19-Jährige tauft “Aidamar“. Hunderttausende bei Riesenparty mit Feuerwerk und Schiffsparade. Segelyacht verzögert Zeremonie.

Hamburg. Hamburgs weit geöffnetes Tor zur Welt hat eine erstklassige Tradition. Das Herz der Hanseaten jedoch pflegt dann in besonderem Maße aufzugehen, wenn der Hafen Geburtstag feiert. 823-mal wurde dieser Anlass bisher zelebriert, doch selten zog das maritime Großereignis einheimische Gäste wie auswärtige Besucher derart in seinen Bann wie diesmal. Getreu der Landeshymne: Hammonia, Hammonia, oh, wie stehst du glücklich da.

So war es eine Lust für Groß und Klein, den Geist der großen weiten Welt zu inhalieren und ein perfekt organisiertes Fest auf der Bühne Elbe zu genießen. Und als sich die Schiffsflotte am Sonntagnachmittag zur spektakulären Auslaufparade versammelte und Kurs Nordsee ging, machte sich eine merkwürdige Melange aus Dankbarkeit, Glücksgefühlen und einem Hauch Melancholie breit. So ein Tag, so wunderschön wie heute.

Als er vergangen war, wurden als offizielle Zahlen 1,4 Millionen Besucher und 300 Gastschiffe angegeben. Gewiss waren es mehr, gefühlt zumindest. Missklänge und Pannen hatte es kaum gegeben. Selbst das Kentern des Sportboots mit dem wahrhaftig nicht unpassenden Namen "Blub Blub" endete am Sonnabend glimpflich.

+++ Hier sehen Sie die "Aidamar" rundum von innen +++

Schlimmer verlief ein Unfall am Tag darauf: Zwei Einsatzboote des Technischen Hilfswerks stießen zusammen, dabei wurden sieben Menschen leicht verletzt. Die THW-Boote wollten vor den St.-Pauli-Landungsbrücken eine Formation fahren.

Dabei kamen sie aus zunächst ungeklärter Ursache vom Kurs ab und kollidierten frontal. Ein Mann fiel ins Wasser, konnte aber rasch herausgezogen werden. Die sieben Verletzten kamen ins Krankenhaus, durften es jedoch kurz darauf wieder verlassen. Der Sachschaden lag bei 10.000 Euro.

+++ Der Mann, der die Schlepper tanzen lässt +++

+++ 10 Stunden Fahrt für ein Fischbrötchen +++

+++ "Schwimmen wir auf einer Welle?" +++

Der auslaufende Kraftstoff des Sportboots "Blub Blub" war noch ein vergleichsweise kleines Malheur im Vergleich zum Szenario, das zwei Dutzend Aktivisten des Naturschutzbunds den Zuschauern am Kai vor Augen führten. "Uns stinkt's" und "Kreuzfahrtschiffe sauber machen", stand auf Spruchbändern.

Ein riesiger Modellschornstein stellte die angeblichen Dreckschleudern an den Pranger. Passend zum liberalen Geist der Gastgeberstadt gab es keinen sichtlichen Verdruss über diesen Protest. Zumal sich einige Demonstranten anschließend in den Strom der Genießer einreihten und selbst bei Fischbrötchen, Rollmöpsen, Fassbier oder Brause das Schauspiel auf dem Fluss verfolgten.

Rund 500 Buden luden zu allem Möglichen ein. An der Balduin-Treppe unterhalb der Punk-Kneipe Onkel Otto war sogar das Künstlerkollektiv des Gängeviertels mit einem Stand präsent. Mehr Publikum gibt's nimmer. Sturmböen, Nieselregen und Temperaturen von zeitweise gerade mal sechs Grad konnten einen Seemann nicht erschüttern - und kampferprobte Hamburger erst recht nicht.

Grandioser Höhepunkt zu später Stunde war am Sonnabend die Taufe der werftneuen "Aidamar". Hunderttausende am Ufer und noch viel mehr als Zuschauer der NDR-Liveübertragung im Fernsehen erlebten am Sonnabend zwischen 22 Uhr und Mitternacht einen Akt, den es so weltweit noch niemals gab - ohne Übertreibung. Eingeleitet wurde die Zeremonie durch eine Sternformation dreier Schwesterschiffe der Aida-Flotte.

