Der GAL-Fraktionschef verteidigt die Kompromissfähigkeit seiner Partei. Außerdem kritisiert er HSH-Boss Nonnenmacher.

Hamburg. Hamburger Abendblatt: Herr Kerstan, GAL steht für Grüne Alternative Liste. Wie alternativ ist der CDU-Partner GAL noch?

Jens Kerstan: Wir Grüne setzen uns immer noch für die gleichen Ziele ein, mit denen wir damals gestartet sind. Nämlich, dass in dieser Stadt alternative Lebensentwürfe ihren Platz finden, dass Hamburg Vorreiterstadt in Sachen Klimaschutz wird und dass die Stadt lebenswerter und gerechter wird. Im Kern streiten wir also immer noch für ein modernes und alternatives Leben.

Abendblatt: Stichwort alternative Lebensform: Eigentlich sollte dieses Interview ja im Gängeviertel stattfinden, doch das wollte die Künstlerinitiative, die die Häuser dort nutzt, nicht. Ist es vielleicht doch nicht so weit her mit der Akzeptanz der GAL in der alternativen Szene?

Kerstan: Es gibt da sicher Vorbehalte, vereinnahmt zu werden. Es bildet sich gerade eine Bewegung in der Stadt, die sehr politikfern agiert. Die Bürger schließen sich zusammen, lehnen die Politik als Vermittler ab und setzen sich direkt für ihr Anliegen ein. Aus meiner Sicht ist das durchaus legitim. Letztlich haben uns die Besetzer des Gängeviertels auch geholfen, dieses schöne und bedeutsame Viertel für Hamburg zu erhalten. Aus unserer Sicht könnte hier eine fruchtbare Zusammenarbeit entstehen. Aber dafür müssen wir wohl noch werben.

Abendblatt: Die Dankbarkeit geht jedenfalls nicht so weit, dass Sie im Gängeviertel schon das Gastrecht ausüben dürften.

Kerstan: Dankbarkeit zu erwarten - dieser Zahn wird einem in der Politik schnell gezogen.

Abendblatt: Ist das Geschäft so undankbar?

Kerstan: Ich nehme schon eine Tendenz wahr, dass die Bereitschaft, Kompromisse zu akzeptieren, geringer wird. Und dass der Kompromiss im politischen Geschäft häufig sogar einen negativen Beigeschmack bekommt. Das macht es in einer parlamentarischen Demokratie schwierig, denn letztlich ist der Ausgleich der Interessen der Kern unserer Demokratie.

Abendblatt: War das auch der Grund dafür, dass die GAL in der Gängeviertel-Debatte, die ja hohe Wellen geschlagen hat, so unauffällig agiert hat?

Kerstan: Da steckten wir in einem klassischen Zwiespalt. Einerseits hätte man durch markige Sprüche hervorragend Schlagzeilen machen können, andererseits wollten wir dieses Viertel zurück in städtisches Eigentum bekommen, um bei der künftigen Nutzung eine andere Richtung einzuschlagen. Und je mehr der öffentliche Druck stieg, desto höher hat der Investor den Preis für seinen Ausstieg aus dem Projekt geschraubt. Da muss man sich entscheiden: Will man das Projekt wirklich umsetzen oder nur eine schöne Schlagzeile haben? Wir haben uns für das Projekt entschieden ...

Abendblatt: . . . und ganz selbstlos auf die Eigenwerbung verzichtet. Steht GAL künftig für Grüne Altruistische Liste?

Kerstan: Ich sehe zwischen alternativ und einem gewissen Altruismus keinen großen Widerspruch.

Abendblatt: Aber Sie wollen 2012, wenn Bürgerschaftswahl ist, wiedergewählt werden?

Kerstan: Ja, und dafür müssen wir unsere Projekte umsetzen. Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir nach vier Jahren viele Erfolge werden vorweisen können.

Abendblatt: Hängt die Bilanz nicht ganz zentral vom Gelingen der Schulreform ab?

Kerstan: Die Schulreform ist sicher ein ganz zentraler Baustein, aber mit Sicherheit nicht der einzige. Hamburg als Klimahauptstadt 2011, die Stadtbahn, unser Programm gegen das soziale Auseinanderdriften der Stadt, mehr Liberalisierung in der Justiz, Stärkung von Kreativwirtschaft und Wissenschaft - wir stehen auf vielen Feldern für einen Kurswechsel.

Abendblatt: Aber das, was die Stadt polarisiert, ist die Schulpolitik. Wie viel können Sie der CDU noch zumuten?

Kerstan: Es geht nicht darum, der CDU etwas zuzumuten. Sie steht zu dem, was wir vereinbart haben.

Abendblatt: Unser Eindruck ist ein anderer. Teile der CDU sind offen gegen die Reform.

Kerstan: Aber die Fraktion steht ohne Wenn und Aber inhaltlich dazu, der Bürgermeister und der Parteivorsitzende Michael Freytag ebenso. Das sind für uns als Fraktion die wichtigsten Ansprechpartner.

Abendblatt: 184 500 Hamburger haben bei der Volksinitiative gegen die Reform unterschrieben. Haben Sie die Stimmung in der Stadt falsch eingeschätzt?

Kerstan: Wir haben falsch eingeschätzt, wie emotional das Elternwahlrecht wirkt und dass viele Menschen die ganze Reform wegen dieses Punktes infrage stellen. Längeres gemeinsames Lernen oder die Primarschule finden in Umfragen ja sogar Mehrheiten. Deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt mit vielen gesellschaftlichen Gruppen reden, nicht nur mit der Initiative, um herauszufinden, was den Bürgern wirklich wichtig ist.

Abendblatt: Das Elternwahlrecht ist ja wohl bereits gerettet. Welcher Teil der Reform könnte noch kippen?

