Gähnende Leere auf der A 7. Am Wochenende wurde auf der A 7 in Stellingen die Brücke der Güterumgehungsbahn ausgetauscht.

Hamburg. Irgendetwas stimmt nicht. Die neue Stahlbrücke der Umgehungsbahn, die nördlich der Auffahrt Stellingen die Autobahn 7 kreuzt, hat - von zwei Spezialfahrzeugen gehalten - zwar die sogenannte Einbauachse erreicht. Doch auf den Fundamenten links und rechts der A-7-Trasse laufen Brückenbauer hektisch umher. Plötzlich zieht einer von ihnen ein Bandmaß aus der Tasche und fängt an, das Brückenfundament zu vermessen.

Sollten sich die Brückenbauer tatsächlich verrechnet haben? Christian Rohde, der für die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (Deges) die Arbeiten überwacht, bleibt ruhig. Das Feinausrichten der Brücke sei eine ziemlich "fummelige" Arbeit, sagt er. Der wegen der Erweiterung der A 7 notwendige Austausch der Bahnbrücke am Wochenende war ein Balanceakt. 55 Stunden hatten die Brückenbauer sich gegeben, in denen Autobahn und Bahnstrecke gesperrt waren.

Freitagabend, 22 Uhr: Mit einem Mal wird es auf der A 7 still. Zwischen der Auffahrt Stellingen und dem Dreieck Nordwest, wo Tag für Tag im Durchschnitt 136.000 Fahrzeuge einen Strom von Karosserien produzieren, herrscht gähnende Leere. Wer von der Brücke Wördemanns Weg in Richtung Norden schaut, kann die mächtigen Scheinwerfer erkennen, mit denen die Baustelle erleuchtet wird. Dort sind die Bauarbeiten vom ersten Moment an in vollem Gange. Arbeiter haben die Bahngleise getrennt, Schotter und Bohlen werden von der alten Brücke abgetragen.

Auf der Wördemanns-Weg-Brücke versammeln sich Anwohner. "Es ist das erste Mal, dass ich die Autobahn hier ohne Fahrzeuge erlebe", erzählt Marianne Kirschniak. Sie lebt seit 1978 einen Steinwurf von den Fahrbahnen entfernt und hofft, an diesem Wochenende einmal richtig gut schlafen zu können. Über die gesperrte Autobahn fährt derweil ein 1000-Tonnen-Kran an die Baustelle heran. Die "Jungs", wie Christian Rohde sagt, machen einen guten Job und bauen den Kran schneller als geplant auf. Deshalb kann schon am frühen Sonnabendmorgen die alte Brücke aus ihren Fundamenten gehoben werden. Der Koloss scheint zu schweben, während der Kran ihn sanft über die Fahrbahnen dreht. Kaum ist die 120-Tonnen-Brücke auf der Fahrbahn abgelegt, machen Schweißer sich ans Werk. Sie teilen die Stahlkonstruktion in so kleine Stücke, dass sie zum Schmelzofen transportiert werden können.

+++ Nur kurze Staus am Wochenende wegen gesperrter A 7 +++

Sonnabend, 5 Uhr: Der Umleitungsverkehr auf der Kieler Straße und der Holsteiner Chaussee reißt nicht ab. Von Stille kann auch ein paar Hundert Meter weiter keine Rede sein. Bagger haben sich darangemacht, die alten Fundamente abzureißen. Das rhythmische Hämmern der Betonmeißel klingt weit durch die Nacht. Immer wieder setzen drei Bagger ihre Meißel an und treiben sie in den Beton. Es ist ein mühsames Geschäft. Wenn ein großer Betonbrocken abstürzt, vibriert der Boden. Dann spürt man die Kraft, mit der die Bagger dem Betonfundament zusetzen. Frühere Brückenbauer hätten ganze Arbeit geleistet, bemerkt Christian Rohde.

Der 2,2 Millionen Euro teure Austausch der Brücke sei, "was die Komplexität der Arbeiten angeht", einmalig in Deutschland, sagt Deges-Geschäftsführer Dirk Brandenburg. "Auf einer Schwierigkeitsskala von eins bis zehn erreicht der Brückenaustausch für mich den Wert 9,95." Viele Firmen müssten auf engstem Raum unter hohem Zeitdruck zusammenarbeiten. "Das geht nur deshalb so gut, weil wir uns seitetwa drei Jahren darauf vorbereiten." Deutschlandweit betreut die Deges derzeit etwa 100 vergleichbare Projekte. Für sein Unternehmen sei diese Aktion auch deshalb so wichtig, weil sie wertvolle Erfahrungen für den Bau des A-7-Tunnels erbringe. "Wir wollen den Tunnel bauen, während der Verkehr rollt."

Sonnabend, 11 Uhr: Alle warten darauf, dass die neue, 350 Tonnen schwere Brücke in die "Einbauachse eingefahren" wird. Jetzt wird sich zeigen, ob alles korrekt ausgemessen und gebaut wurde. Die Einfahrt ist der Job von Lars Arys. Der 32-jährige Belgier wirkt ganz ruhig. Um seinen Hals hängt eine kleine Steuerungskonsole. Per Kabel und Funk ist er mit vier Spezialfahrzeugen, sogenannten Kamags, verbunden. Arys kann jedes Gefährt - sie erinnern entfernt an Rollis, mit denen man beim Umzug einen Schrank transportiert - zentimeterweise bewegen. Die Brücke ist auf den Rücken der Kamags in einer Höhe von 4,5 Metern "aufgebockt".

Dann geht es endlich los. Mit seiner Konsole steuert Lars Arys die Fracht, als wäre es ein Kinderspiel: erst einwenig vorwärts, dann eine leichte Kurskorrektur nach rechts. Immer wieder heulen die 400 PS starken Dieselmotoren auf. Als Nächstes wird die bislang parallel zur Autobahn platzierte Brücke um 90 Grad gedreht und dabei über beide A-7-Fahrbahnen verschoben. Lars Arys bleibt die Ruhe selbst. Sein bislang schwierigster Transport war das Verschieben einer 15 000 Tonnen schweren Ölplattform in Norwegen. 2009 hatte er 90 gekoppelte Kamags gesteuert. Die letzten 50 Meter bis zur Einbauachse überwindet der Belgier in kurzer Zeit. Zu guter Letzt schieben die Kamags die neue Brücke zentimeterweise vorwärts. Immer wieder muss ein Stück korrigiert werden - eine "Fummelarbeit" eben. Dann ist es so weit: Die neue Brücke wird auf die Widerlager aufgesetzt und verschraubt. Keine 18 Stunden sind in diesem Moment seit Freitagabend vergangen. Auch wenn die spektakulären Arbeiten vorbei sind, bleibt für die Arbeiter reichlich zu tun: Die neue Brücke muss mit Schotter gefüllt und die Bahngleise müssen angeschlossen werden. Von den vielen kleinen Arbeiten am Rande der Autobahn ganz zu schweigen.

Heute Morgen, 6 Uhr, wollten die Brückenbauer die A 7 wieder freigeben. Die "fehlende" Stunde wegen der Zeitumstellung hätten sie eingeplant, sagt Christian Rohde. Na ja, nicht ganz. In den vor einem halben Jahr vorgelegten Plänen, "da war die Stunde noch drin".