Zwischen Bäcker mit Post und “Kap Hoorn“ zeigt sich das Kirchdorf von der lauschigen Seite. Junge Familien fühlen sich wohl, Vierbeiner auch.

Hamburg. Klönschnack im Dorfe. Vor der Bottega an der Nienstedtener Straße sitzt eine Gruppe fröhlicher Menschen in nachmittäglicher Herbstsonne. Cappuccini, lautes Lachen, Klatschbörse aus erster Hand. Manchmal auch aus zweiter. Oder dritter. Passanten grüßen im Vorübergehen, auch von der anderen Straßenseite winken Spaziergänger. "Moin!" heißt es zumeist - und selten Sie. Manchmal ist auch das "Hamburger Du" gebräuchlich: "Frau Müller, wie geht's dir?"

"Die Atmosphäre hier ist vertraut, persönlich, gemütlich", sagt Nico Delattre. Man spüre gar nicht, in einer Millionenstadt zu sein. "Außerdem kriegt man auf kurzer Strecke alles, was man braucht", ergänzt Marlis Monesi, Chefin des Ristorante Il Sole gegenüber. Diese Konzentration auf das Wesentliche setzt ein Geschäft ein paar Meter nebenan besonders beeindruckend um: Hinter einer Tür sind auf engem Raum ein Bäcker, ein Zeitungs- und Tabakladen, ein Lottoservice sowie eine Poststation untergebracht.

Auf der anderen Seite, im Volksmund "Kap Hoorn" genannt, bietet Schlachter Hübenbecker, eine Institution in Nienstedten, Fleisch an, das diesen Namen verdient. Karbonaden, Frikadellen und Eintöpfe sind weit über den Stadtteil hinaus berühmt. "Und Fisch-Kai nicht vergessen", wirft Nico Delattre ein. "Er verkauft frischen Fisch vom Feinsten und serviert einen erstklassigen Mittagstisch." Zudem diene der gemütliche Laden ebenso wie die Bottega als Umschlagplatz für Nachrichten aus dem Dorf. Geheimnisse haben in der Regel keinen langen Haltbarkeitswert.

"Stimmt!", bestätigt Wolfgang Cords knapp. Der Jurist, Nienstedten-Chronist im Internet und Mentor der freiwilligen Feuerwehr, kommt aus Richtung Dante angeschlendert - ein Stracciatella-Eis in der Hand. Das Café vis-à-vis der Bushaltestelle ist Treffpunkt Nummer drei vor Ort, macht allerdings jetzt eine Winterpause. Cords lässt sich nicht lange bitten und nimmt Platz. Man kennt sich.

Was in diesem Fall wenig verwundert: Die Cords sind seit 300 Jahren in Nienstedten ansässig. Der heutige Senior Herbert Cords (89), einstmals Stellmacher und Gärtner, kennt Gott und die Welt. Er weiß: "Unsere Hauptstraße ist seit Generationen lokaler Treffpunkt für Einkauf und Klönschnack." An Werktagen laufe die Elbvororte-Kommunikation auf Hochtouren, und am Wochenende treffe man sich vor oder nach dem Bummel am Fluss. Die in Blankenese ansässige Spezies bestens betuchter Weiblichkeit, im Volksmund "Elblette" genannt und nicht selten am Steuer eines Geländewagens (mit Suchscheinwerfer und Bullenfänger!) auf Touren, wird in Nienstedten seltener erblickt. Dort könne man noch Promenieren. Dennoch, so Wolfgang Cords, habe sich das Bild gewandelt: "Viele Hunde gab es schon immer, die Zahl junger Familien hat erheblich zugenommen."

Nico Delattre nickt zustimmend: Obstläden, ein Antiquitätenhändler, der Dorffriseur Mito, eine Hutmacherin, ein alt eingesessener Schuster, der Optiker Jaeger & Dancker im Haus Nummer 1 und weitere Spezialläden runden ein erstaunlich gutes Angebot ab. In der Verlängerung der Straße, am Nienstedtener Marktplatz, sind ein Dutzend weiterer erstklassiger Adressen zu finden. Nicht nur die Nachbarschaft, sondern auch Mitarbeiter des nahe gelegenen Seegerichtshofs beflügeln die Umsätze. Wirtschaftliches Wehklagen hört man nicht.

"Steffi, noch einen Milchkaffee!", ruft Cords. "Zwei bitte", ergänzt Klaus Bete, gleichfalls Urgestein vor Ort. "Hier ist alles wie eine große Familie", meint er. "Und das mitten in Hamburg." Jüngst wurde Pit gesichtet, Hamburgs erster Polospieler. Leider wohnt Heidi Kabel nicht mehr hier. Auch Manni und Lissi, Inhaber der Schankwirtschaft Schlag, zählen zu den bekannten Gesichtern. Steffi bringt den Kaffee. Eigentlich heißt die plietsche Deern Stephanie Monesi, ist 26 Jahre jung und seit zwei Jahren Chefin der Bottega. Der Mittagstisch für 6,50 Euro sei der Renner, bestätigen die Gäste am Tisch. Im Angebot sind außerdem Antipasti und weitere Delikatessen italienischer Art. "Ich kenne unser Dörfchen", sagt Steffi. "70 Prozent meiner Gäste sind Stammkunden." Ein Kunde biss zu herzhaft zu: Seine dritten Zähne holte er zwei Tage später ab.

Das Gelächter ebbt erst beim Nahen eines weiteren allseits bekannten Anrainers ab. Der bescheiden wirkende Herr mit Anzug, vor Ort eine Ausnahme, lässt sich zu einer kleinen Pause überreden. "Das ist der Arzt der Herzen!", sagt Nico Delattre, und der Rest bestätigt das. Gemeint ist Kamran Sedighi, Hals-Nasen-Ohren-Arzt mit Praxis an der Nienstedtener Straße. "Ich sehe den Menschen ganzheitlich", sagt er leise. Dazu zählen Betreuung quasi rund um die Uhr und Hausbesuche auch noch kurz vor Mitternacht. Aber dies müssen die anderen berichten.

Erneut unterbricht lautstarkes Hallo das Gespräch. Zwei weitere Nachbarn kommen des Weges. Spontan wird zusammengerückt - und geschnackt. So wie es von jeher zum guten Ton zählt in der Nienstedtener Straße.

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