Die Rostocker Reederei Aida Cruises, ein Hauptsonor des 823. Hafengeburtstags, hatte die fast baugleichen Ozeanriesen in den Hamburger Hafen dirigiert, um den Besuchern einen optischen Leckerbissen der Extraklasse zu bescheren. Bis auf ein kleines Segelschiff, das vorwitzig in den Sperrbezirk zwischen Dock 11 und Fischauktionshalle eingedrungen war und die Taufe um eine knappe Viertelstunde verzögerte, lief alles nach Plan. Ohnehin grenzte es für Landratten an ein Wunder, wie das Gewusel auf der Elbe halbwegs unter Kontrolle zu bringen war. Zwischen all den Kreuzfahrtschiffen, Marinebooten und Dreimastbarken tummelten sich sämtliche Barkassen, die Hamburgs Hafen aufzubieten hat - in der Regel bis auf den letzten Platz besetzt. Auch kleine Segler und Motorboote wollten die Gunst der Stunde nutzen, dem Großereignis nahe zu sein. Ein bisschen glich die Elbe zwischen HafenCity und Övelgönne dem turbulenten Treiben zu Silvester, inklusive Feuerwerk und den tönenden Nebelhörnern unzähliger Schiffe um Punkt Mitternacht. Nur dass es diesmal ein wenig wärmer war.

Kaum ging die Sonne unter, schossen vis-à-vis des Fischmarkts vier Raketen hoch - begleitet vom Applaus des Publikums. Vom Werftgelände Blohm +Voss aus erleuchtete ein fächerförmiges Feuerwerk den Strom Richtung Grasbrook und Elbe. Doch es sollte noch besser werden.

Leuchtstrahler setzten die überdimensionalen Kussmünder und Augenpaare am Bug der Kreuzfahrtschiffe in Szene. Mehrere Riesenräder an der Pier, bunt illuminiert, drehten sich im Kreis. Fast alle Schiffe hatten festlich geflaggt.

Die Kreuzfahrtpassagiere an Bord ließen von ihren Balkons aus Champagnerkorken in die Elbe zischen, Matrosen winkten mit roten Arbeitshelmen. Ein Bild für die Götter: Nicht nur Neptun wäre angetan gewesen. Auf den Bühnen am Kai fetzte Rockmusik; in Vorfreude gaben Kapitäne lautstark Signal. Doch um kurz nach 22.30 Uhr kehrte Ruhe ein, relativ zumindest. Ein starker Spot hellte die Manöverklappe backbords am Bug der 252 Meter langen und gut 350 Millionen Euro teuren "Aidamar" in gleißendes Licht.

Im Zeitlupentempo, dem sogar Enten bequem folgen konnten, war sie zuvor elbaufwärts getrieben und hatte ihre Taufposition gegenüber dem Schwesterschiff "Aidasol" bezogen - quasi Kussmund an Kussmund. Nur Eingeweihte wussten, dass Kapitäne, Besatzungen und Hafenlotsen dieses passgenaue Manöver zuvor im Maritimen Simulationszentrum in Warnemünde virtuell trainiert hatten. Damit im großen Moment der wahrscheinlich spektakulärsten Schiffstaufe der Welt alles perfekt harmonierte.

Von Menschenmassen beäugt, traten um 22.43 Uhr die Taufpatin und der Kapitän der "Aidamar" hinaus auf den schmalen Steg. Für einen Moment durfte sich die 19 Jahre alte Sissi Franziska Kuhlmann als Königin von Hamburg fühlen. Die gebürtige Braunschweigerin, die seit einem Jahr in Eilbek wohnt und in einem Innenstadt-Hotel Hotelfachfrau lernt, war unter 380 Bewerberinnen aus ganz Deutschland von den Abendblatt-Lesern und einer Jury zur Patin gewählt worden.

"Dieses schöne Schiff wird die Welt küssen", sagte die Frau mit dem wahrscheinlich schönsten Kussmund. Per Hebel setzte sie einen Mechanismus in Gang, der eine Champagnerflasche am Bug des Ozeanriesen zerplatzen ließ.

Dies war das Signal für eine Party, die Hamburgs altehrwürdiger Hafen so noch nicht erlebt hat. Blitzlichter zuckten, Zuschauer fielen sich in die Arme oder applaudierten, Begeisterung machte sich breit. Und wer keinen Schampus zur Hand hatte, was ohnehin nicht sein musste, prostete seinem Nachbar eben mit einer Knolle Astra oder einem ähnlichen Kaltgetränk zu.

Ein überragendes, von roten Herzen und faszinierendem Funkenregen gekröntes Feuerwerk illuminierte den Hafen und die fröhliche, friedliche Festgemeinde. "Eine grandiose Kulisse", schwärmte nicht nur Kapitän Sven Bellmann. Mit geübter Hand dirigierte er seine Barkasse "Iris Abicht" durch das Chaos auf dem Strom, ließ sich auch vom Boot des Hafenmeisters nicht verscheuchen und erhielt von seinen Passagieren Extraapplaus für das Kunststück, genau im richtigen Moment die beste Position backbords des majestätischen Täuflings bezogen zu haben.

"Es war mein fünfter Hafengeburtstag am Ruder", sagte Schipper Bellmann, "aber so fasziniert wie heute war ich noch nie."

Nicht nur für ihn geht es am 12. Mai kommenden Jahres mit dem 824. Geburtstag weiter. Vielleicht nicht so spektakulär wie diesmal, aber anders. Und das ist auch gut so.

Produktion: Arndt Büthe