Experten und Insider über die 16-Seiten-Dokumentation zur Elbphilharmonie: Diese Aufklärung war überfällig. SPD-Fraktionschef spricht von einem „Lehrstück, wie man in Großprojekte nicht hineinstolpern sollte.

Hamburg. Zugegeben: Eine einzige, durchgeschriebene Geschichte auf 16 Zeitungsseiten zu verteilen, das war auch etwas verrückt. Aber die Reaktionen zeigen, dass es richtig und wichtig war. Die Dokumentation „Wunschkonzert“, mit der das Abendblatt am Freitag die Geschichte der Elbphilharmonie akribisch aufbereitet hat, hat ein enormes Echo ausgelöst – in der Politik wie in der Kulturszene.

„,Wunschkonzert‘ ist eine außerordentlich gelungene wie auch bedrückende Dokumentation“, sagt der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann. „Die Bürgerschaft wurde mit falschen Zahlen desinformiert, beziehungsweise überhaupt nicht informiert. Gesprächsprotokolle wurden gefälscht oder zurückdatiert. Das ist der eigentliche politische Skandal jener frühen Baujahre.“

Nun sei klar: „Der entscheidende Fehler lag nicht in der kulturpolitisch richtigen Entscheidung, die Elbphilharmonie zu bauen, sondern in der sowieso problematischen Nutzungsmischung – Hotel plus Philharmonie – , die mit einem windigen Vertragskonzept in die Risikoverantwortung der Stadt geschoben wurde. Das lag in der Verantwortung des Senats unter Ole von Beusts Führung“, so Naumann. Er war von Beust 2008 als SPD-Spitzenkandidat unterlegen und ist heute Bauherr der Barenboim-Said Akademie in Berlin.

„Alle Bürgermeister von Ole von Beust bis Olaf Scholz haben die Schwierigkeiten des Projekts Elbphilharmonie unterschätzt“, meint hingegen CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich. „Dies hat das Vertrauen vieler Hamburger in die Fähigkeit der Politik erschüttert, Großprojekte dieses Ausmaßes realisieren zu können. Es ist ein großartiger Beitrag, dass das Hamburger Abendblatt nun die Historie der Elbphilharmonie mit all ihren Problemen von ihren Anfängen bis heute detailliert dokumentiert hat.“ Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) sagt: „Dem Abendblatt ist ein gutes Stück Journalismus gelungen – mit einer nur zu oft unrühmlichen Geschichte, die in diesem Jahr eine gute Wendung genommen hat. Für die Zukunft gilt es, aus der schwierigen Vergangenheit zu lernen und auf der Begeisterung für das Projekt aufzubauen.“

Darauf setzt auch Joachim Lux, Intendant des Thalia Theaters: „Das Elbphilharmonie-Dossier lässt, so absurd das klingen mag, hoffen! Es ist ein schönes Lehrbeispiel aus der Rubrik ,Schule des Lebens‘ und wird – sofern der finale Scholz/Kisseler-Deckel hält – als Komödie mit Happy End verbucht werden.“ Und weiter: „In einer Zeit, wo die Printmedien angesichts des Internets immer mehr boulevardisieren, rationalisieren und sich selbst pulverisieren, zeigt das Abendblatt, dass es auch anders geht, und leistet sich einen journalistischen Turmbau zu Babel. Chapeau!“

Beeindruckt zeigt sich Benedikt Stampa, der als Geschäftsführer der Laeiszhalle um die Jahrtausendwende den Bau eines zweiten Konzerthauses selbst mit angeschoben hatte und heute Intendant und Geschäftsführer des Konzerthauses Dortmund ist: „Eine ausgezeichnete und atemberaubende Analyse der historischen und gegenwärtigen Situation. Der brillante Artikel zeigt, dass die Elbphilharmonie schon jetzt zu einem Mythos der Stadtgeschichte geworden ist.“

SPD-Fraktionschef Andreas Dressel spricht von einem „Lehrstück, wie man in Großprojekte nicht hineinstolpern sollte. Dieses Lehrstück sollte Pflichtlektüre für Planer und Politiker sein.“ Die Vorgängersenate seien zu berauscht von der Idee gewesen. „Losbauen, ohne zu Ende zu planen – dieses Ausmaß an Fahrlässigkeit und fortschreitendem Realitätsverlust ist kaum zu begreifen.“ Sein Kollege Frank Schmitt, SPD-Obmann im PUA Elbphilharmonie, ergänzt, die Abendblatt-Dokumentation verdeutliche „sehr eindrücklich“, wie richtig es war, „dass wir mit aller Konsequenz die Planungsfehler vom Anfang jetzt behoben und das Projekt neu geordnet haben“.

Aus Sicht von Eva Gümbel, Elbphilharmonie-Expertin der Grünen, bleibt es hingegen ein Problem, „dass der Senat beim letzten 200-Millionen-Euro-Zuschlag die Hochtief-Zahlen nicht mehr geprüft hat“. Über das „Wunschkonzert“ sagt sie: „Die Beilage ist eine spannend zu lesende und kenntnisreiche Chronologie. Der Skandal weist aber weit über Hamburg hinaus: Geschönte Kosten, unterschätzte Risiken und überzogene Nutzenversprechen gibt es auffällig oft bei Bauprojekten der öffentlichen Hand.“

In die gleiche Kerbe schlägt Katja Suding: „Die Lektüre sollte alle Entscheidungsträger für Großprojekte mahnen, verantwortungsvoll und transparent mit dem Geld der Steuerzahler zu arbeiten“, sagt die FDP-Fraktionschefin.

Der Elbphilharmonie-Experte Norbert Hackbusch von der Linkspartei sagt über die Dokumentation: „Die entscheidenden Daten, Fakten, Probleme und Personalien verständlich, lesbar, ja unterhaltsam auf die Reihe zu bringen, das war dringend nötig und schärft den Blick für die weiteren Diskussionen um das Bauwerk.“