Das Gebäude ist marode und muss abgerissen werden. Als Ersatz gibt es nicht einmal Container. Schulzimmer dient als Notunterkunft.

Hamburg. Es sieht fast so aus, als würden die Kinder gleich vom Spielen reinkommen. Im Gruppenraum hängen farbenfrohe Bilder an den Wänden, Sitzkissen und Schaumstoffwürfel bilden bunte Stapel, im Regal stehen Kasperlefiguren in einer Reihe, ein eineinhalb Meter hoher Plastik-Dino blickt erwartungsvoll zur Tür. Doch Kinder sind schon lange nicht mehr hier hereingekommen, ins Spielhaus auf der Veddel. Seit August ist das abrissreife Backsteingebäude an der Katenweide geschlossen. Die starken Regenfälle im Juni hatten ihm den Rest gegeben: Im Gruppenraum fielen Deckenplatten herunter, der Babyraum stand komplett unter Wasser, später wurden gesundheitsschädliche Schimmelsporen in der Luft gefunden.

Seitdem werden die Kinder von dem Haus ferngehalten, das für viele von ihnen zu einer zweiten Heimat geworden war. Wo sie morgens und nachmittags kostenlos betreut wurden - von Menschen, die ihnen oft die Familie ersetzten. Die Vormittagsbetreuung mit Frühstück war für die einkommensschwachen Familien des Viertels eine willkommene Alternative zur kostenpflichtigen Kita. Nach der Schule bekamen die Kinder hier ein Mittagessen. Außerdem gab es Sport-, Koch- und Theaterprojekte, logopädische und ergotherapeutische Angebote, musikalische Früherziehung, eine Elternschule und Babytreffs.

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Seit der Schließung sind Kinder und Betreuer in einem Klassenraum in der Schule Slomanstieg untergekommen. Der Raum ist hell, in freundlichem Gelb gestrichen und fast 50 Quadratmeter groß, aber bei Weitem kein Ersatz. "Wir sind sehr froh, dass wir hier sein dürfen", sagt Spielhaus-Leiterin Jini Holländer. "Aber unser umfangreiches Angebot können wir hier nicht mehr aufrechterhalten." In den Räumen nebenan werde unterrichtet, da müssten die Kinder sich ruhig verhalten - das sei gerade vormittags für die Kleinen im Kindergartenalter extrem schwierig. Auch die Betreuung der Schulkinder sei stark eingeschränkt. "Das Problem ist, dass wir die Kinder nicht mehr in verschiedene Gruppen einteilen können", sagt Felix Feldten, der Islamwissenschaften und Pädagogik studiert und zu den Honorarkräften gehört, die bei der Betreuung der Kinder helfen. "Im Spielhaus konnten Kinder, die mit den Hausaufgaben fertig waren, in einer anderen Gruppe basteln oder draußen Fußball spielen. Jetzt geht das nicht mehr." Die Kleinen könne man jetzt nicht einmal alleine zur Toilette gehen lassen.

Mittlerweile bleiben viele Kinder dem Betreuungsangebot fern. Die Kleinen verbringen die Vormittage bei ihren Müttern und Großmüttern, die Großen ihre Nachmittage auf der Straße oder vor dem Fernseher. "Wenn wir Glück haben und es draußen kalt und ungemütlich ist, kommen noch bis zu 15 Kinder", sagt Jini Holländer. "Früher waren es weit mehr als doppelt so viele."

Eigentlich sollte längst ein Container als Ersatz für das Spielhaus aufgestellt sein, bis dieses - irgendwann - durch einen Neubau ersetzt wird. Doch wann das so weit ist, ist ungewiss. Denn einen Termin dafür kann das zuständige Bezirksamt Hamburg-Mitte nicht nennen, ebenso wenig ein Datum, an dem der Container aufgestellt wird. "Die Baugenehmigung dafür ist erteilt, jetzt werden die letzten Anträge eingeholt, noch im ersten Quartal 2012 soll die Aufstellung erfolgen."

Mittlerweile hat Johannes Kahrs (SPD), als Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses zuständig für das Spielhaus auf der Veddel, eine weitere Überlegung ins Spiel gebracht: Er möchte prüfen lassen, ob die Einrichtung nicht im Gemeindesaal der Immanuel-Kirche unterkommen kann. "Wenn man von der Kirche Räume anmietet, die nicht genutzt werden, könnte das die schlauere und billigere Lösung sein", sagt er.

Jini Holländer ist dagegen. "Auch im Gemeindesaal wäre keine Arbeit mit unterschiedlichen Gruppen möglich", sagt sie. Die 62-Jährige hat Angst um das Fortbestehen der Einrichtung, die sie seit 20 Jahren leitet und als ihr "Baby" betrachtet. "Hier herrscht ein liebevolles Miteinander sämtlicher Kulturen", sagt sie. "Das ist wichtig für die Kinder und ihre Familien in diesem schwierigen Stadtteil, das sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden."

Aysel Koclu und Bülent Yapici können das nur bestätigen. Sie wurden früher selbst im Spielhaus betreut und schicken heute ihre Kinder hin - Aysel Koclu arbeitet sogar dort. "Ich war ein Schlüsselkind und hätte ohne Spielhaus nur die Straße oder die leere Wohnung gehabt", sagt die 34-Jährige. Und Bülent Yapici fügt hinzu: "Die Veddel braucht ein Spielhaus, in dem eine gute und kostenfreie Betreuung möglich ist."