich der Bezirk Eimsbüttel seiner Verantwortung gegenüber der Stadt bewusst, wird versichert - doch aus Billstedt schallt der Vorwurf der Ungleichbehandlung.

Im Westen und im Norden der Stadt, etwa in den Walddörfern, passiere gar nichts, sagt Michael Osterburg, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Hamburg-Mitte. "Die Stadt traut sich nicht, dort öffentlich-rechtliche Unterkünfte einzurichten, weil das Klage- und Widerstandspotenzial größer ist." Man müsse auf die Flüchtlinge reagieren, sagt Osterburg, dafür brauche man ein gerechtes Gesamtkonzept. "Wir fordern vom Senat eine gerechtere Verteilung der Einrichtungen in der Stadt", sagt auch Carsten Rohde von der CDU Hamburg-Mitte, Billstedter und Vorsitzender im Sozialausschuss.

In Billstedt gibt es neben dem Billstieg drei weitere Unterkünfte, in denen Menschen öffentlich-rechtlich untergebracht sind: am Mattkamp sind es 361, am Billbrookdeich 113 und am Spliedtring 129. Die zusätzlichen 69 Plätze am Oststeinbeker Weg will die BASFI nur übergangsweise nutzen. In einem ersten Schreiben geht Staatsrat Jan Pörksen von einer Mindestlaufzeit von drei Jahren aus. Bezirksamtsleiter Andy Grote ist da anderer Meinung. "Genau auf diesem Grundstück", sagt er, "werden wir in zwei Jahren anfangen, Wohnungen zu bauen."

Der Bebauungsplan für das Projekt war bereits 2007 im Entwurf - und mit ein Grund dafür, dass sich Frank T. damals neben dem Schulgelände ein Grundstück gekauft und bebaut hat. "Ich bin davon ausgegangen, dass sich hier bald ein nettes Wohngebiet entwickelt", sagt der Familienvater. "Doch das Vorhaben ist jetzt wohl für Jahre blockiert." An eine übergangsweise Nutzung von kurzer Dauer glaubt er nicht. Auch Mike Neschki von der Initiative "Hallo Billstedt" vermutet: "Wir werden wieder veräppelt." Schon die Wohnunterkunft Mattkamp sollte nur fünf Jahre existieren - mittlerweile gibt es sie seit fast 20 Jahren. Es sei die Ungerechtigkeit der Behörde bei der Standortsuche, die viele im Stadtteil wütend macht. "Es ist immer wieder Billstedt, und deshalb wehren wir uns", sagt Neschki. "Sobald Blankenese oder Eppendorf Flüchtlinge aufnimmt, werden auch wir weitere akzeptieren."