Erstes Wochenende nach Alkoholverbot beim HVV. Das Abendblatt fuhr mit Kontrolleuren durch die Nacht. Mischgetränke sind ein ungelöstes Problem.

Hamburg. Für den Mann im braunen Kapuzenpulli ist es ein Dilemma. Da steht die S-Bahn bereits mit geöffneten Türen vor ihm, und in seiner Hand hält er diese noch gut gefüllte Flasche Bier. Plötzlich spricht ihn ein Mann in Uniform an: "Wir möchten Sie auf das Alkoholverbot hinweisen."

Sicherheitsmann Till R., 29, spricht im freundlichen, aber bestimmenden Ton mit dem Fahrgast. "Und jetzt krieg ich gleich ein Ticket, oder was?", schimpft der. Nein, bekommt er nicht, denn das Alkoholverbot in den Stationen und Fahrzeugen des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) gilt zwar schon seit vergangenem Donnerstag. Doch im September, während der Eingewöhnungsphase, sollen die Fahrgäste erst mal über die neue Verordnung informiert werden, geöffnete Dosen und Flaschen mit Alkohol müssen sie aber schon abgeben. Ab dem 1. Oktober werden 40 Euro fällig. "Dann geh ich eben noch mal hoch und trinke mein Bier dort", sagt der Mann im Kapuzenpulli.

+++ Verbote sind ein Armutszeugnis für uns alle +++

+++ Verbote sind richtig, wenn Gebote nicht mehr ausreichen +++

+++ Alkohol, Lärm, Käfighaltung - was alles verboten ist +++

Die Szene spielt sich in der Nacht zum Sonnabend gegen Mitternacht an der Haltestelle Jungfernstieg ab. Es ist eines von vielen Gesprächen, die Till R. von der S-Bahn-Sicherheit und seine Kollegen an diesem ersten Wochenende des Alkoholverbots geführt haben. "Wir ziehen ein recht positives Fazit", sagt Bahnsprecher Dirk Pohlmann. Es habe keine körperlichen Auseinandersetzungen mit Wachleuten gegeben, und die Fahrgäste reagierten gelassen, sagt er. Im Bahnhof Jungfernstieg waren während des Alstervergnügens besonders viele Belehrungen nötig. Auch erste Effekte des Verbots lassen sich laut Pohlmann erkennen: So seien die Abteile durchweg in einem für Wochenendnächte vergleichsweise sauberen und müllfreien Zustand gewesen. "Wir hatten auch den Eindruck, dass von vornherein weniger Menschen mit Bier- oder Sektflaschen unterwegs waren als sonst", sagt Pohlmann.

Doch nicht immer ging alles glatt. Die S-Bahn-Linie S 1 vom Hauptbahnhof in Richtung Reeperbahn: Das Viererteam von Till R. steigt in einen voll besetzten Wagen, indem sich fast ebenso viele Fahrgäste wie geöffnete Flaschen mit hochprozentigem Inhalt befinden. Während sie eine Gruppe von Jugendlichen an einem Ende des Abteils belehren, heißt es für alle anderen "einpacken". Schnell verschwinden Flaschen mit Schraubverschluss in Rucksäcken und Handtaschen. Flaschen ohne Verschlüsse werden in Ärmeln und zwischen den Füßen versteckt. Drei Jungs, die dazu keine Zeit mehr hatten, erhalten eine kleine Plastikbox mit Pfefferminzpastillen von den Sicherheitsleuten. "Alkoholfreie Zone. Danke, dass sie mitmachen", steht auf der Packung, ebenso auf den Plakaten an den Zugängen zu den Bahnsteigen und auf den Infokarten, die im Postkartenformat verteilt werden. Die Jungs finden es "okay", dass sie auf das Verbot hingewiesen werden, zumal sie den Rest Bier in ihren Flaschen trotzdem noch austrinken dürfen. Dann wollen sie ein paar der eben erhaltenen Pfefferminzpastillen essen, bekommen aber den simplen Kippverschluss der Box nicht auf. War wohl doch schon ein Schluck Alkohol zu viel.

An der Haltestelle Reeperbahn steigt das Sicherheitspersonal aus. "Das ist unsere meistkontrollierte Station", sagt S-Bahn-Geschäftsführer Kay Arnecke, der mitgekommen ist, um sich anzusehen, wie die Fahrgäste das Verbot annehmen. Hinter ihm steht eine Gruppe angetrunkener Mädchen mit einer Orangensaftflasche in der Hand. Überhaupt hat es den Anschein, als ob seit diesem Wochenende Cola, Wasser und Saft die neuen Partygetränke sind. "Da sind vermutlich Mischgetränke eingefüllt", sagt Till R. Mit seiner Erfahrung sehe man das. Er greift trotzdem nicht ein und lässt eine weitere Gruppe johlender Jugendlicher mit Limonade in den Händen passieren. Auch seinem Chef Kay Arnecke ist das Problem bewusst, eine Lösung hat er aber nicht. "Es kann nicht so weit gehen, dass wir da Flaschen aufdrehen, um den Inhalt zu kontrollieren", sagt er.

Mit der nächsten Bahn geht es zurück zum Hauptbahnhof. Nachdem alle Alkoholtrinker informiert und mit Kärtchen und Pastillen ausgerüstet sind, bleibt etwas Zeit zum Reden: "Es ist heute definitiv ruhiger", sagt Till. R. Die meisten reagierten gelassen, nur wenige genervt. Dabei kämen Streit und Angriffe gerade an Wochenenden häufig vor. "Da werden auch schon mal Kollegen verletzt", sagt der Sicherheitsmann. Ihm selbst sei aber noch nichts passiert. Er hat eine Taktik für brenzlige Situationen. "Das Wichtigste ist, Respekt zu haben", sagt er. "Aber keine Angst." Denn die spüre sein Gegenüber.

Am Hauptbahnhof angekommen, begrüßt das Team die anderen Kollegen vor Ort. Plötzlich pfeift Till R. laut. Auf dem Fußboden einer Bahn hat er einen völlig Betrunkenen entdeckt, der die Kontrolle verloren hatte. Sie tragen den Mann mit dem zerzausten Haar und den lumpigen Klamotten heraus und rufen jemanden, der sich um ihn kümmert. Das ist nicht der einzige Vorfall wegen Trunkenheit, der sich an diesem Wochenende trotz Alkoholverbots ereignete. In der Linie S 1 etwa prügelten zwei 20-jährige Frauen auf eine gleichaltrige Hamburgerin ein. Auf dem Polizeirevier wurden bei beiden Täterinnen rund 1,2 Promille gemessen. Es wurde ein Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung eingeleitet. Auch am Hauptbahnhof gab es Ärger. Ein 23-Jähriger hob den Arm mehrmals zum Hitlergruß und rief verfassungswidrige Parolen. Die Bundespolizei griff ein. Ein Alkoholtest ergab 2,5 Promille.

Dabei war eines der Hauptargumente für das Alkoholverbot in Bus und Bahn, dass Straftaten verringert werden können, da durch den Alkohol die Hemmschwelle für unsoziales oder gesetzeswidrige Verhalten sinkt. "Die Leute werden weiter auf dem Weg zur Bahn und nach der Fahrt trinken", sagt Kay Arnecke. "Solche Probleme werden wir also auch weiterhin haben - nur weniger." Außerdem hoffe er wie beim Rauchverbot auf eine gewisse Selbstregulierung unter den Fahrgästen. "Der Großteil war ja dafür und kann andere zur Achtung des Verbots ermahnen."