Kerstan: So eindeutig ist noch nichts entschieden. Warten wir doch erst mal ab, was Michael Otto, der als Vermittler viele Gespräche führt, berichten wird. Klar aus grüner Sicht ist: Wir machen keinen Kompromiss um jeden Preis. Wäre das längere gemeinsame Lernen jetzt nicht durchsetzbar, wäre das nicht nur eine Entscheidung für diese Wahlperiode, sondern für viele weitere. So etwas kann man nicht im Hinterzimmer aushandeln. Darüber muss dann die ganze Bevölkerung entscheiden.

Abendblatt: Ein Volksentscheid brächte zwar eine Entscheidung, aber wohl keinen "Schulfrieden", wie ihn die SPD anbietet.

Kerstan: Es gibt nur eine Partei in der Bürgerschaft, die sich einem Schulfrieden verweigert, das ist die SPD. Die anderen drei Parteien, CDU, GAL und Linke sind für eine sechsjährige Primarschule. Nur die SPD legt sich nicht darauf fest, was sie will. Ich würde es begrüßen, wenn die SPD jetzt ihre Blockadehaltung wirklich aufgibt.

Abendblatt: Die CDU verliert in Umfragen stark. Vor allem wegen der Schulreform?

Kerstan: Wir haben ein extrem schweres Jahr hinter uns, in dem es nicht nur um die Schulreform ging, sondern auch um die schlimmste Wirtschafts- und Finanzkrise. Wir haben ein 1,15-Milliarden-Euro-Sparprogramm verkündet, und wir hatten das Desaster HSH Nordbank. Dass in einer solchen Situation der stärkere Koalitionspartner unter Druck gerät, ist nicht ungewöhnlich.

Abendblatt: Die Grünen gewinnen hingegen in Umfragen hinzu, obwohl sie die Wiedereinführung von Bonuszahlungen für HSH-Manager mitgetragen haben.

Kerstan: Diese Sache zu akzeptieren, fällt uns genauso schwer wie der Bevölkerung. Unser wichtigstes Ziel in dem ganzen Schlamassel ist zu verhindern, dass die Steuerzahler noch stärker für die Bank bluten müssen.

Abendblatt: Und besser bezahlte Manager können das verhindern?

Kerstan: Das Risiko ist noch durchaus real, dass diese Bank scheitert und dann im zweistelligen Bereich Milliardenbeträge fällig werden. Dann müssten wir Sparprogramme aufstellen, die sehr viel schmerzhafter sind als das aktuelle. Daher braucht die Bank einen handlungsfähigen Vorstand. Und wenn es ein Jahr lang nicht gelungen ist, diesen zu besetzen, muss man frühere Entscheidungen überdenken.

Abendblatt: Im Frühjahr haben Sie mehrfach gesagt, dass man bei HSH-Entscheidungen nur die Wahl zwischen Pest oder Cholera habe. Welche Krankheit hat das neue Vergütungsmodell?

Kerstan: Wahrscheinlich beide. Aber die nächsten drei Jahre bekommen Herr Nonnenmacher und die anderen Vorstände nur 500 000 Euro, keinen Cent mehr. Mehr Geld können sie erst erhalten, wenn die Bank saniert und sichergestellt ist, dass Hamburg nicht noch mehr zahlen muss.

Abendblatt: Ist Herr Nonnenmacher der richtige Mann an der Spitze der Bank?

Kerstan: In der jetzigen Phase der Sanierung spielt er eine wichtige Rolle. Aber ich glaube nicht, dass Herr Nonnenmacher langfristig der richtige Chef für die HSH Nordbank ist.

Abendblatt: Warum nicht?

Kerstan: Er hat sehr viel Porzellan zerschlagen mit dem Beharren auf seinem Altvertrag. Der sah eine Millionen-Sonderzahlung vor, während im ganzen Haus normale Mitarbeiter auf ihre Zulagen verzichten mussten. Aber jetzt geht es darum, den Schiffbruch zu vermeiden, und dafür braucht man einen Kapitän. Ohne Nonnenmacher wäre es vermutlich sehr schwierig, die HSH Nordbank noch zu retten.

Abendblatt: Ein erfreulicheres Thema: Was war Ihr politisches Highlight 2009?

Kerstan: Der größte Erfolg für mich persönlich war, dass Hamburg von der EU als Umwelthauptstadt 2011 nominiert wurde. Das sind Vorschusslorbeeren aufgrund des Koalitionsvertrags, und es zeigt, dass Hamburg bereit und in der Lage ist, eine Vorreiterrolle einzunehmen.

Abendblatt: Und was war die größte Pleite?

Kerstan (überlegt lange): Hm, mir fällt keine große Pleite ein. Moorburg war ja schon 2008 ...

Abendblatt: Sie hatten einen schweren Fahrradunfall und müssen wegen eines gebrochenen Ellenbogens seit Monaten zur Reha. Wie gehen Sie mit den ungewohnten Auszeiten um?

Kerstan: Ich habe jeden Tag von 13 bis 16 Uhr Reha. Das ist für alle, die mit mir zusammenarbeiten, organisatorisch eine Riesenherausforderung. Aber es ist auch ein Stück Entschleunigung im täglichen Leben, wenn man sich plötzlich viel mehr mit sich selber beschäftigen muss.

Abendblatt: Was wünschen Sie sich für 2010?

Kerstan: Politisch, dass wir im Bereich Schulreform eine gute Entscheidung zustande bringen und im Klimaschutz weiter vorankommen. Und privat wünsche ich mir ab und zu mal wieder Zeit für einen Kino- oder Theaterbesuch. Und dass ich mir wieder alleine meinen obersten Hemdknopf zumachen kann - was wegen des lädierten Ellbogens bisher noch nicht klappt.