Noch nie haben so viele junge Menschen an der Hochschule gleichzeitig ihr Studium begonnen. Das Abendblatt begleitete eine Anfängerin.

Hamburg. Vielleicht ist es einen Tick zu ruhig. Zu ruhig für 185 Erstsemester, die sich um 10 Uhr morgens in den überfüllten Hörsaal D des Philosophenturms drängen und nicht nur vor Wissbegierde und Aufregung platzen müssten, sondern auch allen Grund zum Jubeln hätten. Immerhin sind sie 185 Glückliche, die einen Studienplatz in Hamburg erhalten haben.

Dieses Glück war dem Großteil der Bewerber nicht vergönnt. Wegen des Doppel-Abiturjahrgangs in Hamburg und dem allgemein anhaltenden Trend, in einer attraktiven Metropole studieren zu wollen, beschränkte die Universität von vornherein die Zulassung für sämtliche Studiengänge im Wintersemester. Und obwohl rund 600 zusätzliche Studienplätze geschaffen wurden, konnten von 36 821 direkten Bewerbern lediglich 5871 ihr Studium tatsächlich antreten, das sind so viele wie in keinem Semester vorher. Mit nunmehr insgesamt rund 39 000 immatrikulierten Studierenden stößt die Hochschule an ihre Kapazitätsgrenze und vermeldet einen Auslastungsgrad von "nahezu 100 Prozent".

Trotz ihres Privilegs, in Hamburg studieren zu dürfen, beginnen an diesem Montagmorgen nur vereinzelt zaghafte Gespräche in Hörsaal D. Fast ehrfürchtig harren die angehenden Politikwissenschaftler und Soziologen der Dinge. Auch Linda Kabalan traut sich noch nicht so recht. Für die 20-jährige Deutsch-Libanesin ist nicht nur der Hörsaal neu, auch der Campus, die Stadt und die Menschen sind es. Vergangenes Wochenende ist sie von Hannover nach Hamburg gezogen. "Und ein bisschen panisch bin ich schon, so ganz ohne Freunde in einer fremden Stadt", sagt die dunkelhaarige Studentin. Dabei sieht sie nach weltoffener Extrovertiertheit aus, mit ihrem mintgrünen Tuch, dem dicken Ring und diesem einnehmenden Lachen. Aber ihre Freunde, ihre Eltern und ihr Freund sind "zumindest für den Alltag außer Reichweite". Das ist erst mal ungewohnt.

Linda und Tausende andere Studienanfänger haben die gleichen Fragen: Wie komme ich zum Allende-Platz? Was ist der Wiwi-Bunker? Und wie funktioniert eigentlich dieses Studenteninformationsnetzwerk, das über Vorlesungen, Seminare, Klausuren und erreichte Leistungspunkte informiert? Deshalb bietet die Universität die Orientierungswoche mit Studenten höherer Fachsemester an. Jene Tutoren, die auf dem Hamburger Campus wie Grundschullehrer eifrig farbige Schilder hochhalten und aufpassen, dass niemand verloren geht an der fünftgrößten Universität Deutschlands.

Im Rahmen des Hochschulpakts und mit Sondermitteln der Wissenschaftsbehörde wurden 20 Prozent mehr Studienplätze sowie 19 weitere Masterstudiengänge eingerichtet. Sie sollen nicht nur der diesjährigen Flut an Erstsemester-Studenten begegnen. Auch den Bachelor-Absolventen, die nach sechs Semestern ihren Master machen wollen, soll damit die Möglichkeit gegeben werden, an der Hamburger Universität zu bleiben. Derzeit stehen zwar 4989 Bachelor-Plätzen lediglich 2237 weiterführende Masterstudienplätze zu Verfügung. Aber an der Universität heißt es: "Weitere Masterstudiengänge befinden sich im Aufbau."

Linda ist noch sechs Semester vom Bachelor entfernt. Sie ist erst mal froh, die Einführung hinter sich zu haben, wenngleich sie beim ersten Mittagessen in der Mensa kritisch urteilt: "Ich hätte mir mehr Infos erhofft. Etwa, zu welchen Kursen ich mich anmelden muss und wie mein Stundenplan aussieht." Das ist dann wohl der Teil des neuen, selbstständigen Lebens, den sie allein herausfinden muss.

Beim Wohnen ist sie indes bedeutend weiter. Mit einer Modestudentin teilt sie sich eine Wohnung in Barmbek. Erste Pläne schmiedet sie auch schon. Sie möchte sich in der Hochschulpolitik engagieren. "Aber über das System haben wir hier in der Einführung bisher auch kaum etwas erfahren."

Mit ihrem in diesem Jahr erreichten Abitur von 2,0 hat die 20-Jährige eine Punktlandung hingelegt. Denn im Gegensatz zum Vorjahr, in dem der zulassungsentscheidende Numerus clausus noch bei 2,3 lag, wurde er zum Wintersemester auf 2,0 taxiert. In Betriebswirtschaftlehre, Psychologie, Medienwissenschaften oder zum Lehramt fürs Gymnasium hätte sie damit wohl ohne Wartesemester kaum eine Chance gehabt - es waren einmal mehr die meistgefragten Studienfächer.

Die neue Fakultät am Allendeplatz und die Mensa kennt Linda nun. Ein Campusrundgang und eine Stadtbegehung verschaffen weitere Orientierung. Für den Rest bleiben ihr noch vier Tage Zeit, in denen ihre und die Fragen vieler anderer Erstsemester beantwortet werden sollen. "Lust darauf, was nun auf mich zukommt, habe ich auf jeden Fall bekommen", sagt sie am Ende des ersten Tages und verabschiedet sich erst einmal nach Hause.

Da erwarten sie die Momente, in denen sie Freunde und Familie doch ein bisschen vermisse. "Tagsüber bleibt dafür keine Zeit. Noch ist alles viel zu aufregend und neu." Um das Heimweh etwas zu schmälern, hat sie sich abends noch in der Schanze verabredet. Dort suggeriert zumindest der Barname ein Gefühl von Familie, die Studentenkneipe heißt "Mutter".

Heute um 9 Uhr beginnt die Studieneinführung Teil zwei. Dann dürfte der Geräuschpegel des Hörsaals vermutlich schon etwas höher sein. Gelegenheit für viele neue Kontakte und regen Austausch gab es schließlich schon genug. Und vielleicht mischt sich auch etwas Jubel unter die Erstsemester, wenn ihnen bewusst wird, dass sie sich glücklich schätzen dürfen in Hamburg zu studieren. Gut 30 000 anderen war das nicht vergönnt.