Milliarden müssen eingespart werden. Die Möglichkeiten sind begrenzt: Nur zehn Prozent des Haushalts sind “frei verfügbar“. Eine Analyse.

"Sparen ist das Zurücklegen momentan freier Mittel zur späteren Verwendung." Wikipedia

Gemäß dieser Definition ist das Gerede von einer "Sparklausur", zu der sich der Senat heute und morgen ins Rathaus zurückzieht, eigentlich Humbug. Denn wenn die Stadt etwas derzeit nicht hat, dann sind es "freie Mittel", also überschüssige Einnahmen, die sie auf ein Sparbuch legen könnte. Intern wird daher auf die nüchterne Bezeichnung "Haushaltsklausur" Wert gelegt.

Das wiederum ist eine arge Verniedlichung für die Lage der Stadt. Sechs Milliarden Euro an Steuereinnahmen fehlen gegenüber der Planung bis 2013. Wie viel 6 000 000 000 Euro sind, verdeutlicht folgende Rechnung: Hamburg gibt pro Jahr rund elf Milliarden Euro aus, in den Jahren 2009 bis 2013 wären es insgesamt rund 55 Milliarden. Liegt die Steuerschätzung richtig, werden die Einnahmen also um mehr als zehn Prozent darunter liegen. Ein Drama für eine Kommune, die von den CDU-geführten Senaten auf Wachsende Stadt getrimmt wurde. Nachdem unter CDU und GAL (Motto: "Kreative Stadt") daraus "Wachsen mit Weitsicht" wurde, dürfte es nun heißen: "Kreatives Schrumpfen mit Weitsicht".

In der Union gab es daher keine langen Diskussionen, dass man sich die sechs Milliarden anderweitig besorgen muss - am Kreditmarkt. "Wenn wir das nicht machen, können wir den Laden dichtmachen und uns auf das Auszahlen von gesetzlichen Leistungen beschränken", sagt ein Finanzpolitiker. John Maynard Keynes (1883-1946), Urvater der Theorie einer staatlich beeinflussten Wirtschaft, würde sich angesichts solcher Aussagen aus dem bürgerlichen Lager die Augen reiben. Bleibt die Frage: Warum dann eine "Sparklausur"

"Bei Aufstellung ... des Haushaltsplans sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten." Landeshaushaltsordnung, § 7

Schon jetzt wird in Hamburg jeder zehnte Euro für die Zinsen ausgegeben, die für die 22 Milliarden Euro Schulden der Stadt anfallen. Um das nicht weiter ausufern zu lassen, hat sich der Senat zwei ehrgeizige Ziele gesetzt. Erstens: Die neuen Kredite müssen ab 2015 zurückgezahlt werden. Und: Die Zinsen dafür werden im Haushalt eingespart. Bis 2013 geht es dabei um etwa 500 bis 600 Millionen Euro. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Denn hinzu kommen Verluste öffentlicher Unternehmen in gleicher Höhe. Ob HSH Nordbank oder HHLA - Gewinne führt derzeit kaum ein Unternehmen ab.

Noch schlimmer: Die Wirtschaftskrise lässt die Ausgaben für Sozialleistungen in die Höhe schnellen, Bürgermeister Ole von Beust (CDU) zufolge um etwa 700 Millionen Euro. Ungemach kommt zudem aus Berlin: Das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" und die Steuerpläne der CDU/FDP-Koalition kosten Hamburg mindestens 100, im Extremfall sogar 400 Millionen Euro pro Jahr. Demnach muss die Stadt - obwohl sie in nie da gewesenen Ausmaßen Kredite aufnimmt - ihre Ausgaben trotzdem noch um 1,5 bis zwei Milliarden Euro drücken.

Verteilt auf die vier Jahre 2010 bis 2013 wären das 400 bis 500 Millionen Euro pro Jahr - in einem Elf-Milliarden-Haushalt scheint das auf den ersten Blick machbar. Das Dilemma offenbart sich bei genauerem Hinsehen.

"Aus unserer Sicht ist das soziale Miteinander gefährdet." Sieglinde Frieß (Ver.di)

Drei Viertel des Haushalts sind durch Ausgaben für Personal, Zinsen und gesetzliche Leistungen wie Sozialhilfe fest gebunden. Auch das verbleibende Viertel ist nur teilweise disponibel, will man nicht den Straßenbau einstellen, alle Parks verloddern lassen oder das Licht in der Stadt ausknipsen. Als Faustregel gilt: Nur zehn Prozent des Haushalts, gut eine Milliarde Euro, sind "frei verfügbar", unterliegen also der politischen Gestaltung. Davon knapp die Hälfte kürzen zu wollen oder zu müssen, fordert zwangsläufig Protest der Opposition und der Betroffenen heraus.

"Wer die Menschen liebt, der spart." Dietrich Wersich (CDU)

Der reicht von der "Spaltung der Gesellschaft" (Kürzen im Sozialhaushalt) über "Gefährdung der Sicherheit" (Polizei/Feuerwehr), "Bildung gegen die Wand fahren" (Schulen und Universitäten) bis hin zum Untergang des Abendlandes (Kultur, siehe auch Interview mit Bernd Neumann, S. 8). Der Chor der Bedenkenträger ist vielstimmig.

Vorschläge zum Schließen des Haushaltslochs sind hingegen kaum zu vernehmen. Zwar forderte die Linke als einzige Partei, auf die Sparrunde zu verzichten und die Mindereinnahmen komplett über Kredite zu decken. Aber Finanzsenator Michael Freytag (CDU) will den Gang zurück in den Schuldenstaat zumindest begrenzen. Politische Motive sind nicht auszuschließen, aber angesichts des Verschuldungsverbots, das ab 2020 für die Länder gilt, dürfte das eine sinnvolle Vorbereitung sein.

Vorschläge des SPD-Finanzexperten Peter Tschentscher, durch Umschichtungen im Haushalt die Ausgaben in den Griff zu bekommen, hat der Senat bislang nicht kommentiert. Selbst in die Offensive ist Schwarz-Grün aber auch nicht gegangen. Einzig Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU), der mit Blick auf kommende Generationen den Satz prägte "Wer die Menschen liebt, der spart", hat angekündigt, dass er das weitere Anwachsen seines Riesenetats stoppen will. Eine Herkulesaufgabe, über die er mit den Wohlfahrtsverbänden bis heute keine Einigung erzielt hat.

Für Aufsehen sorgte auch Rüdiger Kruse (CDU), der anregte, mittelfristig auf zehn Prozent der rund 75 000 städtischen Angestellten zu verzichten und die Verwaltung kräftig abzuspecken. Der Vorstoß, als Stadt künftig weniger Dienstleistungen anzubieten, dafür aber die Qualität hochzuhalten, dürfte schon mangels Alternativen in der Sparliste des Senats eine Rolle spielen. Allerdings sitzt Vordenker Kruse mittlerweile nicht mehr in der Bürgerschaft, sondern im Bundestag. Staatliche Eingriffe hätte wohl auch John Maynard Keynes befürwortet. Denn darauf zu warten, dass die Konjunktur anzieht und der Haushalt Selbstheilungskräfte entwickelt, davon hielt er wenig:

"Langfristig gesehen sind wir alle tot." John Maynard Keynes