Michael Köhler hält das Hochschulgesetz für rechtswidrig. Die “Wissenschaftler werden entrechtet, Dekane sind zu mächtig.“

Hamburg. Der Mann, der Hamburgs Landesregierung eine rechtliche Ohrfeige verpassen könnte, spielt gerne Geige, hat seine eigene Übersetzung von Jean-Jacques Rousseaus "Friedensschriften" auf dem Schreibtisch liegen und wirkt auch sonst wie einer jener Juristen, die sich lieber in Gedanken zurückziehen, als mit provokanten Thesen im Rampenlicht zu stehen. Wer aber Rechtsphilosophie lehrt, so wie Professor Michael Köhler, sich also mit Theorien der Gerechtigkeit befasst, macht sich auch Gedanken darüber, ob die Strukturen an der Uni Hamburg noch so wissenschaftsgerecht sind, wie das Grundgesetz es vorschreibt. Das bezweifelt Köhler, seit Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) das Hochschulgesetz im Jahr 2005 radikal änderte.

Wie es aussieht, könnte der 64-Jährige bald höchste Zustimmung bekommen: Das Bundesverfassungsgericht hat nach vier Jahren seine Verfassungsbeschwerde nun der Hamburger Bürgerschaft zugestellt. So weit kommt vor dem Karlsruher Gericht nicht mal jede zehnte Beschwerde - ein klares Indiz dafür, dass sie erfolgreich sein könnte.

Köhler bleibt sachlich: "Ich handele aus Respekt vor meinem Dienstherrn, der Hansestadt Hamburg, die viel Geld in die Hochschule steckt und dafür gute Ergebnisse erwarten darf." Dabei geht es um nicht weniger als Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Freiheit von Forschung und Lehre vorschreibt. Dieser Freiraum sei bedroht, weil Wissenschaftler ihn nicht mehr durch "organisatorische Selbstbestimmung" mitgestalten könnten. Gegen schnellere Verwaltungsabläufe sei zwar nichts einzuwenden. Doch nun befinde sich die Uni im Zustand "organisierter Verantwortungslosigkeit", schreibt Köhler in seiner Beschwerde, die dem Abendblatt exklusiv vorliegt.

Mit dieser "Grundrechtsvergessenheit" sei Hamburg bundesweit eine unrühmliche Ausnahme: "Wichtige Entscheidungen treffen Menschen, die nicht Mitglied der Hochschule sein müssen und somit die Folgen ihrer Entscheidungen nicht tragen müssen", sagt Köhler. Damit meint er den 2003 eingeführten Hochschulrat, der nicht nur verbindliche Struktur- und Entwicklungspläne für die Uni entscheidet, sondern auch noch den Präsidenten wählt. Dessen Mitglieder dürfen laut Hochschulgesetz mehrheitlich nicht der Hochschule angehören. Aktuelle Mitglieder sind etwa auch Harald Vogelsang, Vorstand der Hamburger Sparkasse, und Maria von Welser, Direktorin des NDR. Diese "Entrechtung" der Wissenschaftler könne dazu führen, dass die Ausrichtung der Fakultäten durch ein Gremium beschlossen werde, das für "wissenschaftsgemäße Entscheidungen keine hinreichende Gewähr bietet", sagt Köhler. Hier widerspreche sich das Hochschulgesetz: An anderer Stelle steht, dass die Fakultäten "auf ihren Gebieten die Aufgaben in Lehre, Forschung und Entwicklung (...) wahrnehmen".

Sollte das Bundesverfassungsgericht dies ähnlich sehen, gäbe es eine rechtliche Grundlage dafür, was bisher eher auf moralischer Ebene diskutiert wird. So wurde die Wahl der ehemaligen Uni-Präsidentin Monika Auweter-Kurtz kritisiert: Eine Headhunter-Agentur suchte die Raketenforscherin aus, bevor sie der Hochschulrat wählte. Die Mehrheit der Professoren stand nie hinter ihr, was nach einer deutschlandweit einmaligen Uni-Krise mit ihrem Rücktritt endete. "Das zeigt eindrucksvoll, wie an Bedürfnissen der Hochschule vorbei entschieden wird", sagt Köhler.

Zweiter Punkt: Die Dekane hätten in Hamburg eine "Allzuständigkeit" erreicht, die von den traditionellen Gremien der Hochschullehrer, den Fakultätsräten, nicht mehr kontrollierbar sei. Schon jetzt leitet jedes der sechs Dekanate einen Fachbereich, die jeweils so groß sind wie mittlere Universitäten, und entscheidet über die finanzielle Verwaltung, über die Neubesetzung von Professuren und Zulagen für Lehrkräfte bis zum Semesterprogramm - nahezu alle wichtigen Bereiche der Wissenschaft.

Dekane dürfen auch darüber entscheiden, wie viel das akademische Personal innerhalb einer Bandbreite an der Universität lehren muss und forschen darf. "Vor allem der Nachwuchs wird mit Lehraufgaben überlastet, das beeinträchtigt dessen Qualifizierung in der Forschung." Zudem darf das Präsidium die Dekane bestätigen. "Nicht genehme Kandidaten können also von der Uni-Spitze abgelehnt werden", sagt Köhler, der auch auf den Fall des Theologen Hans-Martin Gutmann verweist: Diesen hatte Auweter-Kurtz als Dekan der Geisteswissenschaften abgelehnt, obwohl die Fakultät ihn einstimmig gewählt hatte. Dem Fakultätsrat blieben nur "Stellungnahmen" und "Entgegennahmen", nicht mal die Abwahl eines Dekans ist möglich - ein wichtiger Unterschied zu anderen Bundesländern, die diese Option erhalten haben. Sogar der Jura-Fakultätsrat, an der Uni nicht gerade als revolutionäre Zelle bekannt, will einen "Rechtsformmissbrauch" erkennen: "Faktisch wird die Uni (...) zu einer Anstalt denaturiert, bei der der Professorenschaft die Rolle der Wissenschaftsbeamteten und den Studierenden diejenige der Nutzer zugewiesen ist."