Supermärkte und Büros zwischen sorgfältig sanierten Backsteinhallen können manchmal ein ganz besonderes Flair haben.

Hamburg. Wenn Lieselotte Kämmerling (77) an früher denkt, schüttelt sie nur den Kopf. "Da mochte man hier abends nicht langgehen", sagt sie. Mit ihrem Mann sitzt die Bahrenfelderin auf einer Bank vor einem der hohen Backsteinbauten an der Gasstraße. Neben ihnen stehen volle Einkaufstaschen. "Früher hatten wir ja keine Läden hier, es gab gar nichts", sagt Rudolf Kämmerling (79). "Für uns ist es jetzt richtig gut." Das Ehepaar wohnt um die Ecke, im Woyrschweg. Fast jeden Tag kommen sie hierher. "Es ist immer etwas zu erledigen."

Dabei hat "Bahrenfelds neues Zentrum", wie der Vorsitzende des Bürgervereins, Hans-Werner Fitz, es nennt, ein ganz besonderes Flair. Die historischen Werkhallen des ehemaligen Gaswerks von Altona wurden saniert und umgebaut. Wo bis vor 70 Jahren noch Gas produziert wurde, sind Supermärkte, Bäcker, Apotheke, Sparkasse eingezogen. Auch viele andere Firmen haben sich auf dem Industriegelände aus der Gründerzeit angesiedelt. "Nach der Speicherstadt ist es das zweitgrößte erhaltende Backstein-Ensemble Hamburgs", sagt Dirk Hollmann (44) stolz.

Gemeinsam mit seinen fünf Geschwistern hat der Kaufmann, der beim Familienunternehmen HPV für den Verkauf zuständig ist, das zehn Hektar große Areal vor 15 Jahren erworben und die Industriebrache in einen Gewerbepark umgewandelt. Das Ganze nennt sich Otto von Bahrenpark und ist nichts anderes als ein Fall von Gentrifizierung und Vorläufer der aktuellen Vorhaben im Gängeviertel oder im Frappant-Gebäude - nur weniger umstritten. "Wir hatten von Anfang an das Konzept, den Bestand zu erhalten und durch neue Gebäude zu ergänzen, die die Baukunst der Gründerzeit aufnehmen", sagt Hollmann. Ziel: "Bahrenfeld ein Gesicht zurückzugeben."

Sehr nett sei es geworden, sagt Elisabeth Vikh (77), die mit ihrem Hund in einer kleinen Parkanlage in der Mitte spazieren geht. Auch Franziska Meinheit (34) ist mit Töchterchen Martha im Kinderwagen gern zwischen den historischen Ziegelbauten unterwegs. Und sie ist nicht allein: Obwohl es nur zwei Wohnhäuser gibt, kommen in der Woche täglich 5000 Menschen in die Gasstraße. Jeder Zweite von ihnen arbeitet auf dem Gelände. Modelabels wie Joop und Diesel haben in den denkmalgeschützten Hallen ihre Showrooms, es gibt Fotoagenturen, PR-Firmen, IT-Unternehmen wie Microsoft, zwei Designerhotels, sogar eine Kneipe und ein Fitnesscenter. Morgens walze sich ein enormer Menschenstrom vom S-Bahnhof Bahrenfeld in die Gasstraße, hat Michael Zablonski (25), stellvertretender Filialleiter beim Maßkonfektionär Dolzer, beobachtet. Mittags versammeln sich die Angestellten bei gutem Wetter um den kleinen Teich. "Es ist interessant hier zu arbeiten", sagt Zablonski. "Die Kunden sind gleich um die Ecke in den Büros."

Auch Harald Lüders (45) kommt jeden Tag in die Gasstraße. Er arbeitet im Fitnesscenter. Seit zehn Jahren ist der Bahrenfelder im ehemaligen Elixia, das gerade von Holmes Place übernommen wurde, beschäftigt. Während um ihn herum die Kunden schwitzen, blickt er versonnen durch die hohen Fenster der alten Fabrikhalle, vor denen noch die Schienen der alten Kohlenbahn zu sehen sind. "Als das hier noch eine Brache war, sind wir manchmal durch irgendwelche Löcher in die Hallen hereingegangen. Man hatte das Gefühl, es bricht gleich alles zusammen", erinnert sich Lüders. "Aber es hatte schon immer eine ganz besondere Atomsphäre." Vor allem, nachdem in den 70er-Jahren Künstler und kleine Handwerksbetriebe eingezogen sind und "wilde Partys" auf der Industriebrache gefeiert wurden. "Früher war hier die Hölle los", bestätigt ein Polizeibeamter. Inzwischen ist das Hauptdelikt Falschparken.

Denn auch in den Gebäuden links und rechts vom Gaswerk sind Firmen eingezogen. Unter anderem liegt einer der ältesten Gewerbehöfe Altonas mit vielen kleinen Büros an der Gasstraße. Weiter oben betreibt der Energiekonzern Vattenfall ein Umspannwerk. Außerdem arbeiten auf dem Gebäude 70 Mitarbeiter des Netzservice, die für Störungsbeseitigung zuständig sind. Und ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen: Die südliche Straßenseite hin zu den S-Bahn-Gleisen ist abgesehen von einem Bürogebäude noch unbebaute Brache. "Es ist das letzte städtische Gewerbegrundstück in Altona", sagt Baudezernent Reinold Güter. "Die Verhandlungen laufen."

Nächste Woche: Klaus-Groth-Straße (Borgfelde)