Als durch Jacques Lemercier vor 40 Jahren die Cuisine française in die Hansestadt gelangte, kamen kaum Gäste. Doch der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.

Der Mann mit dem gestreiften Zweireiher, dem tadellos sitzenden Schlips und einem stolzen, freundlichen Lächeln könnte auch ein Staatspräsident sein. Alles an seiner Haltung strahlt Selbstverständlichkeit und Ruhe aus. Und selbstverständlich ist der Mann Franzose: Jacques Lemercier, 79 Jahre alt, ein Grandseigneur, der Patron des Restaurants Plat du Jour und seit 40 Jahren „im Hamburger Exil“ tätig. Seine Mission: Kalbsnieren mit Senfsoße, Fischsuppe mit Rouille und Lyoner Saucisson. Seine Gäste: Placido Domingo, Mark Knopfler und Valéry Giscard D’Estaing.

Vor 40 Jahren eröffnete er die L’Auberge Française an der Rutschbahn, hatte dort fast 20 Jahre lang einen Michelin-Stern und „brachte den Hamburgern bei, wie der Franzose isst“, wie eine Zeitung damals schrieb.

Heute ist das Le Plat du Jour am Dornbusch nahe dem Rathaus seit 20 Jahren ein beliebtes Bistro mit beeindruckender Geräuschkulisse. Voll ist es, laut und frankophil. „Jacques, c’est moi!“, sagt charmant der Mann, der „nur das nötigste Deutsch“ gelernt hat. Mehr braucht er auch nicht, denn im Le Plat du Jour haben die französischen Sprachbrocken des Personals die Lufthoheit.

Und ein „Oh, là, là …!“ kann eben nur ein Franzose so raffiniert aussprechen, dass es dem Gast schmeichelt. Es ist ein wenig wie im Kino. Die pulsierende Melodie empfängt jeden Gast, der das historisch eingerichtete Bistro mit den 40 Plätzen betritt.

„Wir sind zuvorkommend aber nicht übertrieben gastfreundlich“, antwortet Lemercier auf die Frage nach dem Erfolgsrezept. Die 14 Mitarbeiter kommen fast alle aus Frankreich oder sprechen Französisch als Muttersprache; sie seien „solidarisch, nicht zu empfindlich“ und würden ihre Reibereien untereinander „immer schnell beenden“. Aus der Sicht seiner Frau Ursula, mit der er nur Französisch spricht, gehört noch Verschwiegenheit dazu. „Jacques ist sehr diskret, das ist das A und O“, sagt sie.

Bevor er nach Hamburg kam, war der Spross einer Gastronomen-Familie Direktor des berühmten La Chèvre d’Or in Eze Village an der Côte d’Azur und mehrerer Bistros in Paris. Die Liebe brachte ihn nach Hamburg. Auf einer Messe in Paris lernte er Ende der 60er-Jahre seine Frau Ursula kennen, die dort für eine deutsche Bierfirma arbeitete. Zwei Jahre später lockte ihn das Angebot, sich in Hamburg an der Rutschbahn selbstständig zu machen. „Am Anfang kam kaum ein Gast in die L’Auberge Française“, sagt der Patron. Man sei damals als Gourmet in Hamburg „im Niemandsland“ gewesen. Allenfalls bei „Peter Lembcke“ (bis 1989 am Holzdamm) habe man gute Küche genießen können. In den 70er-Jahren kam auch die Nouvelle Cuisine auf. Eine Kochkunst, die wegen ihrer Kleinstportionen verspottet wurde.

Jacques Lemercier wartete stattdessen mit französischer Regionalküche auf Gäste. Nach sechs Monaten Erfolglosigkeit kam Opernstar Anneliese Rothenberger. „Darüber berichtete das Hamburger Abendblatt“, sagt Lemercier und holt den Zeitungsausschnitt hervor. „Es war der Durchbruch.“

Gäste aus der Musik-, der Medienbranche und der Politik wurden seine Gäste und speisten unter dem nach zwei Jahren folgenden Michelin-Stern. Wer mochte, wurde am Tisch von Jacques Lemercier persönlich beraten. Schon drei Jahre nach der Eröffnung galt Lemercier mit seiner L’Auberge als „Wegbereiter der Cuisine francaise“ in Hamburg. Geld verdiente er nun „peu à peu“.

Der Patron prägt die Atmosphäre. „C’est un petit peu locker chez nous“, sagte Lemercier, als er zum 14. Male den begehrten Michelin-Stern erhielt. Die französische Bistroküche des Le Plat du Jour hat sich auch ohne Stern als wetterfest gegen alle Gastrotrends erwiesen. In unmittelbarer Nähe kann man italienisch, japanisch, thailändisch, vegetarisch, griechisch, spanisch und irisch speisen. Das Le Plat du Jour liefert dagegen mit einem kaum wechselnden Programm „ein kleines Stück Frankreich“.

Die französische Küche in Hamburg sehen Fachleute als unterbewertet. So die Hamburger Kochbuchautorin Karin Iden: „Viele Restaurants geben sich als Bistros mit französischem Namen und einer Pariser Einrichtung frankophil – und die haben dann Königsberger Klopse auf der Karte!“, sagt sie. „Das geht gar nicht.“

„Richtig französisch traditionell ist nur das Le Plat du Jour“, sagt Fotograf Patrick Piel, der Pariser lebt seit 38 Jahren in Hamburg und freut sich als begeisterter Hobbykoch, dass es seit Kurzem im Frischeparadies an der Großen Elbstraße seine geliebte Boudin (magere Blutwurst) aus Frankreich gibt.

2014 wird Nicolas, 42, der Sohn von Jacques Lemercier, das Le Plat du Jour übernehmen. Er hat seinen Vater lange studiert. „Wie ein Dirigent steht er an der Kasse und hat alles im Blick. Er ist das Auge im Le Plat du Jour“, sagt er. Das Bistro müsse man „wie ein Boot führen“, denn „überall müsse immer jemand sein“.