Volksinitiative will hundertprozentigen Rückkauf der Energienetze durchsetzen. Laut einer Umfrage ist die Mehrheit der Hamburger dafür.

Hamburg. Kaum ein anderes Thema dürfte im Laufe des Jahres 2013 eine so umfassende Debatte in Hamburg entfachen wie der Streit um den vollständigen Rückkauf der Energienetze. Die Volksinitiative "Unser Hamburg - unser Netz" will in einem Volksentscheid parallel zur Bundestagswahl im September per Volksentscheid einen hundertprozentigen Rückkauf der Strom-, Gas- und Fernwärmeleitungen von E.on und Vattenfall durchsetzen. Gesamtlänge der Rohre und Kabel: 35.400 Kilometer. Geschätzte Kosten für die komplette Rekommunalisierung: rund zwei Milliarden Euro, fast ein Fünftel des Hamburger Jahresetats.

Schon jetzt laufen sich die Initiatoren und ihre Gegenspieler für den Meinungskampf warm. Der Chef der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Andreas Dressel, bezeichnete den Rückkauf jetzt als unkalkulierbares Risiko. "Wir brauchen nicht noch ein Großprojekt, bei dem der Steuerzahler erst viel zu spät die komplette Rechnung erhält", so Dressel. "Eine Elbphilharmonie reicht." Ähnlich äußerte sich Bürgermeister Olaf Scholz, der sich beim Neujahrsempfang der Fraktion dagegen aussprach "zwei Milliarden Euro auszugeben, damit einem die Kabel gehören".

Die SPD verteidigte das Abkommen, das sie im vergangenen Jahr mit Vattenfall und E.on geschlossen hat. Dabei hatte der Senat 25,1 Prozent der Netze erworben - für auch schon stattliche 544 Millionen Euro. Das sichere genügend Einfluss und eine Garantiedividende, so die Genossen. Eine Partnerschaft mit den Energieerzeugern sei besser zur Umsetzung der Energiewende als ein Konfrontationskurs. Im Übrigen könne sich die Stadt den kompletten Rückkauf nicht leisten. Dass die SPD ab sofort für diese Position trommeln will, zeigt sich auch daran, dass die Fraktion das Thema Energiewende jetzt zur Aktuellen Stunde für die Bürgerschaftssitzung dieser Woche angemeldet hat.

Aber auch die Volksinitiative legt jetzt los in Sachen PR. Sie stellte am gestrigen Montag ihre Erwiderung auf die Verfassungsklage der CDU gegen den Volksentscheid vor. Die CDU hatte mit der Begründung Klage beim Hamburgischen Verfassungsgericht eingereicht, der Volksentscheid sei irreführend formuliert und seine finanziellen Auswirkungen sprengten das verfassungsgemäß zulässige Maß. Dem widersprach die Initiative, die sich vom früheren grünen Justizsenator Till Steffen anwaltlich vertreten lässt, in einer jetzt beim Verfassungsgericht eingereichten Stellungnahme. Die Klage der CDU sei "weder zulässig noch inhaltlich begründet", sagte Steffen am Montag. Kurz vor einem Volksentscheid sei eine verfassungsrechtliche Überprüfung nicht mehr möglich. Diese hätte deutlich früher innerhalb des Volksgesetzgebungsverfahrens erfolgen müssen - zwischen Start der Volksinitiative und Beginn des Volksbegehrens. "Die CDU hat aber peinlichst vermieden, einen solchen Antrag zu stellen, als dieser noch zulässig gewesen wäre", so Steffen.

Auch inhaltlich wähnt sich die Initiative auf der sicheren Seite. Anders als von der CDU argumentiert, dürften Volksentscheide durchaus Auswirkungen auf den Haushalt haben. Im Jahr 2008 sei die Verfassung von Schwarz-Grün geändert worden, sodass nun nicht mehr allgemein "Haushaltsangelegenheiten", sondern nur noch konkrete "Haushaltspläne" als Gegenstände von Volksbegehren ausgeschlossen seien. Auch sei die Aussage falsch, der Netze-Rückkauf sei nicht finanzierbar. Vielmehr stünden den Kosten jährliche Einnahmen aus dem Netzbetrieb in dreistelliger Millionenhöhe entgegen. Die Bundesnetzagentur garantiere "auskömmliche Renditen", wenn die Netze effizient betrieben würden. Den Vorwurf, der Volksentscheids sei unklar formuliert, wies die Initiative zurück. Der Auftrag an Senat und Bürgerschaft sei klar formuliert: Sie sollten alle "notwendigen und zulässigen Schritte" zur Netz-Rücknahme unternehmen.

Der Hamburger Geschäftsführer der Verbraucherzentrale, Günter Hörmann, erläuterte am Montag, warum die Zentrale sich in der Initiative zum Netzerückkauf engagiert. Zum einen hätten die Verbraucher ein Interesse am Klimaschutz, zum anderen aber auch am Wettbewerb im Energiesektor. Wenn der Netzbetreiber gleichzeitig Energieerzeuger sei, gefährde dies den Wettbewerb. Vattenfall etwa habe den Verbraucherwechsel oft erschwert. Zudem habe der Konzern über seine Netzgesellschaft illegal Werbung für seinen Strom gemacht - und sei dafür bereits abgemahnt worden. "Wir erhoffen uns vom Rückkauf der Netze, dass durch mehr Wettbewerb die Preise für die Verbraucher sinken", so Hörmann.

Die Chancen, dass die Initiative sich am Ende gegen den Senat durchsetzt, stehen offenbar nicht schlecht. Nach einer unter Verschluss gehaltenen Vattenfall-Umfrage sprechen sich 58 Prozent der Hamburger dafür aus, die Energienetze in staatliche Hand zu überführen. Nicht gefragt wurde allerdings, ob sie eine vollständige oder teilweise Übernahme wollen.

Die CDU hielt ihre Kritik am Volksentscheid aufrecht. "Die finanziellen Folgen von mehr als zwei Milliarden Euro sprengen das verfassungsmäßig zulässige Maß", sagte Fraktionschef Dietrich Wersich. "Darüber muss das Verfassungsgericht in der Sache urteilen, nur so besteht Klarheit für zukünftige Vorhaben. Auch ein Volksentscheid muss sich an die Grenzen der Verfassung halten."